Abo

RechtsradikaleWie Neonazis Julia Ebner mit perfider Gehirnwäsche verändern wollten

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt

Julia Ebner

  • Julia Ebner, Jahrgang 1991, hat sich für ihre Recherchen über Extremismus undercover diversen extremistischen Gruppen angeschlossen, darunter vor allem rechten.
  • In Köln stellt sie am Mittwoch ihr neues Buch „Radikalisierungsmaschinen” in der Stadtbibliothek vor.
  • Im Interview erzählt sie, welche Gefahren von den Gruppen ausgehen, wie sie organisiert sind, die perfide Gehirnwäsche der Organisiationen und wovor sie am meisten Angst hat.
  • An die großen digitalen Plattformen hat sie eine klare Forderung.

Frau Ebner, Sie haben sich undercover in verschiedene Extremisten-Gruppen eingeschlichen, sowohl online als auch ganz konkret durch Besuche oder Treffen. Gibt es etwas Verbindendes?

Alle diese Gruppen zeichnen sich durch ein äußerst hohes Maß an Zusammenhalt und ideologischer Geschlossenheit aus. Es sind verschworene Gemeinschaften, die – und auch das ist allen gemeinsam – geistig ganz stark auf die Vergangenheit ausgerichtet sind, aber in der Nutzung der modernen Kommunikationsmittel aber auf dem neuesten Stand sind. Ideologisch reaktionär, technisch fortschrittlich – das ist die Kombination.

Für wie gefährlich halten Sie die Organisationen, die sich im Internet formiert haben?

Es gibt unterschiedliche Grade der Gefährlichkeit – einige sind eindeutig gewaltbereit, andere sehen ihre Aufgabe und Stärke in der Planung und Durchführung von Desinformationskampagnen. Was ich übrigens für nicht minder gefährlich halte, weil diese Kampagnen politische Stimmungen beeinflussen und ganze Gesellschaften destabilisieren können. Mit der klassischen Definition extremistischer Gruppierungen lässt sich das nicht mehr adäquat erfassen. Wir beobachten zunehmend einen weniger straffen, hierarchischen Aufbau, sondern äußerst bewegliche, biegsame Organisationsformen, die auf nationale und internationale Kooperationen angelegt sind. Immer geht es um Vernetzung.

Kultur to go – der Kultur-Newsletter

Kennen Sie schon unseren neuen Newsletter? „Kultur to go“ ist unser neuer wöchentlicher Überblick über die Highlights der Kölner Kultur-Szene. Kostenlos und ab 19. September immer donnerstags! Melden Sie sich jetzt an. Und zwar hier:

LINK: Kultur to go

Das Internet ist also nicht nur ein Medium, sondern eigentlich der Lebensraum, ohne den es diese Gruppen gar nicht gäbe.

Das Internet ist auf jeden Fall der entscheidende Tonverstärker. Es bietet die Möglichkeit punktueller Allianzen, wo immer sie als strategisch sinnvoll erscheinen. Das Internet erlaubt Kampagnen, die über die sozialen Medien in den kommunikativen Mainstream und in die Breite der Gesellschaft gelangen. Das Bemerkenswerte ist, dass ideologische Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen letztlich keine entscheidende Rolle spielen. Nehmen Sie die rechten Aufmärsche und Protestkundgebungen voriges Jahr in Chemnitz. Da genügen für den Schulterschluss ein gemeinsamer Feind – hier die Migranten – und ein entschlossenes Empörungsmanagement. Es gibt da einen großen Pragmatismus, ja Opportunismus. Einfach weil das Gesamtziel einer größeren Reichweite allen Gruppen gemeinsam ist.

Reichweite ist das alles bestimmende Prinzip?

Größere Reichweite bedeutet mehr Polarisierung, mehr Provokation. Das Phänomen lässt sich vor Wahlen gut beobachten. So hat in Deutschland die Identitäre Bewegung vor der Bundestagswahl 2017 eine Zeitlang gemeinsame Sache mit der offen neonazistischen Gruppierung Reconquista Germanica gemacht, einfach weil man die Chance sah, mit eigenen Kampagnen noch besser durchzudringen – etwa durch Einflussnahme auf die Algorithmen, die die Verbreitung der eigenen Botschaften steuern.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wenn man Sie hört, schwingt so etwas von Faszination mit…

Faszination und Widerwärtigkeit zugleich. Inhaltlich haben mich diese Gruppen teils aufs Äußerste abgestoßen. Faszinierend sind sie mit ihrem Identifikationsangebot und mit der Rasanz, in denen es ihnen gelingt, Menschen an sich zu binden. Die Anwerber gehen äußerst geschickt vor, knüpfen an den Erfahrungen an, die mögliche Interessenten haben. Es dauert manchmal nur wenige Wochen, bis sich jemand so weit in diese Gruppen hinbegeben hat, dass sich Sprache und Denken komplett zu verändern beginnen. Gerade über die Sprache, über Insider-Sprüche, auch über eigene Formen von Humor entstehen eine intensive Bindung – und eine zunehmende Radikalisierung. Dafür gibt es in den extremistischen Gruppen eigene Handbücher. 

Wie einfach ist es, sich zu extremistischen Gruppen Zugang zu verschaffen?

Es kommt darauf an. Als sie sich noch unbeobachtet gefühlt haben, war es relativ leicht. Seit ein, zwei Jahren aber haben die Gruppen ihre Sicherheitschecks massiv verstärkt, nachdem sie gemerkt hatten, dass sich Journalisten und auch die Sicherheitsbehörden darum bemüht haben, bei ihnen einzusickern. Inzwischen gibt es regelrechte Bewerbungsverfahren mit mehrstufigen Interview-Prozessen. Man muss seine persönlichen Accounts in den sozialen Medien zugänglich machen und sich bisweilen sogar genetischen Tests unterziehen. US-amerikanische Neonazi-Gruppen haben Fotos meines Handgelenks von mir verlangt – als Nachweis der weißen Hautfarbe. Für meine Recherchen hatte ich mir am Ende insgesamt fünf Avatar-Profile – virtuelle Schein-Identitäten – aufgebaut.

Person und Lesung

Julia Ebner, geboren 1991 in Wien, forscht am Institute for Strategic Dialogue in London zu Online-Extremismus. Ihr Buch „Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen“ war ein Bestseller.

Ihren soeben erschienenen Titel „Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren“ (Suhrkamp-Verlag, 334 Seiten, 18 Euro) stellt sie am Mittwoch im Gespräch mit der WDR-Journalistin und Grimmepreisträgerin Isabel Schayani in der Kölner Stadtbibliothek vor: Josef-Haubrich-Hof 1, 19 Uhr. Eintritt: 8 Euro (ermäßigt 6 Euro). Karten im Vorverkauf über Köln Ticket und an der Abendkasse. (jf)

Wie gefährlich ist das?

Auch das kommt darauf an. Als ich mich Offline oder analog in solchen Gruppen bewegt habe, etwa auf Treffen amerikanischer Neonazis oder auch bei dem rechtsextremen Rock-Fest „Schild und Schwert“ im ostdeutschen Ostritz, habe ich mich weniger unbehaglich gefühlt bei dem Gedanken, dass meine persönlichen Echt-Daten am Ende doch im Netz auffindbar sein könnten und ich so zum Ziel radikalisierter, fanatisierter Einzeltäter werden könnte. Deren Handeln aus unbändiger Wut heraus ist am schwersten kalkulierbar. Aber dieses Risiko gehen nicht nur investigative Journalisten oder Extremismus-Forscher ein, die undercover agieren. Sondern bedroht sind alle, die offen ihre Meinung sagen, und besonders auch politische Aktivisten oder Entscheidungsträger. Das ist eine sehr beunruhigende, bedrückende Dynamik.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, den versteckten Akteuren im Internet wirksam zu begegnen. Manchmal kommt einem das ja wie ein Hase-und-Igel-Spiel vor.

Der entscheidende Ansatzpunkt muss es sein, die Reichweite extremistischer Inhalte zu verringern. Gegenwärtig bieten Aufbau und Funktionslogiken der sozialen Netzwerke extremistischen Inhalte breiten Raum, ja geben ihnen sogar Priorität. Da braucht es klarere und entschiedenere Regulierungen von staatlicher Seite. Die großen Plattformen müssen dazu gezwungen werden. Und zwar proaktiv – nicht immer nur als Reaktion darauf, wenn es irgendwo auf der Welt mal wieder einen schlimmen Terroranschlag gegeben hat. Politische Entscheidungsträger sollten bei jeder technischen Innovation von vornherein mitbedenken, welche Möglichkeiten des Missbrauchs durch Extremisten-Gruppen im Netz sie bieten. Die Lösung liegt aber nicht nur auf technischer Ebene. Auch durch konkretes Handeln von Menschen kann viel erreicht werden.

Zum Beispiel?

Deradikalisierungsprojekte, mit denen Offline bereits sehr gute Erfolge erzielt wurden, sollten auch Online eingesetzt werden. Das bedeutet etwa, über Direct Messaging Menschen anzusprechen, die sich in extremistischen Netzwerken bewegen und dort Inhalte posten. Auf sie kann man im Dialog 1:1 reagieren. Längerfristig muss aber auch ein breites Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass und wie die sozialen Medien unsere Persönlichkeit beeinflussen. Da ist unter anderem die schulische Bildung gefragt: Wie spiegeln die Algorithmen unsere Seele wider? Wie funktionieren Gruppendynamiken, wie beschleunigen sie sich unter den Bedingungen der neuen Medien? Wir sprechen heute zwar über Fake News und wie man sie erkennt; wir vermitteln Fähigkeiten, zwischen seriösen und unseriösen Informationsquellen zu unterscheiden. Aber die Frage nach dem Einfluss auf unsere Persönlichkeit wird noch nicht in gleichem Maße gestellt und reflektiert – denken Sie an Phänomene wie Online-Mobbing, an Online-Sucht, Isolations- und Vereinsamungsprozesse. Da geht es nicht nur um unsere Kommunikationsformen, sondern um unsere Identität.

Das Gespräch führte Joachim Frank

KStA abonnieren