„Hart aber fair“ zu Corona-ImpfstoffLauterbach: „Das ist ein ganz klarer Durchbruch“

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Lauterbach Maske

SPD-Politiker und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach war Gast bei „Hart aber fair“.

Köln – Nachdem es in der vergangenen Woche noch um die US-Wahl gegangen war, drehte sich in „hart aber fair“ am Montagabend einmal mehr alles um das Coronavirus. Moderator Frank Plasberg fragte: „Durchbruch beim Impfstoff: Hoffnungsschimmer statt Horror-Winter?“

Die Gäste

Peter Tschentscher (SPD): Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg

Karl Lauterbach (SPD): Bundestagsabgeordneter und Gesundheitsexperte

Alles zum Thema Hart aber fair

Steffen Henssler: Restaurant-Besitzer und TV-Koch

Prof. Dr. Isabella Eckerle: Virologin, Leiterin des Zentrums für neuartige Viruserkrankungen an der Universitätsklinik in Genf (Schweiz)

Wolfgang Kubicki (FDP): Vizepräsident des Deutschen Bundestages und stellvertretender Bundesvorsitzender

Kristina Dunz: Journalistin und stellvertretende Leiterin des Parlamentsbüros der „Rheinischen Post“ und hatte Corona-Infektion

Was bewirkt die Nachricht, dass es einen Impfstoff gibt?

Eckerle durfte sich als erstes äußern. Für die Virologin ist der Impfstoff ein „ganz wichtiges Hoffnungssignal“. Dennoch, betonte sie, werde er „uns nicht die Herausforderungen ersparen, die in den nächsten Monaten vor uns liegen“. Auch Gesundheitsexperte Lauterbach war sichtlich froh über die Nachricht. „Das ist ein ganz klarer Durchbruch“, sagte er. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Impfstoff nicht helfe, sei sehr gering. Es sei möglich, in kurzer Zeit relativ große Mengen herzustellen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Virus zusammen mit weiteren Impfstoffen besiegen, ist sehr groß“, sagte Lauterbach.

Misstrauisch ob der Geschwindigkeit, in der der Impfstoff entwickelt worden ist, müsse man indes nicht sein, erklärte Eckerle: „Trotz der Geschwindigkeit wurden bei der Sicherheit keine Abstriche gemacht.“ Ein Allheilmittel ist der Impfstoff allerdings nicht, wie Lauterbach fand. Er helfe zu rund 90 Prozent. „Statt 100 Kranken haben wir durch den Impfstoff dann nur zehn“, erklärte er. Jedoch sei nicht sicher, ob die 90 Personen, die keine Symptome bekommen, wirklich nicht angesteckt worden oder ansteckend seien.

Steffen Henssler freute sich ebenfalls über die Nachricht, sagte aber auch, dass diese nichts ändere „an dem, was gerade stattfindet und noch stattfinden wird“. Der Impfstoff sei zwar ein Lichtblick für seine Mitarbeiter in Kurzarbeit. Aber: „Das Thema ist noch nicht gegessen.“ Doch wie viel Impfstoff bekommt Deutschland überhaupt? Lauterbach sagte, die Bundesregierung habe rund 375 Millionen Euro in den Hersteller Biontech gesteckt. Auf EU-Ebene sei nun ein Vertrag in Vorbereitung. Von beispielsweise 300 Millionen Dosen stünde Deutschland dann ein Anteil zu. „Dieser Vertrag steht vor dem Abschluss“, sagte Lauterbach.

Wer wird geimpft?

Peter Tschentscher plädierte dafür, sich auf diejenigen zu konzentrieren, die es am dringendsten brauchen. „Wir müssen das Ziel vor Augen haben, schwerste Erkrankungen zu verhindern.“ Einen Streit darüber, wer zuerst geimpft wird, dürfe es nicht geben. Wolfgang Kubicki war indes der Meinung, zuerst die Personen zu impfen, die mit Patienten in Kontakt kommen: Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger.

Wissenschaftlich betrachtete Lauterbach die Situation. Es gebe Impfstoffe, die bei jüngeren Leuten besser wirkten und solche, die es bei älteren täten. Das müsse berücksichtigt werden. Aber: „Der Biontech-Impfstoff wirkt zufällig wahrscheinlich in den Gruppen am besten, die wir in den Fokus rücken.“

Sollte es eine Impfpflicht geben?

Nein, da war sich Dunz sicher. „Eine Impfpflicht wäre Wasser auf die Mühlen der Leugner“, sagte sie. „Man kann nur auf die Einsicht der Menschen hoffe und möglichst viel Freiheit gewähren. Eine Pflicht würde die Polarisierung verschärfen.“ Kubicki ist ebenfalls gegen eine Pflicht. „Das logistische Problem würde enorm vergrößert werden“, sagte er. Das sei von der Größenordnung her nicht machbar. Lauterbach sagte: „Je besser der Impfstoff ist, desto weniger muss ich impfen um Herdenimmunität zu erreichen.“ Und wenn ein Impfstoff wie bei Biontech zu 90 Prozent wirkt, sei eine Herdenimmunität auch auf freiwilliger Basis erreichbar.

Wann brauchen wir keine Einschränkungen mehr?

Das wird dauern. So viel steht wohl fest. „Es gibt kein Entweder-oder. Der Impfstoff wird helfen, aus der Pandemie rauszukommen, aber er wird nicht alles ersetzen“, sagte Eckerle. Es gebe noch eine „lange Phase, in der wir Regeln beibehalten müssen“. Lauterbach stimmte dem voll zu. „Wir werden auf Maske und Abstand nicht verzichten können“, betonte er. Bis zur Herdenimmunität werde mindestens noch ein Jahr vergehen. „2021 wird im Wesentlichen ein Jahr der Einschränkungen sein“, sagte er.

Wird das, was in Bars oder Restaurants stattgefunden hat, nun nach Hause verlagert?

Tschentscher betonte, dass Hausstände schon vor den Einschränkungen Infektionsgemeinschaften gewesen seien. „Wir müssen die Infektionswege zwischen den Haushalten vermeiden“, forderte der Politiker. Diese seien ein „zusätzliches Infektionsrisiko“. Henssler war unterdessen kritisch. Er fragte sich, wieso es eine Branche wie die Gastronomie so hart treffe, obwohl sie „kein Treiber“ gewesen sei. „Warum fährt man nicht für zwei bis drei Wochen komplett runter, sondern pickt sich einzelne Stücke wie Bars oder Ähnliches nach und nach raus?“

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Kubicki pflichtete dem Koch bei. Es seien in der Gastronomie Hygienekonzepte installiert worden und es gebe „keinen Anhaltspunkt, dass sie nicht funktionieren“. Lauterbach betonte an dieser Stelle, dass es jetzt nicht ausreichend Intensivbetten geben würde, wäre der Wellenbrecher-Shutdown eine Woche später gekommen. „Warum beschließt man ihn dann mittwochs und er gilt erst ab Montag?“, fragte Henssler.

„Wir haben an die Leute appelliert“, entgegnete Lauterbach. Auch Dunz übte in diese Richtung Kritik. „Wir hätten vier Wochen früher Einigkeit zwischen den Ministerpräsidenten gebraucht“, sagte sie. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe bereits Anfang Oktober von „Unheil“ gesprochen. Hier sei das Problem gewesen, dass in einigen Bundesländern, die wenige Fälle hatten, die Akzeptanz gefehlt habe, erklärte Tschentscher.

Eckerle rundete ab: „Wir waren im Sommer in einer super Position. Die Inzidenz war niedrig und alles war ausgerechnet.“ Doch man habe den Sommer mit dem Wunschdenken verbracht, zu allem zurückzugehen und den Herbst ausgeblendet. „Wir müssten nicht an dem Punkt sein, an dem wir sind“, betonte sie. 

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