Afrodeutsche Entertainer„Wir waren schwarz und taugten doch nichts"

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Die deutsche Disco-Formation Boney M. im Jahr 1981

  • Von Billy Mos „Tirolerhut" bis zu Boney M.'s „Rivers of Babylon": Schwarze Entertainer sind ein wichtiger Teil der deutschen Popgeschichte.
  • Wie afrodeutsche Künstler wahrgenommen wurden, erzählt viel über Sehnsüchte und Vorurteile ihres Publikums.
  • Ein kurzer Abriss einer noch viel zu wenig beachteten Historie.

Köln – Peter Mico Joachim wächst als Waise auf der Karibikinsel Trinidad heran. Doch der Schwarze fühlt sich als Deutscher. Zumindest nachträglich: Einem „Spiegel“-Reporter erzählt er 1966, sein Großvater mit Vornamen Peter Joachim sei als Schutztruppenoffizier in der Deutschen Kolonie Kamerun stationiert gewesen. Als Billy Mo hat der Jazz-Trompeter ein paar Jahre zuvor eine Karriere als volkstümlicher Schlagersänger gestartet. Mit der von kurzen Dixieland-Passagen unterbrochenen Polka „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“ gelingt ihm 1962 ein Nummer-Eins-Hit in Deutschland. Bis zum Ende seines Lebens wird er mit dem Lied durch Heimatfilme („Übermut im Salzkammergut) und Volksmusiksendungen tingeln, im Janker und mit Tirolerhut.

Mo bedient nicht die schlagertypische Sehnsucht nach Exotik, eher verstärkt er eine konfliktfreie Heimatliebe durch Überaffirmation. Er ist – wie der „jodelnde Japaner“ Takeo Ischi – noch ein wenig deutscher als die Deutschen. Mos Popularität gründe auf seinem Talent, die Deutschen in ihrer eigenen Spezialsparte zu schlagen – der Humtata-Musik, urteilt der afrodeutsche Journalist Hans J. Massaquoi, bekannt durch das Buch „Neger, Neger, Schornsteinfeger!“, in dem er seine Hamburger Kindheit unter dem Nazi-Regime schildert.

Wer die Geschichte afrodeutscher Entertainer betrachtet, erfährt viel darüber, wie das weiße Publikum sich selbst sieht – in dem es dieses Selbstbild auf schwarze Körper projiziert.

Roberto Blanco: Der bekannteste schwarze Deutsche

Roberto Blanco ist der bekannteste schwarze Deutsche. Aufgewachsen ist der Sohn eines kubanischen Künstlerpaares in Beirut und Madrid. Seine eigene Show-Karriere beginnt, als der junge Medizinstudent im Flugzeug nach Deutschland von einem Filmproduzenten angesprochen wird. Daraus ergibt sich eine kleine Rolle in dem Jagdfliegerepos „Der Stern von Afrika“ (1957). „Hey, wie wär’s? Tanz doch mal“, wird Blanco als „Mathias“ in einem Lokal von deutschen Kampfpiloten aufgefordert. Schon steht er mit entblößtem Oberkörper auf einem Podest. Tanzt, lacht, klatscht, schwitzt. In der nächsten Szene präsentiert einer der Flieger „Mathias“ seinen Kameraden als Geschenk: „Er macht alles. Kocht, wäscht, mixt jedes Getränk und bringt Leben in die Bude. Los, Mathias!“ Und wieder tanzt und lacht Blanco.

Sein erfolgreichster Titel als Sänger ist „Heute so, morgen so“ aus dem Jahr 1969, ein beschwingter Big-Band-Schlager. Hängen geblieben im kollektiven Bewusstsein ist jedoch allein der urdeutsche Partystampfer „Ein bisschen Spaß muss sein“ – man beachte das Modalverb – den Blanco mit noch größerer Hartnäckigkeit als Billy Mo seinen „Tirolerhut“ im Fernsehen und auf Betriebsfesten zum Besten gibt. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann lobt Blanco in einer „Hart aber fair“-Sendung als „wunderbaren Neger“. Blanco, selbst CSU-Ehrenmitglied, bedankt sich für das Adjektiv.

Frank Farians karibischer Traum

„Ich habe aus Jux einfach mal eine schwarze Musik produziert“, erzählt Frank Farian Ende der 1970er im Interview. Für seinen Titel „Baby Do You Wanna Bump“ legt sich der Schlagersänger („Rocky“) das Pseudonym Boney M. zu, als die ersten TV-Anfragen kommen, macht er sich auf die Suche nach telegenen Repräsentanten seiner Musik. Nach mehreren Umbesetzungen firmieren Liz Mitchell, Marcia Barrett, Maizie Williams und Bobby Farrell als Boney M., alle vier stammen aus der Karibik, im Studio dürfen nur Mitchell und Barrett singen.

Boney M. verkauft mehr als 150 Millionen Tonträger, die vier offiziellen Bandmitglieder sehen nur einen Bruchteil des erwirtschafteten Geldes: „Man konnte ungestraft finanziell mit uns herumalbern und uns verspotten, denn wir waren halt schwarz und taugten doch zu nichts“, bilanziert Liz Mitchell Jahre später. Ausgerechnet der größte Boney M.-Hit, „Rivers of Babylon“, ist die Coverversion eines Songs der jamaikanischen Band The Melodians. Farian hat ein schwarzes Stück kopiert, von Anspielungen auf die Rastafari-Religion befreit und als karibische Fantasie eines Deutschen neu verkauft.

Tic Tac Toe als gecasteter Realismus

Die afrodeutsche Girlgroup Tic Tac Toe kommt Mitte der 90er mit Songs wie „Ich find’ dich scheiße“, „Verpiss’ Dich“ und „Ruhrpottniggaz“ als realistischere Version der schwarzen Erfahrung daher. Doch die Titel stammen von ihrer weißen Managerin Claudia Wohlfromm, die drei Bandmitglieder Marlene Tackenberg, Liane Wiegelmann und Ricarda Wältken wurden von ihr gecastet und zu Jazzy, Lee und Ricky umgetauft.

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So bleibt die Geschichte afrodeutscher Entertainer über weite Strecken die rassistischer Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft. Eine selbstbestimmte afrodeutsche Historie beginnt erst 1992, mit dem Debüt der Heidelberger HipHop-Formation Advanced Chemistry: „Fremd im eigenen Land“.

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