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„Hart aber fair“ zu CoronaKölner Expertin widerspricht Spahn beim Thema Impfungen

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haf Woopen

Christiane Woopen

Freiheit, sagt Frank Plasberg irgendwann so Mitte der Sendung, sei für ihn, mit seinem Sohn Pommes essen zu können und ins Phantasialand zu fahren. Gut zu wissen eigentlich, aber sind das wirklich diese elementaren Grundrechte, auf die die deutsche Gesellschaft in den vergangenen „14 Monaten Corona-Dauerstress“, wie die „hart aber fair“-Redaktion die Pandemie durchaus trefflich verkompositioniert, verzichten musste?

Oder geht’s in dieser Corona-Sache, in den ganzen leidigen Debatten um Impf- und Öffnungen vielleicht doch – Gott bewahre – um mehr als nur frittiertes Essen und Achterbahnen? Auf vielleicht nicht gerade das, aber ganz sicher noch viel mehr versuchte Plasberg also Antworten zu finden unter dem Sendungsmotto: „Kommt jetzt ein entspannter Sommer? Können wir uns auf die Suche machen nach einem Leben, fast so wie früher?“ Na dann mal los.

„Hart aber fair“: Die Gäste

Karl Lauterbach, natürlich. Hatte der SPD-Gesundheitssuperfachmann doch erst vor knapp zwei Wochen in einem Interview von einem „guten Sommer“ gesprochen. Beziehungsweise, so Plasberg: Er hat schon „vor Monaten einen Supersommer vorhergesagt“. Jetzt aber relativiert Lauterbach leider. Sagt, das sei ja „nur“ für Deutschland gemeint gewesen, weltweit hätte man erst den Beginn der Pandemie überwunden – und überhaupt: Wir können das alles auch noch ordentlich verbocken, wenn wir zu ungeduldig werden. Deutschland müsse noch so Pi mal Daumen drei Wochen durchhalten. Plasberg macht prompt die nächste heikle Rechnung auf: „Bald hat die erste Hälfte von Deutschland die Impfung bekommen – die andere aber nicht.“

Alles zum Thema Hart aber fair

Tja. Puh. Und nun? Außen geht bald einiges, innen nicht so, sagt Lauterbach. Plasberg versucht unter dem Epidemiologen auch noch den Politiker zu finden: Ob er nicht Angst habe, dass er im September bei der Bundestagswahl wegen seiner ganzen Mahnerei seinen Wahlkreis verliere. „Ich habe alles in der Pandemie nach bestem Wissen und Gewissen vorgetragen und nie darüber nachgedacht, was das für eine Wahl bedeutet“, sagt Lauterbach. Er habe als Wissenschaftler agiert, nicht als Politiker. „Wenn ich dafür abgewählt würde, da gäbe es schlimmere Gründe.“ Recht hat er.

Die „Zeit“-Journalistin Anna Mayr muss, sie ist nämlich noch unter 30, in der Runde irgendwie als Stimme der jungen Menschen herhalten, zumindest hätte Plasberg (laut Selbstzuschreibung ein „Boomer“) das offensichtlich gern so. Mayr merkt an, sie betrachte die aktuellen Entwicklungen mit Sorge, die Diskussion um Sommerurlaub sei vielleicht ein bisschen weit weg von der Realität, in der nicht einmal sicher ist, ob nach den Sommerferien alle Studentinnen und Studenten wieder ihre Vorlesungen in Hörsälen haben, alle Auszubildenden wieder in ihre Arbeitsstätten dürfen, alle Schülerinnen und Schüler wieder in die Schule.

Kölner Ethikerin fordert Anpassungen bei der Impf-Strategie

Zwischenfrage Plasberg: „Jetzt hat gerade die ‚Zeit‘-Redakteurin gesprochen, aber was sagt denn die 28-Jährige junge Frau?“

Sie sagt dasselbe. Und sie sagt, sie habe die Befürchtung, dass die „Regierungsparteien kalkulieren, dass der Sommer so schön wird, dass wir vergessen, wie schrecklich das letzte Jahr war. Ich hoffe, dass das nicht verfängt.“ Gekauft.

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Christiane Woopen, Medizinethikerin aus Köln und Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, stellt gleich zu Beginn fest, dass es eine „totale Gerechtigkeit“ nicht gibt, allerdings sei Gerechtigkeit „in Zeiten, in denen etwas knapp wird, umso wichtiger“. Bevor man sich fragen kann, was das jetzt genau bedeuten soll, wird Woopen konkreter: Sie würde sich wünschen, dass der Impfstoff bald nicht komplett prioritätslos verteilt wird, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) es anstrebt, sondern nach vier „Säulen“.

Erstens: In Impfzentren werden weiterhin Menschen geimpft, die nach der ursprünglichen Priorisierung höher gefährdet sind als der ebenso ungeimpfte Rest der Bevölkerung. Zweitens: Haus-, Betriebs- und Privatärzte verfolgen eine „Einladungsstrategie“ für die Patientinnen und Patienten, von denen sie wissen, dass sie den Impfstoff brauchen. Drittens: Mobile Teams impfen in sozialschwachen Vierteln. Viertens: Junge Menschen werden geimpft, damit auch nach den Ferien die Bildung wieder „entspannt losgehen“ kann. Plasberg: „Dafür muss genug Impfstoff da sein.“ Woopen: „Ich kann auch vier Impfdosen auf vier Menschen aufteilen.“ Punkt für sie.

Angekommen in der Liefer-Hölle

Die TV-Köchin Cornelia Poletto will „endlich wieder aufmachen – und zwar richtig“. Sie könne, sagt Poletto, kein verpacktes Essen mehr sehen. „Das ist einfach die Hölle.“ Kurz stellt man sich vor, wie Vergil mit Lieferando-Rucksack einem das Sushi vor die Tür stellt, dann fährt Poletto, die unter ihrem Namen Feinkostladen und Restaurant in Hamburg betreibt, fort. Jeder „Besuch zu Hause“ finde weniger diszipliniert statt als ein Restaurantbesuch. Ist natürlich eine geht-so-überzeugende Argumentation: Nur weil eine gefährliche Sache erlaubt ist, sollte es eine andere auch sein. Aber gut, sie habe „mit ihrem Restaurant einen Ort geschaffen, wo Emotionen stattfinden.“ Nur ist das ja die einzige Sache, an der es in der Pandemie nun wirklich nicht mangelt. Emotionen.

Und dann ist da noch Natalia Bachmayer, ARD-Korrespondentin in Spanien, zugeschaltet aus Madrid. In Spanien gebe es keine „Debatten wie jung gegen alt, geimpft gegen genesen.“ Auch sei man nicht neidisch auf seine geimpfte Großmutter, es gelte das Motto „Hauptsache Oma ist in Sicherheit.“ Und trotz vierter Welle sei in Spanien ja mittlerweile wieder viel geöffnet, die Außengastronomie zum Beispiel. „Mein Plädoyer: Mehr Spanien wagen“, sagt Bachmayer. Und dagegen kann man erstmal natürlich nichts haben.

Brav am Ballermann

Am Ende geht Plasberg noch mit Ute Dallmeier, Geschäftsführerin eines Reisebüros, im Einzelinterview alle möglichen Urlaubsländer durch: Niederlande? „Nicht nur was für Geimpfte und Mutige, aber zu Pfingsten wegen hoher Inzidenz kein Reiseland.“ Frankreich? „Würde ich raten, da schon was fest zu machen.“ Mallorca? „Die Gefahr, dass wir volle Strände haben, sehe ich nicht kommen. Wir reden ja über verantwortungsvolle Menschen.“

Verantwortungsvolle Menschen? Auf Mallorca? Spätestens da ist man sich sicher: Irgendwo haben wir uns auf der „Suche nach einem Leben, fast so wie früher“ verlaufen. Das Ende des Weges jedenfalls scheint noch lang nicht in Sicht. 

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