Abo

So wird der „Tatort“Dieses München muss man hassen

Lesezeit 3 Minuten
5FA186006E8A6B46

Ivo Batic (Miroslav Nemec, l.) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) am Fundort der Leiche.

München – Mit den finanziell gehobenen Ständen geht der „Tatort” oft ins Gericht, als seien es Verbrechen, sich von Sushi zu ernähren und eine Haushaltshilfe einzustellen. In der Münchner Folge „Lass den Mond am Himmel stehn” gönnt er ihnen nicht einmal das Tageslicht – die Eltern stapfen durch die großen, dunklen Wohnungen. Und ihre Kinder stapfen durch die Videospiele. 

Emil (Ben Lehmann) ist tot. Er war ein Kind, das gern lachte. In den Münchner Kreisen, die dieser „Tatort” ausstellt, gleicht das einem Kapitalverbrechen. Man fischt ihn aus der Isar, zuletzt war er bei Basti (Tim Offerhaus), seinem Kumpel, beide 13 Jahre alt.

Dann verlor sich jede Spur, sagen Basti und seine Eltern, die in einem teuren Bunker wohnen, der so schalldicht hochgezogen wurde, dass der Vater teure Boxen bauen muss, um überhaupt etwas zu hören von dem Leben vor der Tür – wenn auch nur aus zweiter Hand auf seinen Klassikplatten.

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Für „Tatort“-Fans

„Tatorte“ gibt es viele: klassisch, experimentell, spannend oder doch eher langweilig? In unserer Vorschau erfahren Sie immer bereits ab Samstag, wie der kommende „Tatort“ werden wird.

Direkt im Anschluss an jede Sendung am Sonntagabend folgt dann unsere „Tatort“-Kritik.

www.ksta.de/kultur

Dieses München muss man hassen, so ist es gewollt. Die Töchter sind im Tenniscamp am Gardasee, die Väter schielen jungen Frauen auf die Bluse, die Mütter schenken sich Gin Tonic nach. Was die Tristesse am Laufen hält? Autos mit mehreren Hundert Pferdestärken.

Und mittendrin in diesen stummen, eingefrorenen Bildern, die sich immer wieder an tropfenden Wasserhähnen oder leeren Kinderschaukeln festhalten, gehen die Kommissare Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) ihrer Arbeit nach. Sie tun das schon seit 1991 in nunmehr 84 Fällen, sie heben die Brauen, zucken mit dem Mund. Das reicht als Austausch. Wenn es Arbeit gibt, reichen sie die an den Assistenten weiter. Sie selbst sind eher für Moral zuständig, sie verteilen Haltungsnoten.

Kommentar zur seelischen Ebbe?

Soll man die geleckten, fast gelähmten Bilder tatsächlich für Kunst halten, für einen Kommentar zur seelischen Ebbe, oder ist das eine reine Fingerübung, die sich wichtig machen will mit Pathos? 

Ein Sexparkplatz, auf dem sich Basti heimlich umschaute, und in dessen Nähe Emils Handy geortet wurde, rückt ins Zentrum dieses Stücks (Regie: Christopher Schier, Buch: Stefan Hafner, Thomas Weingartner). Die Bilder hüten sich, einen Zentimeter zu viel Haut zu zeigen. Liebe, zumal die körperliche, ist eine Chiffre fürs Tabu. Oder um ein Wort aus der Corona-Zeit zu nehmen: Liebe ist in diesen Kreisen nicht systemrelevant.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Film legt die Figuren unters Mikroskop, ohne Anteilnahme. Er hält uns eine Vorlesung über die Kältekammern in der auskömmlichen Mittelschicht. Eigentlich fällt so ein „Tatort” in die Gattung Tierfilm. Er zeigt keine Entwicklung, er hält nur drauf auf Triebe und den Drang, zu überleben.

Der Tod ist kein Totalschaden

Der Tod ist kein Totalschaden, sondern eine Sache für den Anwalt. Das Stück suhlt sich in diesem Unglück, es möchte kühl sezieren, es verbeißt sich in den Tunnelblick. Und dreht die Heizung einfach runter. Doch ohne Zimmertemperatur bleibt alles nur ein böser Traum. Zu lernen gibt es nichts in diesem „Tatort”. Nur zu fürchten.

KStA abonnieren