„Nathan“ am Schauspiel KölnWarum Toleranz so eine Zumutung ist

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Bruno Cathomas und Melanie Kretschmann 

Köln – „Ich werde keinen Trost finden“: Diese bittere Erkenntnis  bleibt dem jungen Biogenetiker Eitan nach dem tragischen Ende von Wajdi Mouawads Stück „Vögel“. Der Sohn jüdischer Eltern hat es selbst ausgelöst, als er sich in die arabische Doktorandin Wahida verliebte, dabei auf einen Neuanfang in Liebe und Vergebung hoffte. Er hatte die Rechnung ohne die Geschichte gemacht.

Mit „Vögel“ läutete Stefan Bachmann vor zwei Jahren die Spielzeit am Schauspiel Köln ein, nun liefert er zur Eröffnung der Saison 21/22 mit Lessings „Nathan der Weise“ die Hintergrund-Geschichte nach.

Mit dickem Trauerrand

Wir befinden uns immer noch in Jerusalem, nur 800 Jahre früher. Das Ensemble ist noch dasselbe, die Kulissen ebenfalls: Stühle und Tische aus Metall und Glas vor Vorhängen aus halbdurchsichtigen Plastiklamellen, als Filmbild kadriert von einem schwarzen Rahmen, der als dicker Trauerrand doubelt.

Erneut ruft Alexander Angeletta (er hatte in der Filmfassung  die Rolle des Eitan von Nikolay Sidorenko übernommen) aus: „Ich werde keinen Trost finden!“ Dazu stolpert er durch eine Landschaft aus brennenden Palmen, die scheinbar direkt aus „Apocalypse Now“ ins Depot 1 gepflanzt wurde,  oder aus einer „Tagesschau“ des Augusts.

Stückbrief

Regie: Stefan Bachmann

Bühne und Kostüme: Jana Findeklee, Joki Tewes

Musik: Matti Gajek

Mit: Alexander Angeletta, Bruno Cathomas, Margot Gödrös, Lena Kalisch, Lola Klamroth, Melanie Kretschmann, Martin Reinke, Kais Setti

Termine: 12., 25., 26. 9.; 6., 8., 13., 19. 10. , 120 Minuten, keine Pause

Diesmal spielt Angeletta den fanatischen Tempelherrn Curd von Stauffen, der an den Zumutungen der Toleranz verzweifelt: Ausgerechnet der unbarmherzige Sultan Saladin  hat ihm das Leben geschenkt und der Jude Nathan verfolgt ihn, seit er dessen Tochter Recha aus brennendem Haus gerettet hat, mit Freundschafts- und Geldangeboten. Bachmann lässt Curd aus dem Hass-Manifest des Massenmörders Anders Breivik zitieren, in dem sich dieser als Nachfolger der Tempelritter stilisiert.

Es ist nicht das letzte Mal an diesem Abend, dass der Kölner Intendant Lessings edelmütige Aufklärungsideen durch aufrührerische Fremdtexte herausfordert; nietzscheanische Moralabsagen zum Recht des Stärkeren, linke Identitätspolitik, mit deren Hilfe sich jeder als Opfer über den Diskurs erheben kann.

Versöhnungsangebote aus Wolfenbüttel

Das geht kaum anders, nach dem Holocaust lässt sich das Versöhnungsangebote aus Wolfenbüttel nicht mehr ungebrochen auf die Bühne bringen. Als Nicolas Stemann das Stück vor elf Jahren am Schauspiel Köln inszenierte, stellte er dem Klassiker Elfriede Jelineks  schroffe „Nathan“-Widerrede „Abraumhalde“ entgegen.

Bachmann erzählt, ergänzt und persifliert den Text eher, als dass er ihn mit Gewalt aufbricht. Sein „Nathan“ ist ein böses Märchen. Sind denn die Grenzen und Widersprüche der Aufklärung nicht bereits bei Lessing angelegt? Wenn – so erläutert Nathan dem Sultan seine Parabel von den drei Ringen –  sich alle Religionen auf überlieferte Geschichten gründen, warum sollten sie  dann, wie er schlussfolgert, „auf Treu und Glauben angenommen werden“, wo sie doch eines letzten Grundes entbehren?

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Und wenn dennoch jeder  die eigenen Geschichten am wenigsten in Zweifel zieht, folgt daraus noch lange kein Toleranzgebot. Wie einst die Lassie Singers prophetisch sangen: „Jeder lebt in seiner eigenen Welt/ Aber meine ist die richtige.“

Die Ringparabel legt Bachmann seinem langjährigen Protagonisten Bruno Cathomas vertrauensvoll in die Hände und der füllt diese Pflicht-Deutschstunde – der „Nathan“ ist dieses Schuljahr Bestandteil des NRW-Zentralabiturs – maximal mit Leben und Dringlichkeit, flapsig unterbrochen von Kais Settis Sultan. Mit seiner Schwester Sittah (Melanie Kretschmann, die auch deren Gegenpart, die bigotte Christin Daja spielt), bildet Saladin ein migrantisches Hipster-Paar: Die wollen nur spielen.

Ziemliche Pappkameraden

Ganz im Gegensatz zu Martin Reinkes Patriarchen. Der will Nathan auf dem Scheiterhaufen sehen, da dieser ein Christenkind  als eigenes großzog, und  dessen Zeilen „Denn ist nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt?/ Zu sagen: – ausgenommen, was die Kirch’/ An Kindern tut“ knapp 250 Jahre später gewaltig nachhallen.

Lessings Figuren sind, den Nathan selbst ausgenommen, ziemliche Pappkameraden und daran können weder Bachmann noch sein Ensemble etwas ändern. Lola Klamroth, die als Wahida in „Vögel“ eine beachtliche Wandlung durchmacht, muss sich hier im Rollstuhl durch die Szenen fahren lassen und bekommt unter ihren Bandagen nicht viel zu tun.

So bleiben trotz beherzter Kürzungen einige Längen. Der Schluss dagegen gelingt: Die Versöhnten, die eben noch die Arme als Schwingen ausbreitend in alle Richtungen davonzufliegen drohten (ein Selbstzitat aus der „Vögel“-Inszenierung), finden sich noch einmal zusammen, um Udo Lindenbergs „Wir ziehen in den Frieden“ zu schmettern. Das Publikum applaudiert im Takt. Da fragt man sich, was für ein schlechter Mensch man ist, dass man solch Gutmenschen-Schlager  – ob von Lindenberg oder Lessing – schlimmer findet als Mord und Totschlag?

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