„Nicht abreißen, sondern neu nutzen“

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Die Zeche Zollverein in Essen

Die Zeche Zollverein in Essen

Herr Scheytt, wie kommt es, dass der Kulturinvestkongress nach zehn Jahren in Berlin nun zum ersten Mal in Essen stattfindet?

Es gab eine Initiative seitens der Stiftung Zollverein und einiger anderer Persönlichkeiten, den Kongress im Wechsel mit Berlin stattfinden zu lassen. Die Metropole Ruhr ist mit mehreren Einrichtungen als Kulturmarke des Jahres ausgezeichnet worden – Stichworte Ruhr.2010, Dortmunder U. Das ist nun mal der größte Ballungsraum in Deutschland und der drittgrößte in Europa, so dass es Sinn macht, den Kongress auch hier zu veranstalten.

Was darf man in Essen erwarten?

Das Besondere an diesem Kongress ist, dass Vertreter der Wirtschaft, der Kultur und Politiker zusammenkommen. Es gibt monothematische Aspekte, etwa zu Kulturimmobilien, Fundraising oder Digitalisierung, die von verschiedenen Seiten beleuchtet werden, immer jeweils aus der Sicht der drei Sektoren Wirtschaft, Kultur und Politik.

Welches Interesse hat die Wirtschaft an kultureller Förderung?

Es gibt verschiedene Motive, dazu gibt es Studien etwa durch den BDI – ganz vorne steht, nicht bloß das Ziel zu verfolgen, Geld zu verdienen, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Hinzu kommt, wie beim Sport, Sponsoring; einen sogenannten Imagetransfer zu generieren. Indem ich mich als Förderer zum Beispiel mit den Berliner Philharmonikern verbinde, bekomme ich etwas für das eigene Unternehmen zurück. Die Unternehmen gehen im Übrigen dazu über, nicht bloß einzelne Projekte zu fördern – sie haben zu einem großen Teil Stiftungen. Bayer etwa gestaltet ein ganzes Kulturprogramm in Leverkusen.

Was bedeutet Europa in diesem Zusammenhang? Funktioniert Europa kulturell anders als ökonomisch oder politisch?

Es ist ein Trauerspiel, dass von den neu gewählten Kommissaren keiner mehr den Begriff Kultur in der Bezeichnung seines Tätigkeitsfelds führt. Vielleicht ändert Frau von der Leyen das noch – auf europäischer Ebene müsste man viel mehr tun, um Kultur zu fördern. Wenn man sich überlegt, dass 45 Prozent des Etats der EU in die Landwirtschaft fließen und nur ein Prozent in die Kultur, dann erkennt man darin das Missverhältnis. Denn es ist gerade die Kultur, die in Europa ungeheuer viel verbindet. Es geht auch darum, sich europäisch zusammenzuschließen, um dem mentalen Kapitalismus vor allem der Amerikaner zu begegnen, die mit den Konzernriesen wie Amazon, Facebook und Google auch kulturelle Werte aus Europa abschöpfen – dem entgegenzutreten, dazu fehlt es einzelnen Ländern schlicht an Geld.

Wenn man Sie als ehemaligen Kulturdezernenten Essens fragt, oder den Manager der erfolgreichen Bewerbung zur Kulturhauptstadt – wie hat sich die Region Ihrer Meinung nach entwickelt?

Im Januar 2020 werden wir zehn Jahre Kulturhauptstadt feiern, dann werden die Akteure auftreten, die damals aus dem Projekt hervorgegangen sind. Nach Ruhr.2010 haben das Land und der Regionalverband Ruhr jeweils 2,4 Millionen Euro dauerhaft gegeben jedes Jahr, um Effekte der Ruhr 2010 weiterzuführen. Angesichts eines Gesamtvolumens von 400 Millionen ist das wenig mehr als ein Prozent, dennoch führt das Geld dazu, dass die Kunstmuseen an der Ruhr sich zusammengeschlossen haben und gemeinsame Projekte vorantreiben. Es gibt die Ruhrbühnen als Marke, die 2020 eine gemeinsame Aktion veranstalten. Es gibt touristische Effekte – diese Architektur der Projekte, die das Ruhrgebiet umspannen, hat sich weiterentwickelt.

In welche Richtungen aber denken Sie für künftige Entwicklungen noch weiter?

Wir wollen gemeinsam mit Köln und Düsseldorf die Olympischen Spiele nach Nordrhein-Westfalen holen, und wir werden die Internationale Gartenausstellung hier haben. Das heißt, es geht um die kommenden Dekaden. Was haben wir aus der Internationalen Bauausstellung gelernt? Unsere Objekte, unsere Zechen, unsere Gasometer, nicht abreißen, sondern neu nutzen! Die Ruhrtriennale bespielt diese Orte. Es gibt ein neues Selbstbewusstsein, was diese Orte angeht, man identifiziert sich damit.

Wirken sich die neuen Projekte auf die Infrastruktur aus?

Wichtig ist, dass wir in eine neue Mobilität hineinkommen. Wenn die Olympischen Spiele hier stattfinden, muss der Öffentliche Nahverkehr auf einer anderen Basis funktionieren; hinzu kommen die E-Bikes, die Roller und vielleicht die selbstfahrenden Autos. Darum werden uns später München und Stuttgart beneiden.

Da geht es um viel mehr als Kultur.

Da geht es um Milliarden, na klar! Aber zu lernen, dass 53 Städte und Gemeinden etwas Großes erreichen können, dieses Denken ist noch nicht hinreichend in den Köpfen der Politiker verankert, nicht nur in der Metropole Ruhr.

ZUR PERSON

Oliver Scheytt wurde 1958 in Köln geboren. Von 1993 an war er Kulturdezernent der Stadt Essen. Er managte gemeinsam mit Fritz Pleitgen erfolgreich Essens Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010.

Auf dem heute beginnenden Kulturinvestkongress wird Scheytt als „Europäischer Kulturmanager des Jahres 2019“ mit einen Lifetime Achievement Award geehrt.

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