„Vergessene Nachrichten“Diese Themen wurden von der Corona-Pandemie verdrängt

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Die NATO-Großübung „Defender 2020“, eine der „Vergessenen Nachrichten“ aus dem vergangenen Jahr.

Köln – Das vergangene Jahr war auch medial von der Corona-Pandemie überschattet. Jeden Tag gab es neue Erkenntnisse und Entwicklungen rund um das Virus. Das führte in den letzten Monaten zu einer sehr monothematischen Berichterstattung, die viele andere Themen verdrängt hat. Die „Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V“ hat genau diese Themen identifiziert, die es trotz Relevanz für die Gesellschaft nicht oder nur ungenügend in die Berichterstattung geschafft haben: die Vergessenen Nachrichten.

„Die Medien sind zu sehr fokussiert auf einige wenige populäre Themen, auf denen das gesamte Schlaglicht der Öffentlichkeit liegt“, sagt INA-Geschäftsführer Hektor Haarkötter, der auch Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt politische Kommunikation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg ist. „Man kann hier schon fast von Themen-Populismus sprechen.“

Journalismus: Top Ten der „Vergessenen Nachrichten“

Gemeinsam mit dem Deutschlandfunk präsentierte die INA am Donnerstag die Top Ten der Themen, die nach Einschätzung der Jury aus Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen sowie Journalisten und Journalistinnen zu wenig Aufmerksamkeit in den Medien erhalten haben. Als das vernachlässigte Topthema im vergangenen Jahr kürten sie die Neufassung des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.

Damit will die Bundesregierung gegen Hass im Netz vorgehen. Kritiker hielten aber auch die Novellierung für wirkungslos. Es könnte gar ein „Over-Blocking“ entstehen, sagt Haarkötter. Das bedeute, dass Beiträge, gegen die nichts einzuwenden sei, in den sozialen Medien gesperrt werden könnten. „Die Meinungs- und Pressefreiheit könnte dadurch beeinträchtigt werden“, so der Kommunikationswissenschaftler. Und trotz der gesamtgesellschaftlichen Relevanz finde die Debatte über das Gesetz überwiegend in Fachkreisen und eben nicht in der Öffentlichkeit statt.

Nato-Großübung und Gewalt in der Schwangerschaft

Auch die NATO-Großübung „Defender 2020“, „immerhin das größte militärische Manöver seit einem Vierteljahrhundert“, sagte Haarkötter, spielte nach Ansicht der INA in der Berichterstattung kaum eine Rolle. Zwar sei die Großübung wegen der Corona-Pandemie abgebrochen worden, dennoch soll das Manöver nun alle zwei Jahre abwechselnd in Europa und im Pazifik wiederholt werden. Trotz immenser Ausmaße für Bevölkerung und den Weltfrieden, so die INA, sei die Großübung der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt geblieben.

Ein weiteres Thema über das die Medien unzureichend informieren, sei die Gewalt in der Schwangerschaft. Die sei laut WHO ein gravierendes Problem, über das auch bei den Ärzten große Unkenntnis herrsche.

Zu den vergessenen Nachrichten gehören demnach auch das übersehene Armutsrisiko von jungen Menschen über 18 Jahren, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten gerade von Sozialunternehmen in der Corona-Pandemie, die fehlende psychologische Betreuung von Geflüchteten nach ihrer Ankunft in Deutschland oder das Arbeiten mit Stereotypen bei Rassismus- und Kolonialismus-Themen im Schulunterricht.

Gesellschaft ist aufgerufen Themen vorzuschlagen

Auch den Umgang des deutschen Staates mit rechtsextremen Organisationen türkischstämmiger Menschen, die Menschenrechtsverletzungen an den Opfern der Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria oder die fehlende Umsetzung europäischer Richtlinien zur Terrorismusbekämpfung hält die INA für medial stark vernachlässigt.

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Die Gesellschaft wird dazu aufgerufen bei der INA Themenvorschläge einzureichen. „Jeder einzelne ist aufgefordert, sich über ein medial vernachlässigtes Thema Gedanken zu machen, die Initiative zu ergreifen und es uns als Themenvorschlag mitzuteilen“, appelliert Marlene Nunnendorf, Sprecherin der INA.

Diese Themenvorschläge werden von studentischen Rechercheteams an verschiedenen Hochschulen in Deutschland recherchiert. Eine Jury stimmt einmal jährlich über diese Themenvorschläge ab. Im letzten Jahr wurde die fehlende Facharztausbildung für Infektiologie in Deutschland als vergessenes Topthema gekürt – ein Thema das wenig später hoch oben auf der Agenda gelandet ist.

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