TV-Tipp „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie“Wenn Schläge Alltag sind

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Schulklasse 1952: Körperliche Züchtigung durch Lehrer war bis 1973 nicht verboten.

Schulklasse 1952: Körperliche Züchtigung durch Lehrer war bis 1973 nicht verboten.

Eine Tracht Prügel hat noch keinem geschadet, hieß es noch vor nicht allzu langer Zeit. Körperliche Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern galt bis weit in die 60er Jahre als normal und so legitimes wie legales Erziehungsmittel, und erst mit den Reformbewegungen Ende der 60er Jahre begann allmählich ein Umdenken – und damit setzte sich ein anderes Verständnis von Kindererziehung durch. Bis 1973 war es allerdings Lehrern nicht verboten, ihre Schüler körperlich zu züchtigen, und erst seit 2000 ist die Prügelstrafe in Deutschland gesetzlich verboten.

Ein Gesetz, das allerdings nicht bei allen Menschen hierzulande angekommen ist, von diesbezüglicher Einsicht mal ganz zu schweigen. Erst im vergangenen Jahr mussten die Behörden in Bayern Kinder der fundamentalistischen Glaubensgemeinschaft „12 Stämme“ in Obhut nehmen, weil dort Prügel mit Rohr und Rute als Erziehungsmittel offen und selbstverständlich eingesetzt wurden. Dass Eltern, die ihre Kinder schlagen, angezeigt und bestraft werden können, ist eine Regelung, die für die Protagonisten der beklemmenden Doku „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie“ (ARD, 23.30 Uhr) um Jahrzehnte zu spät kommt.

„Meine Mutter war immer darauf bedacht, dass es nicht im Gesicht sichtbar ist, sondern nur auf dem Rücken“, sagt Helga G., die als 23-Jährige kurz vor ihrer Hochzeit das letzte Mal von ihrer Mutter geschlagen wurde. Helga G. ist eine von drei Menschen, die der Film begleitet und die zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Systemen massiv geprügelt worden sind. Von den Eltern, von Onkel und Tanten, von Nonnen in der Schule.

Tilman Röhrig, Jahrgang 1946, wurde regelmäßig von seinem Vater, einem evangelischen Pfarrer, mit einer Reitpeitsche vertrimmt. „Schlachtstube“ nennt der fast 70-jährige Mann sein Kinderzimmer bis heute. Weder Verwandte noch Nachbarn oder die Lehrer in der Schule nahmen Anstoß an den brutalen Erziehungsmethoden des Vaters, und auch der dritte Protagonist der Doku leidet bis heute an den Folgen der Prügelstrafe, die seine Mutter und auch Lehrer an seiner Schule sehr selbstverständlich ausübten. Weil er die Prügel seiner Kindheit bis heute als demütigend empfindet und weil seine Mutter ihn bis ins Erwachsenenalter maßregeln wollte, hat Lutz, Jahrgang 1959, im Mannesalter mit seiner Mutter gebrochen. „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie“ ist eine Doku, die die Historie von Prügel als Erziehungsinstrument erzählt und auf erschütternde Weise von den Spätfolgen dieser Methode kündet.

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