"Geschichte verläuft im Zickzack"

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Herr Radkau, Sie haben eine "Geschichte der Zukunft" geschrieben. Wir blicken sorgenvoll nach vorne, gerade was die Folgen des Klimawandels betrifft. Wie sicher sind denn unsere düsteren Aussichten?

Zunächst eine Anekdote: Im Sommer 1976 machte ich mit meinen Studenten eine Exkursion in die Provence, es war brütend heiß. Ich hatte mir gerade die Theorie des Global Warming angelesen, die in dieser Hitze sehr plausibel wirkte, und trug diese den Studenten vor. Ein Student, der später ein Pressesprecher der Grünen wurde, sagte damals, das sei alles großer Quatsch, es wäre klar nachgewiesen worden, dass jetzt eine neue Eiszeit käme. Es habe bereits Abkühlungen gegeben. Anfang der 80er Jahre hieß es noch: Die nächste Eiszeit kommt bestimmt.

Die heutigen Befürworter der These waren einst die schärfsten Kritiker?

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Die Global-Warming-Theorie ist unter meinen Kollegen am frühesten von einem Befürworter der Schnellen Brüters verfochten worden. Deswegen war ich lange Zeit auch eher skeptisch, was diese Theorie angeht. Allerdings sehe ich nun die überwiegende Zahl der Argumente für das Global Warming spricht.

Sie sind sich dabei relativ sicher?

Wir müssen doch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit daran glauben, um Gegenmaßnahmen zu treffen. Wir treffen doch ständig Entscheidungen aus 60- oder 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Die Forderung, man müsste zu 98 Prozent daran glauben müssen, kann ich nicht nachvollziehen. Es wäre aber besser, wenn die Vertreter der Theorie des anthropogenen Global Warming sich frühzeitig auch ernsthaft mit Gegenargumenten auseinandergesetzt hätten. Vorbildlich finde ich den Gründervater des IPCC [der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen, auch als Weltklimarat bekannt, d.Red.], Bert Bolin.

Warum gerade er?

Er hatte im Jahr 2007 kurz vor seinem Tod ein zum Teil memoirenhaftes Buch "A History of the Science and Politics of Climate Change" publiziert, in dem er zugibt, dass diese Prognosen doch lange Zeit sehr unsicher gewesen sind. Er kritisiert sogar Angela Merkel dafür, dass sie 1995 als Bundesumweltministerin auf der Berliner Klimakonferenz schon zu stark auf Klimaalarm gemacht hätte. Obwohl das damals noch gar nicht so sicher nachgewiesen worden sei. Gerade diese Offenheit hat mich, obwohl ich lange zu den Skeptikern zählte, dann doch überzeugt. Es wäre gut, wenn sich Vertreter der Global-Warming-These in aller Öffentlichkeit mit Kritikern auseinandersetzen und nicht gleich von Klimaskeptikern reden.

So tritt man den Zweifeln entgegen?

Es gehört zwar zum guten Ton unter den Eliten, sich zum Glauben an das Global Warming zu bekennen, im Grunde ihres Herzens glauben viele aber nicht daran. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, glaubwürdiger wäre es, wenn man zugibt, was auch alle ernsthaften Klimaforscher sagen: Mit absoluter Sicherheit ist die Klimazukunft nicht vorhersehbar. Und zweitens muss man sich ernsthaft mit Gegenargumenten auseinandersetzen. Wenn die These vom Global Warming im vollen Umfang zutrifft, sieht die Zukunft der Welt wirklich nicht sehr gut aus. Ein Experte sagte zuletzt auf einer Tagung, dass weltweit gesehen bislang nur 0,5 Prozent der Energie mit erneuerbarer Energie erzeugt werde. Das hat mich doch ziemlich betroffen gemacht.

Die Zukunfts-Unsicherheit ist nicht neu, sie befiel schon die Väter des Grundgesetzes. Die glaubten selbst nicht recht an den Erfolg der BRD.

Das war einer der unmittelbaren Impulse, die mir den Push gaben für dieses Buch der Zukunftsgeschichte. Ich saß an der Biographie über Theodor Heuss, der vom Naturell her ein zuversichtlicher Typ war. Im Parlamentarischen Rat bildete er jedoch die große Ausnahme. Es herrschte ein tiefer Pessimismus vor. Ein SPD-Politiker sagte: Wir treiben Politik mit dem Kopf unterm Arm. Eine Anspielung auf einen Märtyrer-Typus. Es gab die Sorge, es werde so kommen wie nach 1918, sie würden von unbelehrbaren Rechtsradikalen als Kollaborateure der Siegermächte attackiert werden. So wie auf Erzberger und Rathenau würden auch auf sie Attentate verübt werden.

Auch die Spitzenpolitiker waren pessimistisch?

Was mich ganz besonders frappiert hat, war, dass sogar der spätere Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) im Jahr 1948 als Hamburger Wirtschaftssenator glaubte, der Wiederaufbau Deutschlands werde an die 80 Jahre dauern. Das war ganz wenige Jahre vor Beginn des sogenannten Wirtschaftswunders. Ich dachte nur, wenn man einige Zukunftserwartungen wiederentdeckt, erlebt man eine Überraschung nach der anderen.

Ein allumfassender Pessimismus?

Vor allem das Allensbach-Institut lieferte wichtige Daten hierfür. Es hat seit seiner Gründung 1947 immer auch die Zukunftserwartungen der Westdeutschen erfragt. Mit dem Ergebnis, dass die jüngere Generation deutlich optimistischer war. Man muss bedenken, obwohl das etwas peinlich ist, dass die unendlich vielen Deutschen, die gefallen waren, für die nachwachsenden Jugendlichen bessere Berufschancen bedeuteten.

Ein Hin und Her, wie es scheint. Das galt auch für die Atomwirtschaft?

Es war ein merkwürdiges Zickzack der Erwartungen. Ich wollte mein Buch zuerst "Zickzack der Zukünfte" betiteln. In den 50er Jahren gab es eine ganz große Angst vor kommenden Atomkriegen, das ist heute völlig vergessen. Ab 1955 gab es eine Welle der Euphorie für das friedliche Atom, an der Spitze hier übrigens Ernst Bloch, der Philosoph der Utopie. Dabei gab es kaum Atomkraftwerke. Die wenigen, die es gab, waren Anhängsel der Militärapparate, die keineswegs rentabel gewesen wären. Es war eine merkwürdige, unbegründete Euphorie. Ich kann das nur psychologisch deuten, dass man nach all der Angst neue Hoffnungshorizonte benötigte. Wie es dann Mitte der 70er Jahre in das Gegenteil umschlug, kam auch für mich überraschend. Ich habe 1973 mit meinen Recherchen begonnen, als ich noch selber Fan der Atomenergie war und war verblüfft, wie die Bewegung eskalierte.

Gab es besondere Überraschungen bei diesem Rückblick?

Es hat mich schon sehr überrascht, wie unsicher Konrad Adenauer intern doch war. In der Öffentlichkeit galt er als alter Starrkopf, aber er war in Wahrheit ein nachdenklicher Mensch, der in seinen Ansichten schwankte und manchmal Angst hatte, ob man nicht doch Gefahr laufe, in einen Atomkrieg verwickelt zu werden. Adenauer hatte Anfang der 60er Jahre Sorge, sein Verteidigungsminister Strauß würde die Bundesrepublik in einen Krieg hineinmanövrieren. Er hatte folglich die gleichen Sorgen wie die Anti-Atomtodbewegung. Das hat mich verblüfft. Das zeigte auch, wie wenig offen in den höchsten Kreis über das Risiko eines Atomkrieges gesprochen wurde. Auch Adenauers Biograph, Hans-Peter Schwarz, hat mir einmal geschrieben, dass die Gefahr eines Atomkrieges durchaus real war und die denkwürdigen Worte hinzugesetzt: "Dass uns dies erspart blieb, könnte ein Hinweis darauf sein, dass es doch so etwas wie eine gütige Vorsehung gibt." Deshalb hat es mich auch empört, dass deutsche Historiker die Friedensbewegung als deutsche Hysterie abgetan haben. Ein sehr ungerechtes Urteil.

Sie wollten die Geschichte als Zickzack beschreiben. Wer hatte die ursprüngliche Idee vom Zickzack?

Das war Jürgen Kuczinsky, der große alte Mann der DDR-Geschichtsschreibung. Im Sommer 1990, als die DDR noch existierte, sind wir in Ost-Berlin in einer Sommeruniversität aufgetreten und da kam es dazu, dass ein verstörter Alt-Kommunist Kuczinsky geradezu flehentlich fragte, er verstehe die Welt nicht mehr, alles woran er geglaubt hätte, zerbröckelte jetzt, Kuczinsky sollte die Situation doch bitte klären. Kuczinsky mit seinem unverwüstlichen Humor, sagte: "Genosse Engels hat ganz richtig erkannt, der Fortschritt der Geschichte verläuft nicht linear, sondern verläuft im Zickzack. Na ja und jetzt sind wir gerade in einem Zack." Er hat in der Folgezeit, obwohl schon fast 90 Jahre alt, tatsächlich ein Buch über den Zickzack der Geschichte herausgebracht. Das hatte mich auf das Zickzack-Motiv gebracht.

Vortrag am Max-Planck-Institut in Köln

Joachim Radkau, geboren 1943, ist Professor emeritus an der Universität Bielefeld. Er habilitierte sich mit einer Studie über Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Radkau bekannt, als er eine Weltgeschichte der Umwelt veröffentlichte.

Am heutigen Donnerstag, 17 Uhr hält Radkau am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln einen öffentlichen Vortrag mit dem Titel: "Gedanken zur Zukunft der Zukunftsgeschichte".

Sein neues Buch: "Geschichte der Zukunft" erschien im Hanser-Verlag. (red)

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