„Köln ist der große Star“Neuer Masterstudiengang für Entertainment an der ifs

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Masked Singer

Der Erfolg von "The Masked Singer" ist für Jennifer Mival ein Zeichen dafür, dass die Zuschauer Live-Fernsehen wieder mehr Live-Fernsehen wollen. 

  • Jennifer Mival, die bis vor kurzem bei Netflix gearbeitet hat, wird Professorin an der Internationalen Filmschule Köln ifs für den Masterstudiengang "Entertainment Producing".
  • Im Interview spricht sie über die Umbrüche in der Branche und warum es wichtig ist, sich die gesellschaftliche Bedeutung von Unterhaltungsformaten zu vergegenwärtigen.

Köln – Frau Mival, Sie werden Professorin für den neuen Masterstudiengang „Entertainment Producing“ an der ifs internationale filmschule köln. Wie muss ein solcher Studiengang aussehen?

Diese Frage stelle ich mir gerade auch. Aber die stelle ich mir zum Glück nicht allein, der Studiengang ist ja auf Initiative und mit Unterstützung von Petra Müller, der Chefin der Film- und Medienstiftung NRW, entstanden. Der Akkreditierung des Studiengangs gingen Pilotprogramme und eine intensive Entwicklungsphase im engen Austausch mit den Kölner Produzentinnen und Produzenten voraus. Aktuell läuft zum Beispiel die Masterclass Entertainment, die einige der Inhalte abdeckt. So tasten wir uns ran. Die weiteren Inhalte entstehen in sehr enger Kooperation mit der Branche und einem wachsenden Pool von Dozentinnen und Dozenten. Ich wünsche mir, dass dieser Austausch auch nicht irgendwann abgeschlossen ist. Wir wollen in einem sehr engen Dialog bleiben. Trotzdem haben wir uns schon jetzt ein paar Schwerpunkte gesetzt.

Nun ist ja Unterhaltung ein weites Feld.

Ja, da gibt es extreme Unterschiede, auch in der Produktion. Eine Studioshow wird anders produziert als Factual Entertainment. Hier vergleichend zu schauen, welche kreativen Herausforderungen entstehen, ist ein weiterer Aspekt. Wir wollen Unterhaltung ganz bewusst genreübergreifend betrachten, weil gerade an den Grenzen Innovation stattfindet. Es gibt momentan so viel Umbruch, dass man sich nicht nur auf eine Unterform des Genres konzentrieren kann.

Kann man lernen, gute Ideen zu entwickeln?

Ich glaube, es gibt grundlegende Fragestellungen und Innovationstechniken, die helfen, eine Idee zu fokussieren und weiterzuentwickeln. Wenn man da an Muster rangeht und klare Fragen stellt, ist das hilfreich: An wen richtet sich das? Wo soll es laufen? Wenn man außerdem Vorbilder analysiert, Vergleiche zieht und das Wissen um den Markt nutzt, hilft das enorm beim Entstehen neuer Ideen.

Kann man das in der Laborsituation eines Studiums lernen?

Das eine schließt ja das andere nicht aus. Wir verstehen uns als Ergänzung, unser Masterstudiengang ist berufsbegleitend angelegt und richtet sich an ambitionierte Profis wie Producer*innen oder Redaktionsleiter*innen. Ein Studium kann kein Ersatz für die Praxis sein, aber wir glauben, dass bestimmte Aspekte beim Learning by Doing eine eher untergeordnete Rolle spielen. Zum Beispiel die kritische Auseinandersetzung mit dem Genre. Was tun wir? Warum tun wir das? Was löst das aus? Welche Wirkmacht haben Unterhaltungsformate? Das ist auch eine Aufgabe für uns.

Warum ist Ihnen das wichtig?

Die „reine Unterhaltung“ gibt es aus meiner Sicht nicht. Unterhaltung vermittelt immer auch Werte, zum Beispiel durch die Auswahl der Themen, der Gäste oder durch die Fokussierung auf bestimmte Szenen im Schnitt. Da werden immer auch viele gesellschaftsrelevante Fragen mitverhandelt. Es ist wichtig, sich das klarzumachen, sich zu fragen, wie man damit umgeht und welche Akzente man setzen möchte.

Damit so etwas wie zuletzt in der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ nicht passiert?

Ein Verständnis für die gesellschaftliche Bedeutung von Unterhaltungsformaten soll sich wie ein roter Faden durch unser Studium ziehen. Es gibt einen Bedarf, in Ergänzung zur praktischen Arbeit genau über solche Themen zu sprechen und vergleichend zu reflektieren: Welche Bewertungskriterien gibt es? Welche Qualitätsstandards? Welche Impulse gehen davon aus? Wir wollen das offen diskutieren, um der gesellschaftlichen Verantwortung von Unterhaltung gerecht zu werden. Wer denkt, es ist „nur Unterhaltung“ hinterfragt nicht ausreichend. Das sollte man aber tun, denn Unterhaltung ist meist reichweitenstark und hat eine große Publikumswirksamkeit.

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Tabubrüche sorgen ja aber für Quote. Wie geht man mit diesem Spannungsfeld um?

Das ist keine theoretische Fragestellung, diesen Fragen ist man tagtäglich ausgesetzt. Denn die Grenze dessen, was als Norm empfunden wird, verschiebt sich andauernd. Und weil Unterhaltung so eine große Reichweite hat, werden da unter der Oberfläche Spielregeln und Normen verhandelt. Bei der Diskussion um „Big Brother“ ging es ja nicht nur um die allseits präsenten Kameras, sondern auch darum, dass ein Gewinner nicht auf der Basis von Leistung, sondern allein aufgrund von Beliebtheit gekürt wurde. Das hat an Werten gerüttelt. Unterhaltung ist scheinbar ein Abbild von Realität, folgt aber Spielregeln, die teilweise Tabus brechen und neue Maßstäbe setzen können. Da steckt immer viel Pulver drin. Das Ausloten der Grenzen des Mach- und Sagbaren gehört dazu. Wir wollen uns für diese Fragen Zeit nehmen und im Austausch mit der Branche ein akademisches Diskussionsforum bieten. Es ist eigentlich erstaunlich, dass es das bisher mit Fokus auf Unterhaltungsformate noch nicht gab.

Wie sehr hat das Aufkommen der Streaming-Portale den Markt verändert?

Da stehen wir noch am Anfang, aber ich beobachte schon jetzt einen großen Umbruch. Zum einen ist das ein wachsender Markt, und wenn es neue Player gibt ist das ein sehr gutes Feld für Originalität. Das veränderte Sehverhalten spielt dabei eine wichtige Rolle. Es ist etwas anderes, wenn ich ein non-fiktionales Format im On-Demand-Bereich anschaue. Es verändert die Formatierung, den Produktionsprozess und die rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere, wenn ich nicht mehr nur für den deutschen Markt produziere, sondern für die Welt. Die Ankunft des Streaming hat enorme Veränderungen angestoßen.

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Jennifer Mival

Wo sieht man diese Entwicklungen?

Zum Beispiel im Inhaltlichen. Bestimmte Genres funktionieren on-demand einfach besonders gut. Etwa die, die sich an die Fiction anlehnen und über mehrere Folgen etwas erzählen. Eine Dating-Reality wie „Love is blind“ etwa. Auch im Bereich Dokutainment wird das serielle Erzählen im On-Demand Bereich eine größere Rolle spielen.

Verändert das auch die klassischen Sender als Wechselwirkung?

Ich glaube ja. Die klassischen Sender sind experimentierfreudiger geworden und in der Suche nach Alleinstellungsmerkmalen besinnen sie sich auf die Stärken des Linearen. Das Thema Live spielt wieder vermehrt eine Rolle und wird mit großem Publikumsinteresse belohnt. „The Masked Singer“ wurde international eher vorproduziert, in Deutschland aber live ausgestrahlt, und das ist für Pro7 extrem gut aufgegangen. Live ist etwas, was konsequent auf das gemeinsame Schauen ausgerichtet ist und das Mitfiebern via Social Media. Da sagen die TV-Sender: Streaming kann ein paar Sachen ganz gut, aber wir eben auch. Das rücken sie deshalb in den Vordergrund.

Die Abgesänge auf die große Fernsehshow nach dem Aus von „Wetten, dass..?“ waren also verfrüht?

Ja, ich denke das waren sie. Natürlich sind die Marktanteile aufgrund einer Vielfalt von Konkurrenz nicht in der gleichen Dimension zu erwarten wie einst bei „Wetten, dass...?“. Aber das Bedürfnis nach einem Gemeinschaftserlebnis ist nach wie vor da. Die große Show kann hier punkten, gerade auch während der Corona-Pandemie wie vergleichsweise starke Quoten für „Let“s Dance“ zeigten. Diese Sehnsucht nach dem Gefühl, ich bin nicht allein, ist sehr tief verankert in uns.

Warum ist Köln der richtige Standort für einen solchen Studiengang?

Wenn es um Unterhaltung geht, kommt man an Köln nicht vorbei. Das sieht man an den Hauptsitzen der großen internationalen Produktionsfirmen, die sind alle in Köln. Es gibt auch andere wichtige Standorte in Deutschland, aber wenn es um non-fiktionales Entertainment geht, ist Köln der große Star.

Zur Person

Jennifer Mival verantwortete zuletzt bei Netflix den Bereich Non-fiction Original Series für den deutschsprachigen Markt und Skandinavien. Zuvor war sie für Seapoint, ITV Studios und ProSiebenSat.1 tätig, sowie als Programmchefin beim Jugendsender Joiz.

An der ifs internationale filmschule köln startet zum Wintersemester 2021/22 Deutschlands erster Entertainment-Master. Der zweijährige berufsbegleitende Studiengang „Entertainment Producing“ wurde initiiert von der Film- und Medienstiftung NRW.  

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