„Und nun bin ich ganz allein“Das Kriegstagebuch der Kölnerin Klara Mehlich

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Klara Mehlich (002)

Klara Mehlich, porträtiert von ihrem Mann, dem Maler Robert Seuffert.

  • Klara Mehlich war mit Robert Seuffert, einem angesehenen Maler und Professor, verheiratet. Sie hatten drei Kinder.
  • Ihre Tochter Lotte war als junge Frau nach England gegangen. Den Kontakt zu halten, war in der Zeit des Zweiten Weltkriegs schwer.
  • Klara Mehlich begann, Tagebuch zu schreiben. Ihre Einträge werden nun, 80 Jahre nachdem sie entstanden sind, auf einem Blog veröffentlicht.

Köln – In Kriegszeiten gibt es viele schlechte Tage. Für die Kölnerin Klara Mehlich war der 10. Dezember 1940 jedoch ein besonders düsterer. Ihr jüngerer Sohn Robert, genannt Röbi, war bereits Soldat, nun musste auch ihr anderer Sohn Walter in den Krieg. Ihre Tochter Lotte lebte seit 1938 mit ihrem englischen Mann, den sie während ihrer Au-pair-Zeit kennengelernt hatte, in England. Kontakt zu halten mit der Tochter, die seit der Hochzeit britische Staatsangehörige war, war aufgrund des Krieges fast unmöglich. Oft hörten sie wochen- oder monatelang nichts voneinander.

Doch an diesem 10. Dezember 1940 hielt Klara Mehlich es nicht mehr aus, und sie begann Tagebuch zu führen, um für ihr geliebtes Kind festzuhalten, wie sie diese Kriegszeit erlebte. „Und nun bin ich ganz allein“, lautete der erste Satz, es sollten viele weitere folgen, in denen sie ihre Sorge und Sehnsucht niederschrieb.

Lotte Walter Röbi

Die Geschwister Lotte, Walter und Röbi, gemalt von ihrem Vater Robert Seuffert. 

Und über allem hing wie eine große dunkle Wolke die Angst, ihre Kinder vielleicht nie wiederzusehen. „Ich will nun alles, was wert ist aufzuzeichnen, dir mitteilen in der Hoffnung, dass ich alles einmal selbst dir erzählen kann. Wenn nicht, ja Liebchen, dann ist es zwar nicht mein, sondern Gottes Wille, worin wir uns fügen müssen.“

Die Trennung von ihrer Tochter fiel ihr auch deshalb so schwer, weil diese selbst gerade zum ersten Mal Mutter geworden war. „Lottenkind, ich dachte 28 Jahre zurück, wie ich einsam und allein lag und mein Töchterchen geboren wurde. Und nun liegt sie fern der Heimat, niemand bei sich, der ihre Sprache spricht, und bekommt ihr Töchterchen, mein Enkelchen.“ Klärchen nennt Klara Mehlich ihre Enkeltochter Clare, über die sie kaum etwas weiß, in ihren Einträgen.

Clare, die heute 80 Jahre alt ist und in England lebt, wusste lange Zeit nicht, dass ihre Großmutter während des Zweiten Weltkrieges Tagebuch geführt hatte. Erst als ihre Mutter 1990 starb, kam sie in den Besitz der Tagebücher und lernte die Großmutter von einer völlig neuen Seite kennen. „Meine Mutter und meine Großmutter haben beide nie über diese Zeit gesprochen, deshalb habe ich so viel Neues über sie gelernt“, sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung. „Es war auch für meine Mutter nicht leicht in dieser Zeit als Deutsche in England. Meine Cousine hat mir einmal erzählt, dass es furchtbar für meine Mutter war, wenn sie die Nachrichten erhielt, was in Köln alles zerstört worden war. Sie wusste manchmal ein Jahr lang nicht, wie es ihren Eltern ging.“

In den 90er Jahren übersetzte Clare Westmacott die Tagebücher ins Englische und suchte vergeblich einen Verleger. Nun, da sich der erste Tagebucheintrag zum 80. Mal jährt, hat sie sich entschlossen, die Einträge ihrer Großmutter auf einem Blog immer am Tag der Entstehung zu veröffentlichen. Ermutigt zu diesem Projekt und geholfen hat ihr dabei Jürgen Hein. Er lebt auf dem zu Lohmar gehörenden Knipscherhof. Und dort lebte nach dem Krieg bis zu ihrem Tod im Jahr 1972 auch Klara Mehlich, in einem umgebauten, ehemaligen Backhaus.

Enge Kontakte nach Deutschland

Seit vielen Jahrzehnten sind die Familien eng befreundet. „Ich denke mit sehr warmen Gefühlen an meine Großmutter. Ich bin als Kind immer mit meiner Mutter und meinem Bruder auf den Bauernhof gefahren, auf dem sie lebte. Das war für uns Kinder herrlich“, erinnert sich Clare Westmacott an die Zeit kurz nach dem Krieg. „Ich war immer so gerne bei ihr. Ich bin mit ihr spazieren gegangen, es war landschaftlich herrlich und sie war da sehr zufrieden, das waren schöne Tage.“

Es war ein völlig anderes Leben als jenes, das Klara Mehlich vor dem Krieg in Köln geführt hatte. Als junge Frau hatte sie den 15 Jahre älteren Maler Robert Seuffert geheiratet, der von 1912 bis 1936 Lehrer und Professor an der Kölner Kunstgewerbeschule war. Sie hatte ihm Modell gestanden. Die Ehe war nicht glücklich, zusammengeblieben waren sie vor allem wegen der Kinder, das wird auch in den Tagebucheinträgen deutlich.

Die Familie war wohlhabend, lebte in einem eleganten Haus in der Wiethasestraße in Köln-Braunsfeld, bewegte sich in höheren Kreisen. Zu ihren Bekannten zählte auch Konrad Adenauer. Die drei Kinder hatten eine Gouvernante, bis sie in die Schule kamen. Der jüngere Sohn Röbi, den Klara Mehlich vergötterte, wurde später wie sein Vater Maler. Ein Porträt des früheren Kölner Oberbürgermeisters und NRW-Landtagspräsidenten John van Nes Ziegler, das er malte, hängt noch heute im Landtag. Auch Konrad Adenauer porträtierte er, kurz nachdem dieser Kanzler geworden war.

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Doch auch wenn die Familie vor dem Krieg sehr wohlhabend gewesen war, trieb Klara Mehlich in ihren Tagebucheinträgen neben der Sorge um ihre Kinder auch um, Lebensmittel aufzutreiben und den Alltag im Krieg zu überstehen. Sie berichtete ausführlich über das Schicksal von Familien und Freunden. Und immer wieder über die Bombenangriffe auf ihre Heimatstadt.

Und immer wieder Bombenangriffe

So schrieb sie am 14. März 1941: „Nachts 4 Uhr im Bett. Ich kann nicht schlafen. Vieles liegt hinter mir, tolle Luftangriffe. Nacht für Nacht, das Elend steigert sich. Ganze Straßen zerstört. Was ist noch ein Menschenleben. Alles geht vor die Hunde und wofür. Für Größenwahn. Die Blüte, unsere Jugend, verblutet wieder einmal.“

Über das Kriegsgeschehen informierte sie sich auch durch englisches Radio und hielt in ihrem Tagebuch einige damals illegale Aktivitäten fest, zudem wurde sie wegen eines Briefes, den sie von ihrer Tochter erhalten hatte, von der Gestapo einbestellt, berichtet Clare Westmacott. Dieses Tagebuch müsse sie heimlich geführt haben. Nach ihrer Handschrift zu urteilen habe sie manchmal in großer Eile geschrieben. „Es war mitunter sehr gefährlich, was sie aufgeschrieben hat. Als Reinhard Heydrich getötet wurde, schrieb sie: »Je schneller die alle dran kommen, desto besser.«“ Heydrich war einer der Hauptorganisatoren des Holocaust.

Mehlich hielt auch fest, was ihr durch den Kopf ging, als die jüdische Bevölkerung im September 1941 gezwungen wurde, einen gelben Stern auf der Kleidung zu tragen. „Heute sehe ich auf der Straße die Juden mit ihren Abzeichen herumlaufen. Sionsstern, auf gelbem Grund steht »Jude«, kleine Kinder, alles muß dieses Zeichen tragen. Ich weiß nicht, zu was das gut ist. Es macht auch in der anständig gesinnten Bevölkerung nur böses Blut und heute geht man mit einem Kopfschütteln an diesen kleinlichen Maßnahmen vorbei.“

Das Tagebuch ist nicht frei von Widersprüchen. So schreibt sie einerseits sehr liebevoll über ihre Kinder, macht ihnen dann aber auch Vorwürfe, befürchtet gar, ihre Tochter Lotte melde sich absichtlich nicht bei ihr. Auch für das Verhältnis zu ihrem Mann findet sie mitunter deutliche Worte.

Clare und Nigel

Durchgängig offenbart ihr Tagebuch ihre Hoffnung auf einen baldigen Frieden. „Möge Gott es bald geben und möge er nicht zugeben, dass die Grausamkeiten noch lange fortdauern, dass sich die Menschen doch endlich besinnen mögen, zu welchem Zweck sie eigentlich auf Erden sind, sich glücklich zu machen“, schrieb sie im März 1941.

Doch es sollte von diesem Zeitpunkt an noch sieben Jahre dauern, bis ihre Enkeltochter Clare sie zum ersten Mal in Deutschland besuchte. „Ich werde den Anblick Kölns bei diesem ersten Besuch nie vergessen. Überall Zerstörung und kleine Blumengebinde auf den Trümmerhaufen als Zeichen des Gedenkens“, schreibt sie in der Einleitung, die sie dem Tagebuch vorangestellt hat.

Dieses von der Corona-Pandemie bestimmte Jahr ist das erste seit ihre eigenen Kinder zu klein waren, um ohne größere Anstrengung zu verreisen, in dem Clare Westmacott nicht nach Köln und zu den befreundeten Familien auf dem Knipscherhof gekommen ist. Aber sie spüre immer eine Verbundenheit zu Köln: „Wenn ich dort bin, habe ich immer vor Augen, dass überall wohin ich gehe, die Familie meiner Mutter ebenfalls gewesen ist.“

Die Tagebucheinträge von Klara Mehlich werden von heute an immer an dem Datum auf der Homepage veröffentlicht, an dem sie vor 80 Jahren geschrieben wurden. www.klara-lotte-clare.net  

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