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50 Jahre SesamstraßeDie große Puppengemeinschaft feiert Geburtstag

Lesezeit 5 Minuten
Ernie und Bert

Ernie (rechts) und Bert aus der Sesamstraße.

  • Die beliebte Puppenshow feiert ihren 50. Geburtstag. Ernie, Bert und der Rest der Bande haben also allen Grund zu feiern.
  • Wir werfen einen Blick auf die vergangenen 50 Jahre und die Entwicklung der Sesamstraße.
  • Unser Autor fühlt sich dabei vor allem an seine Kindheit zurückerinnert.

Köln – Ein dreijähriges Mädchen sitzt vor dem Fernseher. Er hält sich die Ohren zu, denn aus dem Gerät dringt ein schrilles Pfeifen. Aber es guckt. Guckt, obwohl da noch gar nichts zu sehen ist, so früh am Morgen. Nur das Testbild. Aber die kleine Sarah weiß: Da kommt bald was. Der Vater steht auf, betrachtet seine Tochter, und fragt sich, was es zu bedeuten hat, dass ein kleines Kind vom Testbild fasziniert ist. Er ist Psychologe, da interessiert ihn so etwas.

Ein paar Monate später erzählt er die Geschichte vom Testbild auf einer Party einem befreundeten Paar. Sie arbeitet beim Fernsehen, als Produzentin. Hört genau zu. Erst recht als der Psychologe die entscheidende Frage stellt: „Denken Sie, man könnte das Fernsehen dazu benutzen, jungen Kindern etwas beizubringen?“ 

Das war im Dezember 1965. Der Psychologe ist Lloyd Morrisett, die TV-Produzentin heißt Joan Ganz Cooney. Zusammen werden sie die Sesamstraße erfinden, die Sendung, die bald genau so zur Kindheit gehören wird, wie Weihnachtsgeschenke, Buddelhosen und Gummibärchen. Am 10. November wurde sie zum ersten Mal im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt. Am Sonntag wird die Sesamstraße also 50 Jahre alt.

Jim Henson, der Macher dahinter

Morrisett und Cooney mögen das revolutionäre pädagogische Konzept der Sendung entworfen haben – ihr Kinderprogramm ist das erste, das  sich erzieherische Ziele setzt und einer permanenten pädagogischen Beurteilung unterzieht –, aber die Seele  der Sesamstraße gehört Jim Henson, dem Mann, der entdeckt hat, was für eine tolle Puppenbühne so eine Fernseheröhre doch ist. Ohne seine Muppets wäre die Sendung nur ein Konzept ohne junge Zuschauer geblieben.

Ein dreijähriger Junge sitzt vor dem Fernseher. Guckt, obwohl es da kaum was zu sehen gibt. Nur ein Standbild. Das aber vereint alle Fernsehkinder in froher Erwartung, denn da steht zu lesen: „Wir warten auf die Sesamstraße“. Sesamstraße: Der Name vereint das Wunderbare und das Urbane.

Der dreijährige Junge bin ich. Die Sesamstraße ist noch ganz neu in Deutschland und unter den Erwachsenen, aber nur unter denen, höchst umstritten. Die ARD hat die Rechte vom amerikanischen Anbieter gekauft. Doch der Bayerische Rundfunk weigert sich, den Importartikel auszustrahlen. Die soziale Situation in Deutschland, heißt es, entspräche nicht der in der Sendung.

Ernie und Bert - ein klassisches Comedy-Duo!

Da haben die traditionsbewussten Bayern durchaus recht: Griesgrämige, grüne Fellmonster, die vorzugsweise in Mülltonnen leben. Lässig liebenswerte Afroamerikaner wie Gordon und Susan, die mit Kindern so umzugehen wissen, wie man sich das als deutscher Vorschüler nicht zu erträumen wagt. Und eine ganz besondere Wohngemeinschaft aus zwei Klappmaulpuppen, in der das Kind, also Ernie, das Sagen hat. Ernie und Bert sind eines der großen, klassischen Comedy-Duos. Sind Laurel & Hardy, Jerry Lewis und Dean Martin. Jim Henson spielt und spricht den Kindskopf Ernie, Frank Oz den genervten Bert. Wenn ich meine Kinder erschrecken will, erzähle ich ihnen, dass Bert, Miss Piggy und der weise Yoda aus „Star Wars“ ein und dieselbe Person sind.  Die Synchron-Version ist nicht schlechter, Gerd Duwners Ernie-Lachen ist der beste Sound der Kindheit, und Wolfgang Kieling ist als Bert geradezu beängstigend vernünftig. So sind sie die Erwachsenen. Diese Sesamstraße ist so viel besser als das graue, piefige Deutschland anno 1972.

Zu Weihnachten bekommen meine Schwester und ich große Handpuppen von Ernie und Bert. Und streiten fortan darüber, wer Ernie spielen darf.  Aber eigentlich brauchte ich keine Puppen, um von meinem Leben in der Sesamstraße zu träumen.

Supergrobi, Kekse und Mülltonnen

Ich bin Grobi, dieser blaubepelzte, pinkbenaste Minderleister, der hysterisch von links nach rechts, von vorne nach hinten rast, um seinen Zuschauern das Leben in der dritten Dimension verständlich zu machen, der als Kellner Restaurantgäste zur Verzweiflung bringt, weil er sich keinen Sonderwunsch, ach, eigentlich gar keine Bestellung merken kann, und der als Supergrobi vom Fliegen träumt und doch nur Abstürze erleidet. Wer Grobi zuschaut, verliert die Angst vorm Versagen.

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Ich bin das Krümelmonster, das stets mit rollenden Augen und „Dumdiedumdiedum“ singend ins Bild wankt und die gerade laufende Diskussion mit dem lautstarken Ruf nach Keksen unterbricht. Ja sogar noch „Keksä!“ rief, wenn Ernie ihm einen Kuchen serviert und dazu das entsprechende Lied singt (das niemand, der mit der Sesamstraße aufgewachsen ist, jemals wieder aus dem Kopf kriegen wird). Von Krümel lernen wir Kinder die Macht des Monothematischen.

Vor allem aber bin ich Oscar, der bärbeißige Mülltonnenbewohner der Sesamstraße, der eine amerikanische Saison lang orange ist, bevor er sich für einen schmutzig-grünen Fellton entscheidet (sieht noch verwegen-verkommener aus), den man dann auch in Deutschland zu sehen bekommt.  Oscar mag nichts, außer Müll, und niemanden, außer kleine Kinder (weshalb kleine Kinder Oscar mögen). Aber Oscar genießt seine schlechte Laune, man kann sagen: seine schlechte Laune macht ihm gute Laune, und auch das ist eine mächtige Lektion fürs Leben.

Eltern, die Oscars subversives Potenzial erkannt haben, protestieren. Angeblich haben sich ihre Kinder in Mülltonnen gesetzt. Weshalb die deutsche Sesamstraße ab 1976 ohne ihre titelgebende Rahmenhandlung gezeigt wird. Zwei Jahre darauf ziehen Samson und Tiffy ein. Damit ist die  Sesamstraße für mich gestorben. Aber ich bin halt auch nicht mehr drei.  Auf Graf Zahl und seinen Matheunterricht falle ich jedenfalls nicht mehr rein.

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