Ahmad MansourPazifismus ist die falsche Antwort auf die aktuelle Lage

Lesezeit 7 Minuten
Pazifismus Symbolbilc

Demonstration für Frieden

  • Ahmad Mansour ist Diplom-Psychologe und Autor, er besitzt die deutsche und israelische Staatsangehörigkeit.
  • 2018 gründete Mansour eine Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention.

Köln – Krieg ist das Schrecklichste, was unserem Kontinent widerfahren konnte. Für die Seele ist eine solche Erfahrung traumatisch und irreversibel. Das habe ich leider mehrfach in meinem Leben durchmachen müssen. Das Jahr 1991 werde ich niemals vergessen: Eines nachts riss uns mein Vater in Panik aus dem Schlaf und wies uns an, Gasmasken zu tragen. Dann ging es in einen Schutzraum, dort sollten wir uns vor den Angriffen des Iraks auf Israel verstecken. Die Sirenen und das Donnern der Raketeneinschläge sind in meinem Gedächtnis für alle Ewigkeit eingebrannt.

Für den Frieden muss man zu kämpfen bereit sein

Genauso wie die Terrorattentate, die ich direkt und indirekt miterleben musste. Verzweifelt schreiende Menschen, die Orientierungslosigkeit, der Drang zu fliehen, die Angst um Familie, Freunde und den eigenen Körper – das alles reißt mich bis heute immer wieder aus dem Schlaf und wird mich für immer begleiten. Solche Erfahrungen beeinflussen bis heute meine Entscheidungen, mein Handeln, meine politischen Einstellungen.

Frieden ist genau das, was ich in Deutschland und in Europa als Migrant gesucht und gefunden habe. Ich habe, wie so viele geflüchtete Menschen Europa schätzen und lieben gelernt. Es ist dementsprechend im höchsten Maße nachvollziehbar, menschlich und erstrebenswert, gegen Krieg zu sein.

Neuer Inhalt (2)

Ahmad Mansour

Wie viele andere habe ich jedoch auch verstanden: Für Frieden muss man bereit sein zu kämpfen. Die Komplexität der Ukraine-Krise zeigt das in aller Deutlichkeit. Die von manchen Kreisen propagierten Werte des Pazifismus, des Anti-Militarismus und des Anti-Patriotismus erweisen sich als selbst gebastelte Utopien, die obsessiv und mit geradezu religiösem Eifer verfolgt werden. Derartige Parolen klingen zwar hoch moralisch. Sie sind aber nicht nur unrealistisch, sondern haben vor allem keine Antworten auf die aktuellen Herausforderungen.

Wo wäre die Ukraine heute ohne Waffen und militärische Stärke? Wäre Präsident Wladimir Putin überhaupt den Weg in die militärische Aggression gegangen, wenn die westlichen Länder in den vergangenen Jahren verstärkt in ihr Militär investiert hätten? Wenn sie starke Armeen ausgebildet und – wenn es hätte sein müssen – auch militärisch reagiert hätten? Wenn die Ukraine längst Nato-Mitglied wäre?

Militärischer Einsatz als allerletzte Option

Um Krieg oder Faschismus zu verhindern, reichen gute Absichten leider nicht aus. Dazu braucht es auch militärische Präsenz. Natürlich muss eine militärische Aktion immer die allerletzte Option bleiben. Doch wer sie gänzlich ausschließt, sorgt nicht für eine bessere Welt, weder in der Ukraine noch in Syrien oder in Iran. Der von einigen Linken noch immer hochgehaltene Pazifismus funktioniert am Ende nur unter Pazifisten.

Die Krise in der Ukraine hat die meisten Demokratien der Welt überrascht, weil sie in den letzten Jahren alle Alarmsignale bewusst ignoriert und sogar verdrängt haben. Die Wahrheit zu sehen, bedeutet Anstrengung – eine Anstrengung, zu der wir nicht bereit waren. Das hätte nämlich bedeutet, sich militärisch und diplomatisch vorzubereiten. Krieg schien vom europäischen Standpunkt immer weit weg zu sein. Es gibt ihn, klar, aber nicht auf unserem Kontinent. Doch wer Putin und seine Argumente hörte, konnte wissen, in welche Richtung er sich bewegt.

Geopolitisches Vakuum

Auch das geopolitische Vakuum, das die USA schufen, als sie sich bewusst nach innen orientierten und kaum noch militärisch intervenieren wollten – siehe Afghanistan, siehe Syrien! - war eine Einladung an Autokraten wie Putin, dieses Vakuum zu füllen und sich das zu trauen, was sie angesichts einer starken militärischen Präsenz als Gegenüber nicht getan hätten.

Man komme mir nun bitte nicht gleich mit dem Einwand, was die USA vor allem im Nahen Osten an Schlimmem angerichtet haben! Das Töten, die Zerstörung – all das sehe ich auch ich, und selbstverständlich lehne ich es ab. Aber ich empfehle, nicht zu vergessen, was Saddam Hussein im Irak seinem eigenen Volk jahrzehntelang angetan hatte. Ich empfehle, auch nicht den „Islamischen Staat“ zu vergessen, die Terrorgruppen des Iranregimes, den Staatsterror in Syrien, das Morden im Jemen, den zivilisatorischen Rückfall in Afghanistan. Ohne die Anwesenheit der USA wird es dort immer schlimmer, chaotischer. Der Preis sind immer mehr Menschenleben. Gleichzeitig fehlt eine Perspektive vor Ort, und vor allem fehlt es an einer Demokratisierungsstrategie – etwas, was die USA in ihrem geopolitischen Handeln tatsächlich nicht geschafft haben.

Das Wichtigste ist die Sicherung der Menschenrechte

Das Wichtigste, worum es gehen sollte, ist nicht der Pazifismus an sich, sondern viel mehr die Erhaltung und Verbreitung der Menschenrechte. Es ist unsere historische Verantwortung als Demokraten und als vereinte Wertegemeinschaft. Dort, wo Menschenrechte systematisch verletzt werden, müssen wir laut und aktiv werden. Das soll nicht heißen, dass stets militärische Stärke eingesetzt wird. Doch dort, wo alle anderen Maßnahmen versagen, gilt es auch für uns Deutsche, die Bundeswehr als Instrument zur Verteidigung der Menschenrechte einzubeziehen oder ihren Einsatz zumindest nicht kategorisch auszuschließen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die ernsthafte Bereitschaft, Menschenleben und Menschenrechte zu schützen, ist ein Kerngedanke der politischen Linken, wie ich sie verstehe und unterstütze. Dabei muss ich an die Rede des damaligen Außenministers Joschka Fischer zum Nato-Einsatz im Kosovo im Jahr 1999 denken: „Ihr mögt alles falsch finden, was diese Bundesregierung gemacht hat und die Nato macht. Aber mich würde mal interessieren, wie denn von einem linken Standpunkt aus das, was in Jugoslawien seit 1992 an ethnischer Kriegführung, an völkischer Politik betrieben wird, wie dies von einem Linken, von eurem Standpunkt aus, denn tatsächlich zu benennen ist... Ich war am letzten Sonntag in einem Flüchtlingslager in Mazedonien. Geht doch mal mit eurer Position dort hin und redet mit den Menschen. Mal sehen, was die dazu sagen. Es sind die direkt Betroffenen. Es sind die Vertriebenen...“

Joschka Fischer und der Kosovo-Einsatz

Fischer hielt diese Rede 1999 auf dem sogenannten Kosovo-Sonderparteitag in Bielefeld, einem außerordentlichen Parteitag der Grünen. Er verteidigte dort den Kosovo-Einsatz deutscher Truppen im Rahmen der Nato. Es war der erste deutsche Kriegseinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Entscheidung stieß auf sehr große Ablehnung. Doch Fischer stand dazu. Joschka Fischer damals, die Realpolitiker der Ampel-Regierung heute, viele andere – auch linke – Politiker und vor allem das ukrainische Volk tun mit ihrem Einsatz mehr für den Frieden als die anti-militaristischen Randgruppen in dieser Gesellschaft.

Wer Menschenrechte schützen will, braucht hinter sich eine Armee. Man mag das unappetitlich finden, es ist aber die Realität, mit der wir auf diesem Globus leben und leider immer gelebt haben. Wer glaubt, mit Blumen und Moral Nazis, Terroristen oder einen Putin stoppen zu können, will die Realität nicht verstehen. Er folgt Maximen, die sich auf dem Papier nett machen, aber täglich Menschenleben kosten.

Grundstein des Staates Israel

Armeen sind nicht nur da, um Krieg zu führen, sondern auch, um durch die Bereitschaft zur Verteidigung Kriege zu verhindern oder wenigstens für ein schnelleres Ende von Kriegen zu sorgen. Das ist auch der Grundstein, auf dem der Staat Israel gegründet wurde. Das jüdische Volk, das seiner historischen Verantwortung folgt und sich diese in seiner Politik täglich vor Augen hält, hat verstanden: Nur ein selbstbestimmtes Leben unter dem Schutz militärischer Stärke kann den Bestand der einzigen Demokratie im Nahen Osten garantieren.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Es ist eine innere Einstellung, dass erworbene militärische Stärke immer erst dann zum Einsatz kommt, wenn Reden, Verhandlungen und der Versuch, Lösungen zu finden, keine Chance mehr haben. Deshalb greifen intakte Demokratien einander nicht an. Sie wählen in Konflikten den Weg der streitigen, aber friedlichen Kommunikation. Dieser Weg ist ein vom Westen hart erarbeiteter Luxus. Entgleisen Demokratien - wie Russland - zu Autokratien oder Diktaturen, dann müssen die verbleibenden Demokratien für alle Eventualitäten gewappnet sein.

Ahmad Mansour ist Diplom-Psychologe und Autor aus Berlin. Geboren 1976 in Kfar Saba (Israel), besitzt er die israelische und die deutsche Staatsangehörigkeit. 2018 gründete Mansour eine Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention, die verschiedene Projekte im Bildungs- und Integrationsbereich sowie in Justizvollzugsanstalten durchführt. (jf)

KStA abonnieren