„Sie hat nie aufgegeben“

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Das Ehepaar Walter Gropius und Ise Frank im Jahr 1929

Das Ehepaar Walter Gropius und Ise Frank im Jahr 1929

Jana Revedin, was hat Sie für Ise Frank entflammt? Sicher nicht nur, dass sie die Ehefrau eines berühmten Mannes, des Bauhaus-Gründers Walter Gropius, war?

Seit ich studierte, habe ich die Reformarchitektur der Weimarer Republik, also die Idee, dass Architektur Dienst an der Gesellschaft ist, zu meinem Forschungsthema gemacht. Mit meinen Meisterschülern las ich dann Bruno Tauts revolutionäres Buch „Die Frau als Schöpferin – Die neue Wohnung“ von 1924. Darin geht es um die Frage, wie man den für die Hausarbeit eingeteilten Frauen Zeit sparen kann, die sie in eine berufliche Laufbahn investieren können. Und so kamen wir darauf, dass nicht die 1926 von Margarete Schütte-Lihotzky entworfene Frankfurter Küche die erste ergonomisch eingerichtete Küche war, sondern dass es so etwas schon zwei Jahre zuvor am Dessauer Bauhaus gab – nämlich im Wohnhaus des Ehepaars Ise und Walter Gropius. In einer Zeitung fanden wir dann ein herrliches Zitat von Ise Frank: Man muss die Abläufe im Haushalt rationalisieren und den Frauen öde Arbeiten abnehmen, um ihnen ein reicheres Leben zu ermöglichen. Darin lag eine unerhörte emanzipatorische Forderung, wie man sie auch am Bauhaus selten hörte.

Welche Möglichkeiten hatte Ise Frank denn, sich am Bauhaus einzubringen?

Als sie Gropius 1923 kennenlernt, ist der noch in Weimar und bereitet die erste große Bauhaus-Ausstellung vor. Die ist künstlerisch zwar ein Erfolg, treibt das Bauhaus aber in den Ruin und schwächt Gropius auch politisch. Damals will sich Ise Frank wohl noch gar nicht am Bauhaus einbringen. Sie beobachtet diesen Walter Gropius und seine Bauhaus-„Familie“ erst einmal aus kritischer Distanz und findet das alles ziemlich ungewöhnlich. Sie ist ausgebildete Journalistin und weiß, wie es im akademischen Betrieb in Deutschland zugeht. Die neuen Ansätze am Bauhaus überraschen sie, aber bald stellt sie beeindruckt fest: Dieser Gropius trägt nicht nur die gesamte Idee eines offenen, viele Disziplinen verbindenden Unterrichts auf seinen Schultern, sondern auch die Ethik eines menschengerechten Wohnens und Arbeitens für alle. Da sagt sie sich: Das ist schon bemerkenswert, die gesamten rebellischen Ansätze der Zeit in einer Figur vereint.

Und welche Rolle hat sie in dieser Rebellion gefunden?

Sie tut zunächst einmal, was sie gut kann. Als Journalistin und Rezensentin kann sie gut zuhören, gut lesen und gut schreiben. Also bringt sie die Essenz dessen, was Walter Gropius sagt, zu Papier. Sie stellt die richtigen Fragen und formuliert Antworten, wird ganz von selbst zur „Pressechefin“ des Bauhauses.

Das Bauhaus hat bewegte Zeiten erlebt. Es gab politische Machtkämpfe, zwei Umzüge, ebenso viele Direktorenwechsel und 1933 die durch die Nazis forcierte Selbstauflösung. Wie erlebte Ise Frank diese Entwicklung?

Für das Ehepaar Gropius muss der Rückzug vom Bauhaus wie der Verlust eines Kindes gewesen sein. Sie haben sich das Bauhaus zur gemeinsamen Lebensidee gemacht, auch weil sich Ise Franks Kinderwunsch nicht erfüllte. Als sie 1928 dann alles stehen und liegen lassen und nach Berlin zurückkehren muss, ist das ein großer Schlag. In Berlin herrschte damals keine Aufbruchsstimmung mehr wie zu Beginn der 1920er Jahre. Es gab zwar nach wie vor wichtige Wettbewerbe, etwa zur ökologischen Stadt oder zum klimagerechten Bauen. Aber es gab für diese Art der Architektur ab 1933 keine Aufträge mehr. Leider ist dieses fortschrittliche Gedankengut dann für 50 Jahre verloren gegangen.

Wie machte das Ehepaar Gropius weiter?

Sie haben nicht aufgegeben und an der Bauhaus-Lehre festgehalten. Die Idee war für sie weiterhin die richtige, und so gingen sie in die Offensive, etwa durch einen Film, den sie über das Bauhaus drehen ließen. Schon 1930 konnten sie zudem eine Bauhaus-Ausstellung in Paris platzieren. Das war ein Schulbeispiel dafür, wie man eine Idee nicht in der falschen Nische sterben lässt, sondern auf fruchtbaren Boden trägt. Da haben sie Großes geleistet. Ohne diese Vorarbeit hätte es später nicht die bahnbrechende Bauhaus-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art gegeben und vielleicht auch kein Visum für die USA. Aber so etwas kann man nicht planen. Man kann nur beseelt an einer Idee festhalten.

Sie sind Architektin und Architekturtheoretikerin, haben aber bewusst keine wissenschaftliche Arbeit über Ise Frank geschrieben, sondern einen biografischen Roman. Warum?

Ich hätte natürlich ein Fachbuch schreiben können. Aber das erreicht dann nur die Forscherkreise, in denen ich mich normalerweise bewege. Das Bauhaus wollte jedoch etwas für alle schaffen. Es war bewusst darauf angelegt, alle Menschen zu erreichen, egal aus welcher Klasse oder welcher Bildungsschicht sie stammen. Deshalb fragte ich mich: Warum schildere ich Ise Frank nicht als lebendige, als literarische Figur? Es war ein Wagnis, aber ich versuchte es, weil mir nicht nur sie selbst, sondern auch die Menschen wichtig wurden, die sie um sich scharte: Walter Gropius, dessen wunderbare Mutter Manon oder Irene Hecht, die zweite großen Frauenfigur in meinem Buch. Ich habe viel von ihnen gelernt. Etwa wie wichtig es ist, auf die Dauer zu setzen und jedes Projekt als Prozess zu sehen. So wie Ise Frank, wenn sie sich sagt: Wenn nicht Weimar, dann Dessau. Und wenn nicht Dessau, dann Amerika. Und wenn es nicht Amerika geworden wäre, hätte sie noch etwas anderes gefunden, um die Bauhaus-Idee zu retten.

ZUR AUTORIN

Jana Revedin, geboren 1965 in Konstanz, ist Architektin in Kärnten und Venedig und ordentliche Professorin für Architektur und Städtebau an der Ecole Spéciale d´Architecture Paris und der Universität Lyon. Die Verfasserin von Standardwerken der Architekturtheorie ist auf die Reformarchitektur der Moderne spezialisiert, deren sozialen und ökologischen Anspruch sie zum Maßstab zeitgenössischer Architektur und Stadtentwicklung macht. 2014 wurde sie zur Ritterin der französischen Ehrenlegion Chevaliers des Arts et des Lettres geschlagen. In ihrem Buch über Ise Frank erzählt Revedin die Geschichte des Bauhauses aus privater Perspektive – der Ehefrau des Bauhaus-Gründers Walter Gropius.

Jana Revedin: „Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus. Das Leben der Ise Frank“, DuMont Buchverlag, 304 Seiten, 22 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

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