Nahost-Experte über Iran-Krise„Ein offener Krieg ist unwahrscheinlich“

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Soldaten auf einem Flugzeugträger des US-Militärs im Persischen Golf

Soldaten auf einem Flugzeugträger des US-Militärs im Persischen Golf

  • Der französische Wissenschaftler nennt Donald Trumps Vorgehen irrational. Das Problem für den Iran sei daher, dass sie ihn nicht rational einschätzen können.
  • Die Iraner hätten einen Riesenfehler gemacht, als sie dachten, dass die Amerikaner den Irak einfach verlassen würden
  • Europa müssen einen sicheren Weg für beide Seiten aufzeigen und als unabhängiger Mediator fungieren.

Professor Roy, hat Sie der durch US-Präsident Donald Trump befohlene Angriff auf den iranischen General Soleimani überrascht?

Überrascht? Und wie. Das war ziemlich irrational. Trump hat keinerlei Strategie. Wenn man so etwas macht, muss man wissen, was der nächste Schritt ist. Aber Trump ist auf nichts vorbereitet.

Warum irrational?

Trump hat nicht auf die iranische Attacke auf die saudi-arabischen Ölförderungsanlagen reagiert, was deutlich gefährlicher war als das, was ihn zu dem Schritt gegen Soleimani motiviert hat. Nach der Attacke auf die saudischen Ölfelder, wo die Iraner definitiv dahintersteckten, sendete Trump eine klare Botschaft an die Iraner, dass die USA nicht kämpfen wollen. So ist es zumindest bei Soleimani angekommen.

Mit fatalen Folgen.

Ganz eindeutig. Die Iraner wollen die Amerikaner aus dem Irak raushaben, um selbst die Führung zu übernehmen. Wenn sie nun feststellen, dass die Amerikaner nicht einmal ihre engsten Verbündeten in der Region verteidigen, ist die Schlussfolgerung klar. Deshalb entschloss sich Soleimani dazu, Druck auf die USA im Irak auszuüben durch Attacken, bei denen sie als Urheber unsichtbar bleiben sollten. Das war ein großer Fehler. Die harte Reaktion der Amerikaner hat die Iraner kalt erwischt. Nun haben sie keine andere Wahl, als einen Gegenschlag durchzuführen. Allerdings wollen sie keinen offenen Krieg gegen die Amerikaner riskieren, den sie nicht gewinnen könnten.

Was ist die Situation im Iran?

Das iranische Establishment ist sehr zerstritten. Soleimani spielte innerhalb der Führung eine äußerst kontroverse Rolle. Das Problem für den Iran ist, dass sie nicht rational einschätzen können, was Trump tun wird. Wenn man es zum Beispiel mit seiner Politik gegenüber Nordkorea vergleicht: Er wechselt zwischen „den Typen küssen“ und der Drohung, das Land zu zerstören. Es ist ein Mix von sehr rauen Statements und Umarmungen. Was soll man also machen? Der Ball liegt im Feld der Iraner. Und ich denke, dass sie keine Eskalation suchen werden.

Was heißt das konkret?

Teheran wird versuchen, das Gesicht zu wahren, ohne in einen offenen Krieg zu geraten. Die Iraner haben einen Riesenfehler gemacht, als sie dachten, dass die Amerikaner den Irak einfach verlassen würden. Aus ihrer Sicht war das natürlich eine logische Schlussfolgerung, Trump hatte ja immer wieder betont: Ich will unsere Jungs zurück nach Amerika bringen, sie haben im Mittleren Osten nichts verloren. Deshalb waren die Iraner überzeugt von ihrer Strategie: Wir machen etwas Druck und die Amerikaner gehen. Das war die Kalkulation von Soleimani, aber sie hat nicht funktioniert.

Was würde passieren, wenn die Iraner amerikanische Soldaten angriffen und die USA Iran dafür bombardieren würden?

Die Iraner werden keinen Schritt in die Richtung einer großen Eskalation machen, noch werden sie Israel direkt angreifen. Das wäre aus iranischer Sicht auch keine gute Idee, denn Netanjahu wartet nur darauf. Die im Augenblick schwierige Situation Netanjahus in Israel würde sich schlagartig verbessern, wenn die Hisbollah Israel angreifen würde. Zudem würden sich die Amerikaner gegenüber den Israelis verpflichtet fühlen. Was Iran jetzt tun kann, ist ein großes Problem. Sie könnten eigene Attacken gegen Amerikaner ausführen wie im Irak. Aber selbst wenn sie verneinen würden, für solche Angriffe verantwortlich zu sein und es ihre Stellvertreter ausführen ließen, hätte das wenig Sinn. Denn Trump würde sagen, nein, nein, das waren die Iraner. Dass es dafür keine Beweise geben würde, ist für ihn ja nicht weiter relevant. Ich glaube, dass die Iraner sich am Ende im Großen und Ganzen zurückhalten werden. Aber wer weiß.

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Was können die Europäer tun, um die Situation im Mittleren Osten zu deeskalieren?

Europa kann auf beiden Seiten etwas tun. Sie müssen einen sicheren Weg für beide Seiten aufzeigen und als unabhängiger Mediator fungieren. Europa als solches hat jedoch wenig Einfluss. Es hat eine rationale Position bezogen, damit man zu dem Atomwaffensperrvertrag zurückkehrt und ist daher immer für eine Deeskalation eingetreten. Allerdings kann ein einziger Tweet von Trump monatelange Verhandlungen mit einem Schlag zerstören, wie wir wissen. Die Iraner sind allerdings auch nicht besonders zugänglich in dieser speziellen Situation. Sie sind keine einfachen Partner, da sie unter dem Einfluss der Konservativen stehen.

Was wären die Folgen eines Krieges zwischen Iran und den USA für den Mittleren Osten?

Es ist wirklich unwahrscheinlich, dass es einen Bodenkrieg geben wird, bei dem amerikanische Soldaten gegen iranische Truppen kämpfen. Es würde viel wahrscheinlicher ein Luftkrieg sein, in dem die Amerikaner den Iran bombardieren. Für den Iran wäre es sehr schwierig, die amerikanischen Truppen im Irak zu vernichten. Die Revolutionsgarden sind von der Anzahl her zu schwach, um eine Landattacke gegen die US-Armee riskieren zu können. Und vermutlich werden die Iraker auch nicht den Iranern im Kampf gegen die Amerikaner zur Seite stehen. Es würde also ein Luftkrieg sein und ein Stellvertreterkrieg, das werden die Iraner auf jeden Fall weiter versuchen, um die Amerikaner in dieser Region zu beschädigen. Das große Thema ist nun, wird die Hisbollah Israel angreifen?

Olivier Roy

Olivier Roy

Wird Sie das?

Man kann die Hisbollah einmal in den Kampf gegen Israel schicken, aber nicht zweimal. Denn die Israelis werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, um die Hisbollah zu zerstören. Und dabei werden sie die Unterstützung der Amerikaner haben. Es ist ein Spiel mit nur einem Schuss. Dass die Hisbollah die Israelis im Zuge eines Kampfes dazu bringen könnte, in einen Frieden einzuwilligen, glaube ich nicht. Und die Araber werden die Hisbollah nicht unterstützen. Der größte Teil der libanesischen Bevölkerung steht einem Krieg mit Israel feindlich gegenüber. Ägypten ist gegen Baschar al-Assad, also wollen auch sie nicht in eine Konfrontation mit Israel hineingezogen werden. Auch die Russen werden die Hisbollah und die Iraner nicht gegen Israel unterstützen.

Wird nun der internationale Terrorismus zunehmen?

Was heißt internationaler Terrorismus? Iranischer Terrorismus ist iranischer Terrorismus, also ein Staatsterrorismus. Der ist allerdings auf einem niedrigen Niveau angesiedelt. Sie haben keinerlei Unterstützung durch die dschihadistischen Gruppen. All die Typen, die Al-Kaida oder IS unterstützen, sind gegen die Schia. Iran kann vielleicht die Leute gegen eine amerikanische Botschaft aufbringen, aber sie haben nicht die Mittel, viele Menschen umzubringen.

Was denken Sie über die Zukunft des Atomabkommens, wie wird es weitergehen?

Die Iraner haben die Absicht, über nukleare Mittel zu verfügen. Das ist Konsens im Iran. Ob sie aber auch die hierfür nötige Glaubwürdigkeit besitzen, ist eine andere Frage. Ihre Strategie war, so viel wie möglich durch die diplomatischen Verhandlungen an Vorzügen zu erreichen und dabei so unzuverlässig wie möglich zu agieren. Sie werden nicht sagen, wir werden nun eine Nuklearmacht, sondern stattdessen die Türen offen lassen. Aber das ist im Augenblick auch nicht die oberste Priorität. Das Thema ist, die militärischen Absichten abzulehnen und dann Verhandlungen über die Nuklearisierung zu führen. Wenn sie es erreichen, militärische Aktionen zu verweigern, dann gibt es die Möglichkeit, neue Verhandlungen über die atomare Ausrüstung zu führen.

Was bedeutet es für den Irak, wenn die Amerikaner rausgehen?

Dann würde der Iran den Irak übernehmen. Und dann wird es für den Iran ein Albtraum werden. Denn nun wird der Iran als die okkupierende Kraft wahrgenommen. Es wäre also ein vergiftetes Geschenk für Teheran.

Werden die Amerikaner gehen?

Nein, und wirklich: die irakische Regierung will das auch gar nicht. Die Erklärung des Parlaments hat nur deklarierenden Charakter, das ist ja kein Gesetz.

Zur Person

Olivier Roy, geboren 1949 in La Rochelle, hat sich als Politikwissenschaftler, Regierungsberater und Autor immer wieder mit dem Islamismus beschäftigt. Einige seiner Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt, zuletzt „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod. Der Dschihad und die Wurzeln des Terrors“. (ksta)

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