„Reconquista Internet“Jan Böhmermann will das Internet zurückerobern und geht zu weit

Lesezeit 3 Minuten
Jan Böhmermann im Studio

Jan Böhmermann

Köln – Wir begegnen Hass, Gewalt und Ignoranz mit Vernunft und Liebe. So steht es zu lesen, wenn man sich auf der Chat-App „Discord“ bei der selbst ernannten Bürgerrechtsbewegung „Reconquista Internet“ anmeldet. Fast 60.000 Menschen haben das bereits getan, seit Jan Böhmermann sie vor gut zwei Wochen in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ dazu eingeladen hat. „Wir sind die Wichser, die den Wichsern, die uns den Spaß am Internet verderben, den Spaß am Internet verderben“, hatte Böhmermann, mit Sturmhaube und Stahlhelm angetan, verkündet.

Das militaristische Outfit, der Name und das Logo, selbst das Nutzen des sonst eher bei Gamern beliebten Discord-Channels – all das hatte Böhmermann von „Reconquista Germanica“ übernommen. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk rechter und rechtsradikaler Aktivisten, die vergangenes Jahr versucht hatten, die Bundestagswahl zugunsten der AfD zu beeinflussen. Unter anderem, in dem Soziale Medien manipuliert und politische Gegner mit einem Shitstorm überzogen wurden.

Troll sein ist mehr als ein Hobby

Trolle nennt man solche Provokateure im Netz. Zu seinen Anfangszeiten sollte das Trollen nur die Langeweile übellauniger Jugendlicher killen, inzwischen hat es sich als politisches, mithin terroristisches Instrument professionalisiert, es gibt es Trollfabriken, die gezielte Attacken orchestrieren. Viel zu häufig bestimmt das Trollen heutzutage den Diskurs im Internet, hat es dessen Ideal von der freien Meinungsäußerung pervertiert, in dem es dem Hass und der Mob-Mentalität Vorschub leistet.

Dass Böhmermann – der Internet-Versteher unter den deutschen Satirikern – sich des Themas annimmt, war zu erwarten. Dass er dabei auf sein bewährtes Mimikry-Modell zurückgreift, auch. Wie das funktioniert? Böhmermann reißt keine flapsigen Sprüche über das Zielobjekt seiner Satire, er verwandelt sich in das Zielobjekt selbst, greift es von Innen heraus an. Etwa, wenn er die stromlinienförmige Parade gefühliger deutscher Singer-Songwriter vorführt, in dem er mit „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ einfach einen noch generischeren Hit produziert.

Böhmermann veröffentlicht Listen mit Profilen

Für seine Rückeroberung des Internets bedient sich Böhmermann jetzt also bei der Ästhetik und den Methoden der Trolle. Unter anderem, in dem er über Google Drive zwei Listen mit Twitter-Profilen teilte. Auf der einen finden sich Accounts verzeichnet, die an mindestens zwei Aktionen von „Reconquista Germanica“ beteiligt gewesen sein sollen. Auf der zweiten Liste solche, die mit mindestens zehn Accounts des rechten Spektrums vernetzt seien. Allerdings enthält diese Liste nicht nur die Adressen von Rechtsradikalen, sondern auch solche konservativer Kommentatoren, denen man weiß Gott keine Nähe zu Nazi-Trollen nachsagen kann. Angeblich wurde die Liste von einem Algorithmus erstellt.

Geht die Satire damit zu weit? Nicht, wenn man Böhmermann an Böhmermann misst. Erst als der Moderator sich auf der Internet-Konferenz „re:publica“ feiern ließ und stolz verkündete, man habe, aus Versehen, eine Bürgerrechtsbewegung ins Leben gerufen, ging er zu weit. 60.000 Menschen, die das Gute wollen, in dem sie dem rechten Internet-Mob nacheifern, sind 60.000 zu viel. Höchste Zeit für Böhmermann, dieses Versehen aufzuklären.

KStA abonnieren