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Kölner MilieuAbsturz der Rotlichtkönige

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Innenstadt – Ein sonniger Sonntagnachmittag, 16 Uhr, Szenekneipe „Zur grünen Eck“ am Friesenwall. Zigarettenqualm wabert durch den abgedunkelten Raum, an der Theke sitzen Männer, die schon reichlich Striche auf ihrem Deckel haben. Auf einer Leinwand läuft der Film „Wir waren das Miljö. Kölsche Geschichten“, eine Dokumentation über die Kölner Ringszene in den 60er, 70er und 80er Jahren, über Glücksspiel, Prostitution, Gewalt und Hehlerei. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat viele der Hauptakteure von einst in der „Grünen Eck“ getroffen. Das Lokal ist noch heute ihre Stammkneipe.

Die Begrüßungsrituale im Milieu sind eigentümlich. Als der einstige „Bordellkönig“ Hans Münnichhoff (73) vor der Kneipe aufläuft, packt ihm einer seiner Kumpels ungeniert in den Schritt, lacht dreckig und fragt: „Wie steht’s?“ Münnichhof lacht auch, so als wäre ihm gerade höflich die Hand geschüttelt worden. Überhaupt wird sehr viel gelacht an diesem Nachmittag, meist laut und grobschlächtig.

Ein ungeschminktes filmisches Portrait

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Schmidte Udo, Hermanns Tünn, Abels Män – der kölsche Dialekt verleiht selbst ehemaligen Zuhältern etwas Niedliches. Einst waren sie schillernde und berüchtigte Legenden des Kölner Nachtlebens, die pro Abend mehrere Tausend D-Mark kassierten. Heute haben sie nichts mehr. „Mir sin alle jeputzt“, sagt Hermanns Tünn, den sie damals „die Axt“ nannten, weil er gerne mal eine Theke zerschlug, wenn es zur Sache ging. Die Axt trug er in einem Gitarrenkoffer bei sich.

Der Kölner Filmemacher Peter F. Müller hat es geschafft, die ehemaligen Szenegrößen für eine Dokumentation vor der Kamera zu versammeln und sie von alten Zeiten schwärmen zu lassen. Der Film setzt den Zuhältern von einst ein Denkmal – bei genauerem Hinsehen jedoch keines, das prächtig strahlt und die Vergangenheit verklärt. Eher ein schmutziges und abstoßendes. Dafür sorgen die Protagonisten selbst, indem sie zum Teil unreflektiert ihre Ansichten über Frauen und die Welt preisgeben.

Der Lange Tünn hatte eine kurze Nacht. Bis sechs Uhr morgens hat er vor einer Discothek in Rodenkirchen „die Tür gemacht“. In den 70er Jahren war er der vielleicht bekannteste Türsteher der Ringe. Ehemals Zuhälter und Clubbesitzer, bis heute Frauenheld, Zocker und Dampfplauderer. Ein 24 Jahre alter Film über den Langen Tünn ist heute ein Renner bei der Filmplattform „YouTube“. Insider können Zitate wie dieses herunterbeten: „Wenn ich treffe, kippt der direkt. Aber ich muss treffen.“ Um sein Image als Zocker zu pflegen, zieht er ein Bündel Wettscheine aus der Hosentasche, das so dick ist wie die Wochenendausgabe einer Tageszeitung. „Das waren 3.000 Euro, da machst du nichts“, sagt er und grinst.

Während in der Kneipe gelacht und geplaudert wird, steht Abels Män (65) vor der Tür in der Sonne. Er lächelt schief und setzt müde die verspiegelte Sonnenbrille ab. Die kleinen Augen sind gerötet, das weiße Leinenhemd ist fast bis zu den Brustwarzen aufgeknöpft. Um den Hals trägt er eine goldene Kette mit einem Kreuz, am linken Handgelenk glitzert eine goldene Uhr. Wie er da so steht, leicht nach vorne gebeugt, den Unterarm auf den Griff der Eingangstür gestützt, wirkt Abels Män wie sein eigener Schatten vergangener Tage. „Jetzt kommt alles auf einmal“, sagt er leise, „bisschen Zucker noch dabei, im Krankenhaus mussten sie mir einen Zeh abnehmen.“

Früher galt Abels Män als „schönster Mann“ im Kölner Milieu. Er war Zuhälter, Ex-Millionär und Rolls-Royce-Besitzer, einstiger Gigolo und Chef mehrerer Nachtclubs. Ein Star der alten Kölner Ringszene, der von Dummse Tünn ausgelacht wurde, weil er seinen Frauen nur 50 D-Mark am Tag abnahm. Später waren es dann 5.000. „Da musste ich mir aber Mut antrinken, ich war ja erst 17.“ Niemand verkörpert so gut wie er den gefallenen Star der Rotlichtbranche. Einst schön, reich und brutal („Unter zehn Schlägereien, dann war es ein gutes Wochenende“), heute gebrechlich und arm.

Fast wie ein Familientreffen

Drinnen serviert der Dicke Johnny seinen Jungs die x-te Runde Kölsch. Früher war er Türsteher im Pascha. Zu Werbezwecken durfte er nach der Eröffnung des Bordells drei Monate lang täglich für 1.000 Mark Lokalrunden in Kölner Szenekneipen spendieren. „Nach sechs Wochen habe ich gemerkt, wie schwer es ist, 1.000 Mark zu versaufen“, sagt er und nimmt einen Schluck aus seinem Glas. „Jeder muss für seinen Job geboren sein“, ruft er, „ich bin für hinter die Theke geboren.“

Noch heute jobbt der klein gewachsene, kräftige Mann mit dem Schnäuzer ein paar Tage die Woche in der „Grünen Eck“. Seit kurzem treffen sich die Milieugrößen von damals hier zum Stammtisch: Sie feiern, trinken und lassen die alten Zeiten aufleben. „Das Treffen ist das Schönste, was es gibt“, schwärmt der Dicke Johnny. „Wir sind wie eine Familie: 40, 50 Mann, wenn alle zusammenkommen. Einige können super erzählen. Das geht dann bis morgens, bis es hell wird.“ Viel Zeit, um Anekdoten auszupacken und Heldengeschichten aufzuwärmen.

Zum Beispiel die vom Dummse Tünn, der im Szenelokal „Big Ben“ hundert Liegestütze auf der Tanzfläche hingelegt hat – auf einem Arm. Oder die von Karate Jacky, dem angeblich besten Straßenkämpfer der 70er Jahre, einst nominiert für den deutschen Olympia-Kader und aussortiert, als die Funktionäre herausfanden, dass er im Kölner Milieu verkehrte. Heute lebt Karate Jacky von Hartz IV in einem Männerwohnheim in der Südstadt. Die alten Zeiten, bedauert der Dicke Johnny, seien definitiv vorüber, „leider“. Die Kölner Rotlichtszene von heute, klagt er, sei doch ein Armutszeugnis für eine Millionenstadt.

Wenn Abels Män von den alten Zeiten erzählt, wirkt er wehmütig. „Meine erste Frau ist an Nierenversagen gestorben, meine zweite wurde erdrosselt, meine dritte hat sich umgebracht.“ Viele Geschichten klingen so unglaublich, dass man sie eigentlich dringend prüfen müsste, bevor man sie in die Zeitung schreibt. Nur wie? Legendär ist auch seine Behauptung, in seinem Wandtresor hätten 1,3 MillionenD-Mark gelegen. Über den Verbleib des Vermögens sagt er: „Ich habe gelebt, gelebt und nie nachgedacht.“ Sieben Pelzmäntel habe er besessen und sieben Schlangenlederanzüge.

Dem Fußball-Star Bernd Schuster habe er damals dessen Corvette abgekauft. Abels Män grinst: „Das war mein Zuhälter-Auto.“ Schnelle Autos, aufgepumpte Muskeln, ausgefallene Klamotten – das waren die Statussymbole der Zuhälter. Sie haben ein Leben für den Augenblick geführt. Früher oder später sind sie mit wenigen Ausnahmen im Gefängnis gelandet. Wegen Zuhälterei, Hehlerei oder Steuerbetrugs. Bordellkönig Hans „Sir“ Münnichhoff hat sein Haus verloren, seine Wohnung wurde beschlagnahmt, seine Lokale geschlossen. Die Razzia in seinen Läden bezeichnet er heute noch als „Hinrichtung“, nachvollziehen kann er die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nicht. Selbstkritik: Fehlanzeige.

Als das Rotlicht noch in der City leuchtete

Als sich die Zuhälter einen Namen in Köln machten, befand sich das Rotlichtviertel im Zentrum. In der Brinkgasse boten sich die Frauen in Schaufenstern an, am Eigelstein und Gereonswall lagen die einschlägigen Klubs. Wer dazugehörte, verkehrte im „Klein Köln“ auf der Friesenstraße. „Dort war früher die Macht, das größte Gangsterviertel von ganz Köln“, sagt der Lange Tünn. „Heute ist die Friesenstraße stocksolide.“ Demnächst muss der Lange Tünn wieder die Tür machen. Nicht vor einer Disco, sondern bei einem Auftritt des „Kölschen Schutzmanns“. Hinter dem Künstlernamen des Büttenredners verbirgt sich der ehemalige Polizist Jupp Menth, der jahrelang im Milieu ermittelt hat. Damals wäre das undenkbar gewesen. Doch die Zeiten haben sich geändert.

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