„Hart aber fair“Sterbende Flüchtlinge – „Ich kann das nicht mehr mit anhören“

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Cem Özdemir (l.) zu Gast bei Frank Plasberg

Köln – Irgendwann reicht es Cem Özdemir. „Ich kann das nicht mehr mit anhören“, sagt der Grünen-Politiker. Gerade geht es um die Frage, was schlimmer ist: Im Mittelmeer zu ertrinken oder in einem lybischen Flüchtlingscamp zu leben. „Es ist beides unerträglich.“ Zumindest in diesem Punkt sind sich die Talkenden einig: Das Sterben vieler Flüchtlinge und die Zustände in nahezu allen Flüchtlingslagern seien ein Skandal.

Was man dagegen tun kann, woran eine gemeinsame Politik scheitert und welche Fehler gemacht werden – darüber wird allerdings heftig gestritten. Frank Plasberg diskutiert in seiner letzten Sendung vor der Sommerpause, im August geht es weiter, mit seinen Gästen das Thema: „Tod im Mittelmeer, Elend im Lager – ist uns das Flüchtlingsleid egal?“ Zu Gast sind:

  • Manfred Weber
  • Isabel Schayani
  • Petra Bosse-Huber
  • Cem Özdemir
  • Nikolaus Blome

Die Sendung startet mit einer Kurz-Reportage von der griechischen Insel Lesbos. WDR-Journalistin Isabel Schayani war bereits im September in Lesbos, als dort ein Feuer wütete. Ihr Film offenbart, dass die Zustände weiter sehr schlecht sind: Zelte, Enge, Dreck. Eine junge Mutter von zwei Kindern, geflohen aus Syrien, schwanger im achten Monat, schildert ihre dramatische Lage. Ihr Asylantrag wurde von den griechischen Behörden abgelehnt, die Türkei nimmt sie aber nicht zurück. Wie es jetzt weitergeht, weiß sie nicht. „Als ich mir in der Maske vor der Sendung gerade den Lippenstift nachgezogen habe, hat sie mir eine Nachricht geschrieben“, erzählt Schayani. In zehn Tagen müsse sie die Insel verlassen.

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Flüchtlinge als Druckmittel

„Die Flüchtlingspolitik ist ein Scheitern Europs“, sagt CSU-Europapolitiker Weber. Er bezeichnet die Situation in den Lagern als einen „unhaltbaren Zustand“. Regierungschefs aus Marokko oder der Türkei, die Flüchtlinge als Druckmittel einsetzen, europäische Staaten, die Alleingänge machen und mittendrin Flüchtlinge, die keine Perspektive haben. „Das Problem ist, dass die Türkei die Flüchtlinge nicht zurücknimmt“, sagt Journalist Nikolaus Blome. Plasberg fragt nach, wie man damit umgehen soll. Etwas noch mehr Geld für Erdogan? „Wie wäre es denn mit weniger Geld?“, antwortet Blome.

Özdemir schlägt ein sogeanntes „Resettlement“ vor. Dahinter steht die Überlegung, von einem sicheren Ort einen Asylantrag stellen zu können. Nachdem darüber entschieden wurde, sieht man weiter. Viele Staaten seien bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. „Auch deutsche Kommunen haben gesagt, dass sie das können und wollen“, sagt er. Özdemir spricht von 40.000 Flüchtlingen. Angesichts der Zahl, die Petra Bosse-Huber präsentiert, klingt das wie eine Farce. „In Jordanien gibt es zehn Millionen Einwohner, eine Millionen davon sind Flüchtlinge“, sagt sie.

Sterben mehr Menschen, wenn mehr gerettet wird?

An vielen Stellen offenbart sich die verfahrene Diskussion. Keiner möchte, dass Flüchtlinge sterben oder leiden. Damit das nicht passiert, fordern die einen, in dieser Sendung sind es Blome und Weber, neben humanitären Hilfen auch Härte an den Außengrenzen. Die andere Seite, Pars pro toto in diesem Fall Bosse-Huber, betont hingegen, dass es noch mehr humanitärer Hilfe bedarf. Sie verweist darauf, dass es nur noch zivile Seenotrettung gebe, während die staatlichen Rettungsmissionen längst eingestellt seien. Blome kontert, dass genau das problematisch sei. „Die Zahl der Toten ist gesunken, seit weniger Rettungsboote unterwegs sind.“ Bosse-Huber widerspricht: „Es gibt keine Studie, die belegt, dass Menschen auf die Boote gehen, weil sie auf Rettung hoffen.“ Was stimmt, bleibt offen.

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Einig waren sich die Talkenden in einem anderen Punkt. Die sozialdemokratische Regierung Dänemarks hat beschlossen, dass es künftig null Asylbewerber auf dänischem Boden geben soll. Während über einen Asylantrag entschieden wird, werden Flüchtlinge in Partnerländer nach Afrika ausgeflogen. Egal ob die Entscheidung positiv oder negativ ist: Zurück nach Dänemark werden sie nicht kommen. Ob das mit EU-Recht vereinbar ist, wird sich noch zeigen. Dieses Gesetz setze ein fatales Signal, finden Plasbergs Gäste: Gegen europäische Solidarität, gegen Humanismus, für Abschottung.

Was bleibt von dieser Diskussion?

In aller erster Linie wird das Problem bleiben. 18 Monate Corona haben den Blick auf andere wichtige Dinge vernebelt. Wer diese Sendung gesehen hat, inklusive der Bilder aus Moria, wird sich inständig wünschen, dass es nicht nochmal so lange dauert, bis das Thema wieder besprochen wird.

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