„Unser Haus ist unterbesetzt“

Lesezeit 6 Minuten

Herr Professor Schneider, Sie gehen als Direktor des Völkerkunde-Museums in den Ruhestand. Gibt es ein Resümee Ihrer Arbeit in Köln?

Wenn ich bilanzieren soll, was diese 18 Jahre als Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums bedeutet haben – plus die vier Jahre, die ich als Kurator für Afrika hier tätig war –, dann war es ein Glücksfall, dass ich in einer Phase hier eintraf, in der die Planungen für den Neubau des Museums begonnen hatten. Ich kam just zu dem Zeitpunkt, als der Architektenwettbewerb abgeschlossen war. Der Neubau sollte bis 2002 stehen, doch dann kamen die Unterbrechungen wegen der Finanzkrise der Stadt Köln und so fort, aber es ging dennoch immer weiter.

Gibt es herausragende Ausstellungen, an die Sie sich besonders gern erinnern?

Klaus Schneider

Klaus Schneider

Wir haben in Köln immer eine enge Kooperation mit der Universität gepflegt, zur Ethnologie, zur Afrikanistik, zu anderen Instituten. Eines dieser Projekte mündete in einer der für mich wichtigsten Ausstellungen, die wir gemacht haben, nämlich 2004 „Namibia – Deutschland. Eine geteilte Geschichte“. Da ging es darum, das hundertjährige Gedenken an den Völkermord der deutschen Schutztruppen an den Herero und Nama zu thematisieren.

Ein bis heute heikles Thema für viele …

Zu dieser Zeit, 2003, 2004, wurde von der Politik das Wort „Völkermord“ nicht gerne ausgesprochen. Wir haben das getan. Das erregte international große Aufmerksamkeit, vor allem in Namibia selbst. Unser wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung ist bis heute das Standardwerk zu dieser Fragestellung. Das Ergebnis war, dass die Politik begann, tatsächlich von Völkermord zu sprechen – und es begann die Diskussion, wie mit der Rückführung menschlicher Überreste zu verfahren sei.

Blick ins Museum bei Nacht

Blick ins Museum bei Nacht

Auch das beschäftigt uns heute intensiv.

Das nahm damals Fahrt auf, bis hin zu einem Projekt, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanzierte, in dessen Verlauf man die Bestände der Charité in Berlin untersuchte, wo das meiste lagert. Wir waren damals zunächst die Einzigen, die in dieser Frage einen Vorstoß unternahmen.

Ging das einher mit einem neuen Rollenverständnis der Ethnologie und auch der Funktion ethnologischer Museen?

Wir haben bei der Neukonzeption des Museums auch im Hinblick auf den Neubau sehr großen Wert darauf gelegt, gesellschaftspolitische, sozialpolitische Themen mit aufzugreifen. Dafür bekamen wir den größten europäischen Museumspreis.

Gab es weitere Innovationen?

Zur Eröffnung des Neubaus haben wir uns an ein Thema gewagt, an das sich keiner zuvor herangetraut hat, nämlich Vorurteile, Stereotype, Rassismus am Beispiel Afrika – dafür haben wir eng mit der deutsch-afrikanischen Community zusammengearbeitet. Das hat sich ausgeweitet. Zum Beispiel war ein hoher Kulturbeauftragter der amerikanischen Blackfoot-Indianer hier, um beratend bei der Ausstellung mitzuwirken: Was soll gezeigt werden, was aber darf nicht gezeigt werden? Zum Beispiel eine Trommel, die den Status des Heiligen besitzt und schamanische Zwecken dient. Die darf die Öffentlichkeit nicht sehen.

Ist das nicht ein Konflikt für einen Museumsmacher? Als solcher wollen Sie alles zeigen.

Man kann das kompensieren durch Objekte, die wir gar nicht unterscheiden können von sakralen Objekten. Es geht aber darum, solche Unterschiede zu respektieren.

Womit wir doch bei einem fundamentalen Unterschied zur früheren kolonial geprägten Ethnologie wären: dem Respekt vor dem Anderen, dem Fremden. Wie finden Sie in diesem Zusammenhang Macrons Ankündigung zur Rückgabe von Kulturgütern?

Diese war nicht gut vorbereitet, muss man sagen. Wenn er sagt, dass wir das meiste zurückgeben müssen, so tut er das im Glauben, seine Verbundenheit zu den alten Kulturen auszudrücken, denen man in der Kolonialzeit Unrecht getan hat – das ist völlig in Ordnung. Sehr gut, dass er das gesagt hat. Aber dann zu sagen, dass alles in den Sammlungen der ethnographischen Museen in die Ursprungsländer zurückgehört, das war schlecht. Worum es geht, sind einzelne wichtige, herausragende Objekte, die für die Identität bestimmter Gruppen, vielleicht sogar eines ganzen Volkes entscheidend sind. Man muss aber runter von der Pauschalisierung.

Wie ist das juristisch zu beurteilen?

Es heißt oft, Dinge seien unrechtmäßig erworben worden. Aber was war denn zu der Zeit, als dies geschah, die Rechtsvorstellung der anderen Seite? Wenn keine Gewalt und kein Betrug im Spiel waren, so war die Grundlage eine Vereinbarung zwischen beiden Seiten. Selbst wenn nur fünf Euro flossen, das Objekt aber in Frankreich bereits 500 Euro wert war, so spielt das keine Rolle, solange man mit fünf Euro glücklich war und dies als zufriedenstellenden Gegenwert ansah. Das zu beurteilen, da sind wir erst am Anfang, und es ist dringend notwendig, in die Diskussion viel mehr belastbare, harte Fakten einzubringen.

Aber eben auch zu den Schattenseiten.

Natürlich. Wir wissen aus Reisebeschreibungen, wie auf der Expedition der Franzosen von Dakar nach Dschibuti geplündert wurde. Aber wie sich die Deutschen im Maji-Maji-Aufstand 1905 bis 1907 in Tansania, in der Kolonialzeit „Deutsch-Ostafrika“, verhalten haben, das wissen wir nicht genau.

Die Lage ist kompliziert, auch was das Formaljuristische angeht.

Es gibt formaljuristisch keinen Anspruch an ein einzelnes Museum – das muss zwischen den Staaten geregelt werden. Das ist außerordentlich kompliziert. Es gibt auch Länder, die etwa durch Klimakatastrophen getroffen werden, die auf der Position stehen, dass die Objekte in unseren Häusern sehr viel besser aufgehoben sind. Diese Länder fordern vielmehr, dass man ihnen zunächst bei ihrer Infrastruktur helfen soll. Ich fände es toll, wenn es viel stärker zu kultureller Zusammenarbeit kommen würde, aber dazu braucht es natürlich auch Personal.

Womit wir bei der Situation in Köln wären. Wie steht es denn mit der Ausstattung an Ihrem Museum?

Einige Verbesserungen konnten wir erreichen, wir haben zum Beispiel endlich einen Depotverwalter. Auch gibt es seit kurzem jemanden für die Öffentlichkeitsarbeit, was für uns extrem wichtig ist, einfach, um auf uns aufmerksam zu machen: Wir mussten unser Haus kürzlich schließen aufgrund von Baumängeln, und wir konnten anschließend nicht sagen, dass wir wieder da waren. Das verbessert sich durch Öffentlichkeitsarbeit. Aber für ein Museum von unserer Größe sind wir natürlich unterbesetzt. Was wir brauchen, wäre eine weitere Stärkung der Provenienzforschung sowie eine Stelle, die für die Stärkung der Außenwirkung des Museums in die Stadtgesellschaft hinein eingerichtet wird.

Wie steht es um die Baumängel?

Die ganzen Verfahren laufen, es fehlen noch immer etliche Gutachten – das alles verläuft wahnsinnig zäh, und ich glaube, dass die Gerichtsverfahren noch lange dauern werden.

ZUR PERSON

Klaus Schneider, 1954 in Arnsberg geboren, leitet das Rautenstrauch-Joest-Museum seit 2000. Zuvor hat er unter anderem an der Universität Frankfurt geforscht. Zahlreiche Forschungsprojekte führten ihn nach Westafrika, von 1988 – 1990 arbeitete er in Burkina Faso.

KStA abonnieren