„Wenn jetzt nicht Vernunft einkehrt”Bettina Böttinger über die Folgen der Flut

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Bettina Böttinger

Frau Böttinger, Sie leben in Köln und in der Eifel. Ist Ihr Haus in der Eifel von den Zerstörungen durch die Naturkatastrophe betroffen?

Bettina Böttinger: Ich wohne in einem Dorf, das neben der Steinbachtalsperre auf der Anhöhe liegt. Um uns herum liegen die evakuierten Dörfer Schweinheim, Flamersheim und Palmersheim, aber wir waren nicht gefährdet. Wir hatten Starkregen – aber über Kellerschäden wollen wir nun wirklich nicht mehr reden.

Wie haben Sie die ersten Tage nach dem Unwetter erlebt?

Wir hatten anfangs drei, vier Tage keinen Strom, deshalb konnte ich die Bilder gar nicht sehen. Ich bin nach Euskirchen gefahren, weil ich ja durch den Stromausfall am Donnerstagmorgen gar nicht wusste, was vorgefallen war. Ich wollte naiverweise ein Entfeuchtungsgerät für meinen Keller kaufen – und stand vor einer komplett zerstörten Fußgängerzone. Man soll solche Vergleiche eigentlich nicht ziehen, aber es sah aus wie nach Krieg oder Erdbeben. Es ist etwas geschehen, das nicht beherrschbar und bis dato unvorstellbar war.

Ist es wirklich so, dass man das Ausmaß der Katastrophe nur versteht, wenn man es selbst vor Ort sieht?

Ja, das ist so. Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Die unglaublichen Zerstörungen, die Verheerungen, die hier eingetreten sind, kann man sich nicht vorstellen, wenn man sie nicht mit eigenen Augen sieht. Und ich rede nur von dieser Region, da sind ja noch ganz andere betroffen. Wir leben in einer Hochindustrienation, es ist tatsächlich bisher unvorstellbar gewesen, dass tote Menschen aus den Bäumen geholt werden, das muss man mal ganz deutlich sagen. Wir sind katastrophenunerfahren. Wir haben kein Warnsystem. Wir wussten nicht, dass man auf keinen Fall in den Keller gehen darf. Menschen haben versucht, ihr Auto aus einer Tiefgarage zu holen und sind dabei ertrunken. Die Situation hat uns alle vollkommen überfordert und sehr viele Menschen getötet.

Sie werden für den WDR am Donnerstagabend aus Bad Münstereifel senden. Was haben Sie während der Vorbereitung auf die Sendung erlebt?

Wir waren vorgestern als Recherche in Schweinheim, wo eine sehr gute Stimmung herrschte, weil alle angepackt haben. Allerdings hatte man diejenigen, deren Häuser völlig zerstört waren, inzwischen weggebracht. Ich kenne zum Beispiel ein ganz altes Ehepaar, beide um die 90. Die mussten erleben, dass ihr Lebenswerk zerstört wird. Sie haben den Ortskern von Bad Münstereifel im Laufe der Jahrzehnte sukzessive restauriert. Sie waren hinterher im Besitz von mehreren traumhaft schönen Fachwerkhäusern und dazwischen haben sie einen Skulpturenpark angelegt. Davon stand noch ein Haus, bei dem aber nicht sicher ist, ob es stabil genug ist, um erhalten zu bleiben.

Was haben Sie sonst noch gesehen?

Ich war in Arloff, direkt an der Erft, da sieht man die Kraft des Wassers. Der Respekt vor der Urgewalt Wasser ist uns verloren gegangen. Dieses Wasser hat die Häuser zum Einsturz gebracht. Neben mir haben Feuerwehrleute noch in den Trümmern mit bloßen Händen gesucht – man kann sich denken wonach. Ich habe mit Menschen gesprochen, die an der Erft wohnen und völlig verzweifelt sind. Sie haben gesagt, wir bauen es wieder auf, aber in fünf Jahren passiert vielleicht das Gleiche.

Was sind jetzt, eine Woche nach dem Unwetter, die größten Probleme?

Ich habe mit der Verbandsbürgermeisterin von Altenahr gesprochen, das Gebiet ist ja am heftigsten betroffen, da werden noch sehr, sehr viele Menschen vermisst. Und die Chance, noch Lebende zu finden, geht gegen null. Ich wollte an die Ahr, aber ich bin nicht durchgekommen. Es ist kaum vorstellbar, was dort alles zerstört ist. Noch jetzt, eine Woche danach, sind Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten, die Trinkwasserversorgung ist nicht gewährleistet. Es droht sehr viel, auch Seuchen. Ich habe nichts zu meckern, mir ist nichts passiert, aber wenn man das sieht, ist man so berührt. Es ist alles eine einzige Tragödie für so viele Menschen. Was hier los ist, können Sie sich nicht vorstellen. Und am Wochenende drohen wieder starke Regenfälle.

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Sie sind der Eifel sehr verbunden. Wie lange wird die Region brauchen, um zumindest zu irgendeiner Form von Normalität zurückzukehren?

Ich glaube, es wird keine Normalität im alten Sinne geben. Ich bin weder Bauphysikerin noch Architektin, aber man kann nicht einfach sagen: Wir bauen alles wieder auf wie zuvor. Bad Münstereifel wird nicht mehr so aussehen wie vorher. Bei den zunehmenden Wassermengen, mit denen wir rechnen müssten, muss sich das Dorf Schuld fragen, ob man den Wiederaufbau genau an dieser gefährdeten Stelle vornimmt.

Welche Lehren müssen wir aus dieser Katastrophe ziehen?

Es ist noch nicht die Zeit für Analysen, aber wir müssen uns bestimmte Fragen stellen. Warum haben wir so viele Flächen versiegelt? Wie gehen wir mit Wasser und Boden um? Wenn jetzt nicht Vernunft einkehrt, dann weiß ich nicht, wann sie einkehren soll. Es muss politisch gehandelt werden - und wir alle müssen handeln. Wir müssen kapieren, was los ist. Der Klimawandel kostet nicht nur Unmengen Geld, er kostet vor allem Leben – und das nicht nur in Bangladesch oder an anderen weit entfernten Orten, sondern auch hier, bei uns.

Am Donnerstag, 22. Juli, 20.15 Uhr, berichtet Bettina Böttinger im WDR Fernsehen aus Bad Münstereifel und spricht unter anderem mit Betroffenen.

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