200. Geburtstag der Sammlung WallrafChaotischer Bewahrer Kölner Kunstschätze

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Ferdinand Franz Wallraf in seiner Sammlung – Zeichnung von B. Nikolas Salm (um 1840/1850) 

Köln – Goethe war bestürzt. Beim Besuch in Köln im Jahre 1815 hatte der Geheimrat die Sammlung des Ferdinand Franz Wallraf besichtigt. Das gehörte zum lokalen Pflichtprogramm für alle, die der Kunst zugetan waren. Allerdings waren die Objekte nicht in einem Ausstellungssaal zu sehen. Vielmehr staute und stapelte Wallraf das, was er zum Wohle Kölns gesammelt hatte, in seiner viel zu kleinen Wohnung in der Dompropstei – und er sammelte viel.

Goethe: Wallraf sammelt „wie ein Drache“

An einen Freund schrieb Goethe: „Wie ein Drache bewahrt er diese Schätze, ohne zu fühlen, dass Tag für Tag etwas Treffliches und Würdiges durch Staub und Moder, durch Schieben, Reiben und Stoßen einen großen Theil seines Wertes verliert.“

Eben diese Sammlung ist heute der Stolz der Stadt Köln. Am 9. Mai vor 200 Jahren hatte Wallraf in seinem Testament verfügt, „dass meine Kunst-, Mineralien-, Malerei-, Kupferstich- und Büchersammlung zu ewigen Tagen bei dieser Stadt und Gemeinde zum Nutzen der Kunst und Wissenschaft verbleiben, derselben erhalten und unter keinen erdenklichen Umständen veräußert, anderswo verlegt, aufgestellt und derselben entzogen werden soll.“

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Etwa 40.000 Objekte

Insgesamt waren es wohl an die 40.000 Objekte. Nicht immer hat sich die Stadt an das Gebot gehalten, nichts davon zu veräußern; und manche Kostbarkeit ist im Laufe der Zeit verloren gegangen. Der immer noch reiche Bestand ist heute auf mehrere Kölner Museen und Institutionen verteilt, allen voran auf das Wallraf-Richartz-Museum. Dort wird am Donnerstagabend, 22. März, die Ausstellung „Wallrafs Erbe – Ein Bürger rettet Köln“ eröffnet, im Mai folgt noch ein Festakt. Wer war dieser Mann, dem Köln so viel zu verdanken hat?

Ferdinand Franz Wallraf ist schwer zu greifen. Im Katalog zur Ausstellung wird er einmal als „Weltbürger“ gepriesen, ein anderes Mal zur „provinziellen Erscheinung“ gestutzt. Ein Mann der drei Reiche: Er wuchs auf in der Freien Reichsstadt, erlebte intensiv die Franzosenzeit und wurde 1823 in der preußischen Ära mit der höchsten städtischen Ehrung bedacht – der Ernennung zum „Erzbürger“. Wallraf war ein Ästhet und ein Bildungsbürger, ein besessener Sammler, politischer Opportunist und Anhänger der Aufklärung. Vor allem aber war er vernarrt in seine Heimatstadt. Man muss wohl alles, was er schrieb und tat, auf diesen außerordentlichen Lokalpatriotismus zurückführen.

Hineingeboren ins klerikale Köln

Der Sohn eines Tischlers, wurde 1748 geboren, als noch dick der mittelalterliche Mehltau auf Köln lag. Der real praktizierte Katholizismus lähmte, was Aufbruch hätte sein können. Ohne die Kirche ging gar nichts. Und so strebte Wallraf das Priesteramt an, bekam schon mit 14 eine Tonsur rasiert und erhielt 1772 die Priesterweihe. Praktisch war an der geistlichen Laufbahn, dass sie Finanzquellen eröffnete – als erstes ein Stipendium, später dann noch sogenannte Kanonikate. Was wichtig war für einen Mann, der zeitlebens knapp bei Kasse war.

Der Sohn eines Schneiders

1748 Ferdinand Franz Wallraf wird am 20. Juli in Köln als Sohn des Schneidermeisters Kaspar Wallraf und dessen Frau Anna Elisabeth geboren. 1772 Priesterweihe und Beginn des Medizinstudiums 1779 Veröffentlichung des Gedichts „Hymnus an die Natur“ 1782 Mitglied der Freimaurerloge der Rosenkreuzer 1786 Professor der Botanik, Naturgeschichte und Ästhetik und Doktor der Medizin 1789 Wallraf bezieht die Alte Dompropstei. 1793 Rektor der Universität zu Köln 1794 Französische Revolutionstruppen ziehen am 6. Oktober ohne Gegenwehr in Köln ein. 1797 Wallraf wird als Rektor der Universität entlassen. 1798 Schließung der Universität. Wallraf wird Professor an der neuen „Zentralschule“. 1802 Die Säkularisation in den linksrheinischen Gebieten führt zur Auflösung vieler Kölner Klöster und Stifte. 1807 Wallraf bietet der Stadt Köln seine Sammlung als Stiftung an. Die Gespräche verlaufen im Sande. 1809 Wallraf plant den neuen städtischen Friedhof auf Melaten, der sich außerhalb der Stadtmauern befindet. 1811 Wallraf gibt den Kölner Straßen deutsche und französische Namen. 1814 Abzug der französischen Besatzungstruppen aus Köln 1815 Auf dem Wiener Kongress wird Köln Preußen zugeteilt. 1818 Am 9. Mai unterzeichnet Wallraf sein letztes Testament, in dem er seine Sammlung der Stadt Köln vermacht. 1823 Wallraf wird zum „Erzbürger“ der Stadt ernannt. Er ist der einzige in der Kölner Geschichte – in der Folgezeit wurden „Ehrenbürger“ auserkoren. 1824 Wallraf stirbt am 18. März. 1825 Wallrafs Kunstsammlung wird in der Trankgasse 7 gezeigt. 1861 Eröffnung des Wallraf-Richartz-Museums auf dem Gelände des ehemaligen Minoritenklosters

„Wallrafs Erbe – Ein Bürger rettet Köln“ ist der Titel der Ausstellung im Wallraf-Richartz Museum, die am Donnerstagabend eröffnet wird. Der Katalog, hrsg. von Thomas Ketelsen, umfasst 264 Seiten. Klaus Müller hat die Biografie „Ferdinand Franz Wallraf – Gelehrter, Sammler, Kölner Ehrenbürger“ im Greven Verlag (142 Seiten, 18,90 Euro) veröffentlicht.

Doch nur Priester zu sein – das genügte Wallraf nicht. Er hatte viele Talente. So dichtete er einen „Hymnus an die Natur“, widmete eine Denkschrift dem städtischen Schulwesen und verfasste lateinische Inschriften, er war Doktor der Medizin, Professor für Botanik und später Rektor der Universität.

Franzosen plündern die Kunstwerke der Stadt

Dann marschieren 1794 die Franzosen ein. Die Stadtschlüssel, die die Kölner freiwillig übergeben, befinden sich noch heute im Pariser Nationalarchiv. Entsetzt beobachtet nicht nur Wallraf, wie sich die Revolutionstruppen planmäßig über die Kunstwerke hermachen. Zumal der Raub der „Kreuzigung Petri“, eines Meisterwerks von Peter Paul Rubens aus der Kirche St. Peter, sorgt für Empörung. Erst viele Jahre später kehrt es zurück.

Genervt von Bonn

Wallraf gilt als intellektuelle Kapazität. Er begleitet Bürgermeister Johann Maria Nikolaus Du Mont 1795 nach Paris, um im französischen Nationalkonvent für einen pfleglichen Umgang mit Köln zu werben. Da geht es vor allem um den finanziellen Druck, der auf der Stadt lastet. Auch nervt die Unterordnung unter die Bezirkshauptstadt Bonn. Die Rede hatte Wallraf verfasst: „Gesetzgeber! Ein freies Volk an den Ufern des Rheins, ein seit Jahrhunderten freies Volk, fordert Gerechtigkeit von euch und die Einhaltung eurer Versprechen und Prinzipien.“ Das klingt selbstbewusst, kommt aber wohl gerade deshalb nicht so gut an bei den Besatzern.

Wallraf passt die französische Richtung nicht. Jedenfalls nicht zu Beginn. So verweigert er 1797 den Eid auf die neue Verfassung und wird daraufhin als Rektor der Universität abgesetzt. Allerdings holt er diesen Eid zwei Jahre später nach und spricht zur Eröffnung der neu geschaffenen „Zentralschule“. Ein radikaler Einschnitt ist dann die Säkularisation von 1802, die zur Auflösung von Kirchen und Klöstern führt.

Wallraf an Goethe: „Ich sammle unter Trümmern“

Mancherorts landet die religiöse Kunst buchstäblich auf der Straße. Wallraf sichert, was er sichern kann. Altäre, Gemälde, Bibelfenster. Auch kauft er viel und bietet bei Versteigerungen mit. Spitzenwerke von Bartholomäus Bruyn d. J. oder Stefan Lochner fallen ihm zu. An Goethe schreibt er, die Stadt sei „beraubt unseres Besten, unserer Altertümer“. Und er fügt an: „Ich sammle unter Trümmern.“

Es war seine größte Leistung. Doch kaum eine Würdigung der legendären Sammlung kommt ohne den Hinweis auf Chaos und Unordnung aus. Einen schönen Eindruck vom Tohuwabohu gibt die Kreidezeichnung von Nicolas Salm, die den Sammler umstellt zeigt von Gemälden und Schriftstücken, von mittelalterlichen Rüstungen und antiken Statuen. Schwere Folianten dienen ihm als Fußstütze. Da schaudert’s jeden Bücherfreund.

Huldigung an Napoleon

Der Kunstfrevel der Besatzer hindert ihn freilich nicht, für den Köln-Besuch von Kaiser Napoleon im Jahre 1804 tief in die Pathos-Kiste zu greifen. Im offiziellen Auftrag formuliert er Losungen, die auf Triumphbögen angebracht werden. Darauf begrüßt „die Stadt der Ubier“ den Herrscher, der seine Vorbilder übertreffe – namentlich Alexander den Großen, Cäsar und Karl den Großen. Da kann so ein Kaiser wohl nur noch „merci“ sagen.

Im selben Jahr nimmt Wallraf den Auftrag an, einen parkähnlichen Friedhof anzulegen. Aus hygienischen Gründen außerhalb der Stadt. Als ehemaliger Leiter des Botanischen Gartens (am Zeughaus) ist er dazu prädestiniert. So entsteht nach seinen Plänen der Melaten-Friedhof. Dabei orientiert er sich am Pariser „Père Lachaise“. Die lateinische Inschrift über dem Eingangstor an der Aachener Straße hat Wallraf erdacht: „Funeribus Agrippinensium sacer locus“ – „Ein den sterblichen Überresten der Kölner geheiligter Ort“. Auch Wallrafs Grabstätte befindet sich auf Melaten. Allerdings ist sie, beschädigt im Zweiten Weltkrieg, heute leer.

„Börsengässchen“ statt „Pißgässchen“

Ein weiteres Großprojekt: Wallraf soll den Kölner Straßen Namen geben, auf Deutsch und Französisch. Das sagt ihm zu. Denn was sich da über Jahrhunderte hinweg im Sprachgebrauch etabliert hatte, gefällt weder dem Stadthistoriker noch dem Schöngeist. Aus dem „Pißgässgen“ wird das „Börsengässchen“ („Passage de la Bourse“), aus der „Schmierstraße“ die „Comödienstraße“, aus der „Kotzgasse“ die „Kostgasse“ oder aus „Auf dem Lohplatz“ der „Chlodwigplatz“ („Place Clovis“). 1812 werden die neuen Straßennamen eingeführt. Doch es gibt viel Kritik. Nur 50 bleiben dauerhaft in Gebrauch.

Als die Franzosen abziehen, schwindet Wallrafs Wohlwollen sofort. In einer anonymen Schrift macht er sich lustig über „das wegziehende Personal der verhassten französischen Administrationen“. Und in einer Denkschrift beklagt er, Köln sei „das unglücklichste Opfer des französischen Trotzes“ geworden. Der Historiker Klaus Müller stellt fest: „Seine eigene Zusammenarbeit mit der fremden Macht sowie sein Lob Napoleons hatte Wallraf offenbar verdrängt.“

Richartz stiftet Geld fürs Museum

Wallraf liebte Köln. Aber die Stadt machte es ihm nicht leicht. Auch nicht bei der Pflege der Sammlung. „Gute Pläne sind in Köln unausführlich“, hat er einmal gesagt. So ganz stimmt das nicht. Immerhin gibt Johann Heinrich Richartz das Geld zum Bau eines Museums für die Sammlung. Doch als das Wallraf-Richartz-Museum 1861 eröffnet wird, sind beide, der Stifter und der Mäzen, bereits verstorben.

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