„Anne Will“ zu Test-BetrugSpahn lässt Kritik abperlen – Lindner ungewohnt zahm

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Spahn bei Will 300521

Janosch Dahmen und Jens Spahn (v.l.n.r.) bei Anne Will

„Das große Impfversprechen – wo steht Deutschland im zweiten Pandemie-Sommer?“, wollte Anne Will am Sonntagabend von ihren Gästen wissen. Das Impfen macht in Deutschland zwar große Fortschritte, aber dennoch gibt es auch aktuell wieder große Probleme mit den Impfstoff-Lieferungen. Ab 7. Juni sollen auch Jugendliche ab 12 Jahren geimpft werden können. Mehr Vakzine stehen allerdings nicht bereit, und auch die Ständige Impfkommission (Stiko) hat bislang keine generelle Empfehlung zur Impfung dieser Altersgruppe ausgesprochen.

Zu Gast in der ARD Sendung waren Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Janosch Dahmen (Grüne), Christian Lindner (FDP) und Christina Berndt („Süddeutsche Zeitung“).

Zunächst geht es allerdings nicht um den Sommer, sondern um den von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ aufgedeckten Betrug in Corona-Schnelltestzentren. Am Wochenende war bekannt geworden, dass ein möglicher Abrechnungsbetrug bei Bürgertests immer weitere Kreise zieht. Es geht um Verdachtsfälle in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Teststellen erhalten 18 Euro pro Test vom Bund, und in den publik gewordenen Fällen wurden weitaus mehr Tests abgerechnet als tatsächlich vorgenommen wurden. Es kann weder kontrolliert werden, wer getestet wurde, noch wieviel Schnelltests tatsächlich eingesetzt wurden.

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Auch Johannes Nießen, Leiter des Kölner Gesundheitsamts, kommt in einem Einspieler zu Wort. „Wir haben die große Sorge, dass der Fall MediCan nicht der einzige Fall ist“, so Nießen, denn auch in Köln sind wie in vielen anderen Städten Testzentren wie Pilze aus dem Boden geschossen. 

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sieht tatsächlich einen Bedarf an mehr Kontrollen bei Anbietern der Bürgertests. „Gerade bei den privaten Dienstleistern (...) braucht es offenkundig noch zusätzliche Kontrollen“, sagt der CDU-Politiker. Aus Berlin heraus könne man die Testzentren aber nicht kontrollieren. Das sei nur durch die Gesundheitsämter vor Ort möglich. Darüber werde er auch am Montag mit den Gesundheitsministern der Länder sprechen.

Allerdings gibt sich Spahn auf Anne Wills Nachfragen, warum man denn eine Verordnung mit so laxen Vorgaben erlassen habe, äußerst selbstbewusst. „Zuerst einmal müssen wir nochmal drei Monate zurückschauen“, so Spahn weitschweifig. Da habe es gar keine Test-Infrastruktur gegeben. Insofern sei die Entwicklung doch gut und pragmatisch.

Die Gesundheitsämter vor Ort müssten außerdem die Testzentren beauftragen. Dann hätten also die Gesundheitsämter die Fehler gemacht, will Will wissen. „Es geht nicht um Fehler“, beschwichtigt Spahn. Er habe sich im Laufe der Pandemie abgewöhnt, von Fehlern zu sprechen. Er ersetzt den Begriff durch „Versäumnisse“, was ja schon viel besser klingt – auch für sein eigenes Handeln. 

Christian Lindner hält sich mit Spahn-Kritik zurück

Für April und Mai seien 659 Millionen Euro an Testzentren geflossen, ohne dass kontrolliert wurde, ob die Leistungen auch wirklich erbracht wurden, verdeutlicht die Moderatorin die Größenordnung. „Das ist doch Wahnsinn“, findet Will. Aber auch hier gibt sich Spahn demonstrativ entspannt und sieht die dahinter stehenden rund 40 Millionen Tests insgesamt positiv.

Auch FDP-Chef Christian Lindner zeigt sich bei „Anne Will“ ungewohnt zurückhaltend und will die Bundesregierung in dieser Frage nicht verurteilen. Alles sei schließlich „missbrauchsanfällig“. Bei Twitter wird scherzhaft spekuliert, ob sich Lindner deswegen zurückhält, weil es sich bei Jens Spahn um seinen Berliner Vermieter handelt. 

„Zeigt sich hier eine besondere Freundschaft zwischen Ihnen und Jens Spahn?“, wird die Moderatorin denn auch deutlich. Nein, eine „besondere Seriosität der FDP“, findet Lindner. Das sorgt für Lacher auf beiden Seiten.

Testcenter-Betrug führt zu falschen Zahlen 

Janosch Dahmen sieht mehr als eine „Lappalie“ bei dem Testcenter-Betrug. „Es ist offensichtlich ein Geschäftssinn entstanden, dass man hier sehr schnell sehr viel Geld verdienen kann“, kritisiert der Grüne. Es müsste aber auch um weitere Probleme gehen, fordert Dahmen, etwa darum, „die digitale Darstellung der Testergebnisse in der Corona-Warnapp auch endlich umzusetzen.“

Anschließend geht es um die Aufhebung der Impfpriorisierung und Impfungen der Kinder. „Natürlich schaffen wir es bis Ende August, alle Über-Zwölfjähren, wo die Eltern dies wollen, zu impfen“, verspricht Spahn. Es werde genug Biontech-Impfstoff geliefert werden. Bei Versprechen des Gesundheitsministers ist man inzwischen ja skeptisch, und so bremst Anne Will Spahn lachend. Christina Berndt kritisiert die Aufhebung der Priorisierung, da immer noch Millionen Menschen aus den ersten Gruppen nicht geimpft seien. Die Älteren bräuchten eine Impfung dringender als die Jüngeren.

Streit um Impfungen für Jugendliche

Noch immer gibt es keine generelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) für eine Impfung von Jugendlichen. Das Problem: Es gibt nicht genug Impfstoff.

Zunächst waren auch die Bundesländer davon ausgegangen, dass für die Impfung der 12- bis 15-Jährigen zusätzliche Vakzine zur Verfügung gestellt werden. So war es laut Anne Will auch schriftlich festgelegt worden. Dies ist aber in der Realität nicht der Fall.

Jens Spahn muss sich erneut verteidigen. Es sei immer um das „Gesamtkontingent“ an Impfstoff gegangen, aus dem die Impfungen für die Jugendlichen bestritten werden sollten. „Aha“, ist daraufhin mehrfach von Lindner zu hören. Auch die Moderatorin versteht es nicht, sei doch zunächst explizit von „zusätzlichem“ Impfstoff die Rede gewesen. Spahn spricht wortreich von „unterschiedlichen Wegen“ und „strukturierten Angeboten“. Klar wird nicht, was denn nun eigentlich gemeint ist. „Der Impfstoff wäre woanders aus der Planung entnommen worden“, bringt Lindner es auf den Punkt. „Ja wo denn sonst“ sagt Spahn. Aber auch an dieser Stelle kommt Spahn im ARD-Talk aber vergleichsweise milde davon.

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