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Afrika Film Festival Köln„Für wen wird die Geschichte erzählt?"

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Der Film „Tug of War“ handelt von einer Befreiungsbewegung in Sansibar. 

  • Amil Shivji ist ein Autor, Regisseur und Filmproduzent aus Daressalaam, Tansania
  • Sein Spielfilm „Tug of War" (Vuta N'Kuvute) wird bei der Eröffnung des 19. Afrika Film Festival Köln am 15.09. gezeigt
  • Im Interview spricht er über die neokolonialen Bedingungen der Filmindustrie und über seine Vorfreude auf seinen Besuch in Köln

Sie sind in Daressalaam aufgewachsen. Haben Sie als Kind Hollywood-Filme gesehen oder gibt es eine tansanische Filmtradition, die für Sie wichtig war?

Amil Shivji: Es gab damals keine tansanische Filmtradition, also habe ich überhaupt keine einheimischen Filme gesehen. Es wurde viel Bollywood-Kino gezeigt, das habe ich mir ab und zu angesehen. Es gab auch eine Videothek ganz in der Nähe unseres Hauses. Jeden Freitagabend besorgten uns unsere Eltern zwei VHS-Kassetten: Einen ernsten Film für meine Schwester und meine Eltern, einen Zeichentrick- oder Kinderfilm für mich. Das wurde zu einer Familientradition. Als ich anfing, an der Universität Filme zu sehen, erinnerte mich das immer an diese Tradition, die wir zu Hause haben. So habe ich das Kino lieben gelernt.

Das hört sich an, als ob das Anschauen von Filmen mit Ihrer Familie ein Ort großer Behaglichkeit war.

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Lustigerweise war es alles andere als behaglich. Am Ende habe ich immer den Film gesehen, den meine Eltern oder meine Schwester ausgesucht haben. Mein Vater ist Juraprofessor und ein sehr überzeugter Marxist und politischer Meinungsmacher in Tansania. Sie wählten diese indischen Filme der alten Schule aus, zum Beispiel über einen Anwalt, der für die Rechte der Dorfbewohner kämpft, deren Land gestohlen wurde. Filme aus den 70er oder 80er Jahren mit sehr progressiven politischen Themen. Sie sind sehr schwer anzusehen. Ich erinnere mich, dass ich wirklich harte Filme wie Denzels „Malcolm X“ gesehen habe, als ich neun oder zehn Jahre alt war. Aber sie ermöglichten mir, die Ernsthaftigkeit der Kunst zu erkennen. Wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass ich das Kino immer geliebt habe, auch wenn es mir damals nicht bewusst war.

Amil Shivjis Weg zum Film und Ausbildung als Regisseur

Wie sind Sie Filmemacher geworden?

Ich bin ganz zufällig in einem Filmprogramm der York University in Toronto gelandet. Es war ein Vollstipendium. Wenn man im Westen ist, hat man Zugang zu Ressourcen, die man in Afrika nicht hat. So sah ich zum ersten Mal afrikanische Filme, brasilianisches Kino, sowjetische Montage und erkannte, dass es einen sehr ideologischen Ansatz gibt, um Geschichten im Kino zu erzählen. Und das ging über den Schreibprozess hinaus. Da waren Leute, die die Worte visualisierten oder durch Bilder schrieben, was ich sehr aufregend fand, und ich sah darin eine Möglichkeit, meine Schreibfähigkeiten über das Papier hinaus zu entwickeln. Ich wollte mit der Idee experimentieren, Geschichten durch bewegte Bilder zu erzählen. 

Bis vor kurzem waren Sie auch Dozent an der Universität von Daressalaam. Können wir eine neue Generation tansanischer Filmemacher erwarten?

Der Andrang ist groß. Als ich vor sieben Jahren mit dem Unterrichten begann, hatte ich zwei Studenten in meiner Klasse, und sieben Jahre später habe ich mit 500 aufgehört. Das ist einer der Gründe, warum ich gehen musste, es war überwältigend. Es gab keine Infrastruktur. Ich hatte keine Tutorenhilfe oder sonstige Unterstützung. Aber es gibt definitiv mehr Interesse am Filmemachen. Im Guten wie im Schlechten ist die Idee der Content-Produktion an jeder Ecke zu finden, buchstäblich überall. Ob auf Instagram oder YouTube, die Leute müssen einfach visuelle Inhalte schaffen. Aber ich habe immer den Blickwinkel des afrikanischen Kinos eingenommen und versucht, die Idee dieser kommerzialisierten, glamourösen, netten Aufnahmen und netten Fotos ohne jegliche Substanz zu dekonstruieren. Ich halte das für wichtig, denn in Tansania werden zwar mehr Inhalte geschaffen, aber es fehlt ihnen an Bedeutung.

Zum Film

Tug of War (Originaltitel: Vuta N'Kuvute) handelt von einer Unabhängigkeitsbewegung im Sansibar der 1950er Jahre. Yasmin, die aus Indien stammt, flieht vor einer arrangierten Ehe in ein Swahili-Viertel. Dort lernt sie den jungen Revolutionär Denge kennen, der die Insel von der britischen Herrschaft befreien will. 

„Tug of War“ wird bald in Köln zu sehen sein

Ihr Film „Tug of War“ wird bei der Eröffnung des Africa Film Festivals in Köln gezeigt werden. Es war wahrscheinlich eine ziemliche Herausforderung, ohne das große Budget eines Hollywood-Films einen Historienfilm zu drehen, der in den 50er Jahren spielt. Trotzdem sieht der Film atemberaubend schön aus.

Um ganz ehrlich zu sein, das liegt an Sansibar. Bei jedem Film, den ich drehe, egal ob es sich um einen historischen oder zeitgenössischen Film handelt, möchte ich nicht an einen Ort gehen und ihn verändern. Für mich geht es darum, den Ort zu mir sprechen zu lassen, zu meiner Geschichte. Der Ort muss seine eigene Sprache haben. Bei Sansibar haben wir den gleichen Ansatz gewählt. Diese Mauern, diese Straßen, diese Räume sprechen für sich selbst. Eines meiner Probleme mit historischen Filmen, vor allem mit politischen, ist, dass man sich dadurch von jeder politischen Agenda von heute entfernt. Ich wollte einen Film machen, der sich mit dem Autoritarismus auseinandersetzt, damit man ihn sehen kann und das Gefühl hat, dass er jetzt passiert.

Vor allem als wir ihn in Sansibar zeigten, hatten die Leute das Gefühl, dass diese 1950er Jahre eine Gegenwart zeigen. Es ist zwar ein Blick auf die Geschichte, aber durch die Linse von heute hindurch. Wir hatten in Tansania noch nie einen historischen Film selbst gedreht. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob jemals in Ostafrika ein historischer Film von Einheimischen gedreht wurde. Deshalb war es für uns als Tansanier wichtig, die Grenzen des Machbaren zu erweitern und unsere Fähigkeiten zu testen; mehr zu recherchieren und einfach dieses Talent und diese Möglichkeit aufzubauen, damit wir wissen, dass wir das nochmal schaffen können.

Wie wurde der Film in Tansania und Sansibar aufgenommen?

Es war verblüffend. Anfangs war ich sehr besorgt, weil der Film für die Menschen dort bestimmt war. Bei der ersten Vorführung im Dezember letzten Jahres waren etwa 1500 Menschen im Amphitheater, unter freiem Himmel, sogar der Vizepräsident war da. Es war einfach wunderschön. Und beim Sansibar Film Festival, das wir dieses Jahr im Juni eröffnet haben, habe ich mit der Hälfte der Zuschauer gerechnet, weil die Leute den Film ja schon gesehen hatten. Es kamen sogar noch mehr Leute und sie fanden ihn toll. Er ist wirklich gut gelaufen. Er wurde auch in Daressalaam in Kinos gezeigt, was für einen tansanischen Film ein seltenes Ereignis ist. Der Film wurde zweieinhalb Wochen gespielt und war jeden zweiten Tag ausverkauft. Die Leute standen Schlange, um Karten zu kaufen. 

Koloniale Denkmuster in der Filmindustrie

Wie wichtig ist es, dass Menschen aus Tansania ihre eigenen Geschichten erzählen?

Das ist sehr wichtig. Ich denke nicht, dass jemand anderes tansanische Geschichten erzählen sollte. Oberflächlich betrachtet sind sich alle einig, dass Menschen die Geschichten ihres Landes selbst erzählen sollten. Ich glaube die Debatte hat sich eher dahingehend entwickelt, welche Art von Geschichten wir erzählen. Ich habe das vor etwa 10 Jahren beobachtet. Ob Kurzfilme, kurze Dokumentarfilme über Malaria, HIV oder was auch immer, Leute von außerhalb bringen ihre eigenen Teams und ein großes Budget mit. Wir haben sowohl den Inhalt als auch die Form kritisiert. Warum bringt ihr diese Leute mit, um Geschichten über Dinge zu erzählen, die wir durchleben? Und warum erzählt ihr nur Geschichten über HIV und Malaria?

Jetzt gibt es diese Organisationen immer noch, und sie bekommen immer noch dieselbe Menge Geld und wollen immer noch dieselben Geschichten erzählen, aber sie lassen es von Einheimischen machen. Es gibt also immer noch ein Problem, sie rechtfertigen den Inhalt durch lokale Produktionsfirmen. Wir dürfen dieses Argument nicht darauf beschränken, dass ich einen tansanischen Pass habe, also auch die tansanische Geschichte erzählen darf. Was für eine Geschichte wird erzählt? Für wen wird sie erzählt? 

Vielfalt beim 19. Afrika Film Festival Köln

Das Afrika Film Festival Köln kann auf eine 30-jährige Geschichte zurückblicken und zeigte Filme aus über 50 verschiedenen Ländern, und trotzdem sprechen wir über das „afrikanische Kino". Gibt es das überhaupt oder ist es sehr länderspezifisch? 

Ich denke es ist schwer, das alles unter einem einzigen Begriff zusammenzufassen, ähnlich wie der berüchtigte Begriff „world cinema“ - alles, was nicht europäisch oder nordamerikanisch war, wurde lange Zeit als „world cinema“ bezeichnet. Diese Kategorien gibt es immer noch, und die Leute haben sich wirklich dagegen gewehrt. Ich hoffe, dass man das ein bisschen aufbrechen und Afrika zumindest mit den Regionen betrachten kann. Ja, ich denke, dass der Begriff „afrikanisches Kino“ problematisch ist, wenn es um die Auswahl und Programmgestaltung geht, aber ich kann ihn als Begriff schätzen, wenn es um Filme geht, die auf dem Kontinent entwickelt werden. 

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Haben Sie sich das diesjährige Programm für das Festival in Köln angeschaut? Werden Sie auch andere Vorführungen besuchen?

Ja, auf jeden Fall. Das erste Mal war ich vielleicht 2015 in Köln, ich war ein paar Mal dort. 2018 war ich der Schirmherr des Festivals. Und es ist so ein schönes Festival. Es ist ein kleines Festival in dem Sinne, dass es intim und familiär ist. Sie kümmern sich so gut um einen und man lernt tolle Leute kennen. Aber es ist auch ziemlich groß, weil sie so viele Filme aufnehmen und ihr Programm sehr bewusst gestalten, was ich wirklich wunderbar finde. Ich freue mich also immer, wenn ich in Köln bin und dort Filmemacher treffe. Das Networking war schon immer großartig und ich habe dort wunderbare Freunde gefunden.

Zur Veranstaltung

Afrika Film Festival Köln

15.-25. September 2022

Tickets und Programm

Organisiert von: 

FilmInitiativ Köln e.V. Heidemannstraße 76a, D-50825 Köln Tel. 0049-(0)221-4696243, mail@filminitiativ.de

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