„Siegfried” an der Kölner KinderoperDer Mythos als Märchen

Lesezeit 4 Minuten
_Paul_Leclaire_LR_5164_OperKoln_Siegfried_KHP_20.11.19

Alina Wunderlin als Waldvogel

  • In 80 Minuten wird der dritte Teil der „Ring”-Tetralogie knackig auf die Bühne gebracht.
  • Für Erwachsene ist das genauso attraktiv wie für Kinder.
  • In eine spannende Handlung sind zauberhafte Details integriert.

Köln – „Leuchtende Liebe, lachender Tod“ sind bekanntlich die letzten Worte in Wagners „Siegfried“ – in ihnen gipfelt die Liebesbegegnung zwischen Siegfried und der aus ihrem Schlaf auf dem Feuerfelsen erweckten Brünnhilde ekstatisch auf. In der Kölner Kinderoper, wo jetzt der dritte Teil der „Ring“-Tetralogie in einer altersgerechten und auf eine Aufführungsdauer von 80 Minuten gestutzten Fassung von Brigitta Gillessen und Rainer Mühlbach Premiere hatte, wird daraus „leuchtende Liebe, lachender Tag“.

Das ist ein Zugeständnis an das erwartete Aufnahmevermögen einer Klientel, der man den Begriff „Tod“ offensichtlich nicht zumuten zu können glaubt. Ob man die Zuschauer „ab 8 Jahren“ damit nicht unterschätzt? Vielen von ihnen dürfte das Phänomen radikaler Endlichkeit durchaus vertraut sein – und sei es durch das Ableben des geliebten Meerschweinchens. Im Übrigen kommt „Siegfried“ ja auch zuvor nicht ohne Tote – Fafner und Mime – aus; Leichen pflastern seinen Weg.

Wotan (Insik Choi, l.) setzt Mime (Paul McNamara) zu.

Wotan (Insik Choi, l.) setzt Mime (Paul McNamara) zu.

Ansonsten ist freilich gegen diese neuerliche Annäherung an den „Ring“ wenig einzuwenden. Was man zunächst nicht für möglich gehalten hatte – dass es überhaupt gelingen könnte, diesen Stoff samt Musik einem jungen Publikum nahezubringen –, funktioniert erneut mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit und souveränen Leichtigkeit. Und die Zuhörer im Saal 3 des Staatenhauses wurden mutmaßlich von den Bühnenvorgängen noch stärker gefesselt als etwa im Fall der „Walküre“. Und zwar nicht nur die Kinder, sondern auch die vielen Erwachsenen, bei denen man den Verdacht nicht los wurde, sie seien zum Teil nicht nur als Begleiter ihrer Kleinen mitgekommen, sondern auch, um den „Siegfried“ statt in ermüdender Fünf-Stunden-Länge in einer für sie selbst attraktiven Kurzfassung zu erleben.

Die besondere „Kindertauglichkeit“ ist diesmal allein durch die Handlung gegeben: „Siegfried“ aktiviert halt auch massiv – diese Schicht wird durch die üblichen tiefenpsychologischen, mythenanalytischen und historisierenden Deutungszugänge oft genug überdeckt – klassische Märchenmotive: den bösen Zwerg, den sprechenden Vogel, den Drachenkampf, den Gifttrank, vor allem aber das Motiv des Einen, „der auszog, das Fürchten zu lernen“. Hinzu kommen die durch die Kombination dieser Motive erzeugten Spannungsmomente, die gerade Acht- und Zehnjährige unmittelbar ansprechen.

Das Potenzial voll ausgereizt

Gillessen reizt dieses Potenzial in ihrer Inszenierung voll aus. Aktion und Personenführung sind allemal in hohem Maße lebendig und auf eine sozusagen herzliche Weise nachvollziehbar. Zugleich führt die Stoffkonzentration dazu, dass es hier – für Kinderaugen und -ohren – keine flauen Strecken gibt. Viel Gutes tut erneut Christof Cremers Bühne mit der schon bekannten Weltesche als ikonischem Zentrum und Fafners als goldglänzendes Loch angedeutete Neidhöhle im Hintergrund.

Das könnte Sie auch interessieren:

Höchst sinnfällig gerät Mimes Schmiede im Vordergrund, zu deren zahlreichem Messie-Tand etwa ein ramponiertes Dreirad gehört. Zu den rundum bezaubernden Details zählt die Interaktion zwischen Siegfried und dem (von Alina Wunderlin gestisch hinreißend verkörperten) Waldvogel. Und wenn Siegfried auf seiner Rohrpfeife wieder und wieder Misstöne produziert, dann gibt dies auch einmal berechtigten Anlass zu Heiterkeit.

Gesungen wird durch die Bank ausgezeichnet: Martin Koch als strahlender Siegfried, Paul McNamara als bösartig-meckernder Mime, Insik Choi als würdevoll-resignativer Wotan, Vincenzo Neri als Alberich, Florian Köfler als Fafner und Jessica Stavros als Brünnhilde – sie alle geben darstellerisch wie stimmlich ihr Bestes. Das ist, ohne jede Anspruchsermäßigung, im Kleinen große Oper.

Drastische Leitmotive

Erwartbar kann das von Stefan Behrisch quasi-kammermusikalisch arrangierte Gürzenich-Orchester unter Mühlbachs Leitung auch dank seiner offenen Postierung auf der linken Seite der Bühne nicht das entfalten, was man sich unter einem idealen Wagnersound vorstellt. Die Leitmotive erklingen hier zumal in den Bläsern mit einer Drastik, der man schon eine massiv didaktische Intention zu unterstellen geneigt ist.

Sei’s drum: Wenn die jungen Zuschauer auf diese Weise auch durch die Musik vermittelt bekommen, dass Siegfried erscheint, Nothung glücklich geschmiedet ist, in Mime oder Alberich die Goldgier aufflammt, so ist auch dagegen letztlich wenig zu sagen. Auf die „Götterdämmerung“ darf man jedenfalls schon jetzt gespannt sein.

Nächste Aufführungen: 4., 7., 10., 12., 14. , 16., 18., 19., 22., 23., 29. Dezember

KStA abonnieren