Kolumne: Mein CoachLernen durch Loslassen

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Als Fünfjährige hat mich meine Großmutter mit dem Rad losgeschickt. Und das obwohl ich noch nicht allein davon absteigen konnte. Bis zum Ende der Hofstraße sollte ich fahren, dann dort drehen und zurückkommen. Im Vertrauen auf die Oma fuhr ich tatsächlich los, nur um am Ende der Straße schnurstracks in den Graben zu fahren. Mit verschrammten Knien bin ich wieder rausgekraxelt, aufs Rad geklettert und vor der Oma abgestiegen. Sturzfrei.

„Na siehst du“, meinte sie nur. „Manchmal muss man hinfallen, um absteigen zu lernen.“ Da habe ich kapiert: Wenn ich was Neues will, muss ich Altes loslassen. Und wenn ich Glück habe, ist da auch noch jemand wie die Oma, die fest daran glaubt, dass die Sache für mich gut ausgeht. Als ich mich vor vielen Jahren selbstständig gemacht habe, war das für mich wie auf ein zu großes Rad zu steigen. Abenteuerlich. Denn ich wusste ja nicht, ob ich es schaffen würde oder vielleicht doch in einen Graben stürzen. Leider lebte meine Großmutter zu dieser Zeit nicht mehr, sodass ich auf ihren Zuspruch verzichten musste. Jedoch fand ich in einem älteren Kollegen, einen wunderbaren Mentor, der mir die nötige Starthilfe gab. „Das haut schon hin“, versicherte er mir. „Das schaffst du schon.“ Dank des Vertrauens dieses erfahrenen Mannes in mich und meine Fähigkeiten wagte ich mich früh auch an große Herausforderungen heran. Und setzte auch manchmal einen Auftrag in den Sand. Was zwar schmerzlich war, mich jedoch nicht davon abhalten konnte, gleich wieder aufzustehen und mich neuen Aufgaben zuzuwenden - das Fahrrad also wieder zu besteigen.

Fraglos hat die Erfahrung des Scheiterns mich mutiger gemacht. Mut, Herausforderungen anzunehmen. Aber auch Mut, Anfragen abzulehnen. Etwa dann, wenn diese zwar finanziell sehr attraktiv, jedoch nicht auf mein Profil zugeschnitten waren. Oder wenn sie versprachen, mich eher zu unter- oder auch zu überfordern. Beides auf Dauer keine gute Voraussetzung für Exzellenz.

Die Grabenstürze des Lebens haben mich gelehrt, leichter loszulassen, mich neuen Möglichkeiten zu öffnen. Mehr und mehr beruflich nur noch das zu tun, was mir wirklich Freude macht und mich daher dauerhaft motiviert. Beides ist wichtig für nachhaltigen Erfolg. Aber oft habe ich mich auch selbst gefragt: „Kann ich mir das überhaupt leisten?“ Und - unter uns - bange oft auch die Oma im Himmel. „Ob das wohl gut geht?!“ Doch immer hat sie bloß gelacht und gesagt: „Mädchen, weiter geht's, loslassen!“

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