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Annette Frier im Interview„Ich finde es wahrscheinlicher, dass Gott existiert“

Lesezeit 9 Minuten
Anette Frier steht in Köln und Berlin als Titelheldin in David Javerbaums Stück „Gott der Allmächtige“ auf der Bühne.

Anette Frier steht in Köln und Berlin als Titelheldin in David Javerbaums Stück „Gott der Allmächtige“ auf der Bühne.

Köln – Schauspielerin Annette Frier sprach im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ über ihre Motive, in der Kirche zu bleiben, über das Risiko, der Allmächtige zu sein, und über die Brutalität von Weihnachten.

Frau Frier, Gott wird Mensch, heißt es an Weihnachten. Dass Gott Annette Frier wird, davon war keine Rede.

In der Broadway-Fassung von David Javerbaums Buch „Gott der Allmächtige“ die Titelheldin zu spielen, ist buchstäblich ein doppeltes Spiel, ein Spiel mit der klassischen Religionskritik und  der biblischen Tradition. Gott ist eine Projektion des Menschen, sagt Ludwig Feuerbach. Der Mensch ist Ebenbild Gottes, sagt der erste Schöpfungsbericht im Alten Testament – und Gott sagt seinem Theaterpublikum durch Javerbaum und durch mich: Ich bin wie ihr!

Demnach ist der Verstoß gegen das zweite Gebot im Alten Testament – „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – von jeher unausweichlich, sogar für Gott selbst?

Ich finde, es spricht weder gegen die Religion noch gegen Gott, dass die Menschen sich ihre Vorstellungen von ihm machen. Sie legen eigene Wünsche, Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste in ihr Bild von Gott. Natürlich entstehen dabei auch grässliche Zerrbilder. Aber damit ist doch für mich, die ich meine Kinder zum Erstkommunion-Unterricht schicke und übrigens immer noch nicht aus der Kirche ausgetreten bin, die Frage nach Gott nicht erledigt.

Was hält Sie in der Kirche?

Das frage ich mich auch oft. Wofür steht eigentlich mein Glaube? Die Wurzel ist vielleicht die Überzeugung, dass es wirklich mehr gibt zwischen Himmel und Erde als das, was wir sehen und was die Naturwissenschaft uns erklären kann. Ich finde es viel plausibler, viel wahrscheinlicher, dass Gott existiert, als dass es ihn nicht gibt.

Warum?

Weil ich jeden Tag kleine Wunder sehe, wenn ich mich nur mit offenen Augen umschaue. Ob dahinter der oder die oder das Gott steht – das ist dann eben die Frage nach unseren Bildern. Und die sind zweifellos oftmals so antiquiert, verkrustet, erstarrt, dass sie uns das Tröstliche am Gottesglauben gar nicht mehr spüren lassen. Deshalb bin ich ja Fan von Papst Franziskus - wie der von Gott redet, toll! Ich musste daran denken, als ich meine Kinder zur Erstkommunion angemeldet habe. Für mich als Kind war die Kommunionvorbereitung eine ganz wichtige Zeit.

Ich war acht Jahre alt  – und hatte zum ersten Mal richtig Ängste: Was passiert, wenn Mama und Papa sterben? Was passiert, wenn ich sterbe? Was ist, wenn alles einstürzt, was meine Welt ausmacht? Alles, was ich dann über Gott und Jesus erzählt bekam in diesen ganz einfachen, bildreichen biblischen Geschichten, wurde damals zu einem großen Halt für mich: Es gibt da etwas oder jemanden, der dich trägt! Die Möglichkeit dieser Erfahrung wollte ich meinen Kindern nicht vorenthalten. Ein Ethik-Kurs kann das, glaube ich, nicht ersetzen.

Christsein aus Mangel an Alternativen?

Keine schlechte Formulierung! Es gibt jedenfalls keine alternativen, unsrem Zeitgeist gemäßeren Strukturen, die der christlichen Tradition an Bindekraft und Reichweite gleichkämen. Ich finde das Wort „Leitkultur“ ja einigermaßen bescheuert. Aber wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, hat doch zumindest eine bestimmte Vertrautheit mit der christlichen Überlieferung. Die kann man natürlich mehr oder weniger nah an sich ranlassen. Ich persönlich zum Beispiel liebe Kirchen und halte mich wahnsinnig gern in diesen großen, luftigen, zweckfreien Räumen auf, um zur Ruhe zu kommen.

Mit meinen Kindern mache ich jetzt sonntags immer eine Übung. Wenn ihnen die Predigt zu lang wird und sie ungeduldig werden, sage ich ihnen: Übt doch einfach mal, dazusitzen und nichts zu machen – kein Hin- und Herrutschen, kein „Wie lange dauert“s noch?“, gar nix! Nur atmen!

Und das funktioniert?

Naja, teilweise. Es ist ja auch schwierig, wie wir Erwachsenen am besten wissen: Kontemplation? Puuh... Rituale? Ach du je… Nur mal ein Beispiel: Einander in der Messe die Hand zu geben und Frieden zu wünschen – nimmt sich vielleicht seltsam aus. Doch als sich die Kinder erstmal auf so was eingelassen haben, haben sie gemerkt, wie groß das ist. Aber, halt, Moment mal! Bevor das jetzt hier in die falsche Richtung läuft: Ich hadere auch mit vielem in der Kirche, was nur noch ritualisiert abläuft, ewig gestrig, fernab von unserem heutigen Leben.

Da kommt mir das aktuelle Theaterstück sehr gelegen, weil es das ganze weihevolle Gehabe entlarvt, die Gegenwartsverweigerung in der Religion unterläuft und ihren Verwaltungsapparat grundsätzlich in Frage stellt. Wie sich das für eine Satire gehört – und für mich mit meiner katholischen Sozialisation und meinem Wunsch nach Selbstvergewisserung im Glauben ist das eine lustvolle Feldstudie.

War es seltsam für Sie, als Gott auf der Bühne zu stehen?

Am Anfang schon – weil es die maximale Fallhöhe zwischen Rolle und Schauspieler ist. Wenn ich eines nicht bin, dann eben Gott. Also stand ich erst mal da und dachte: „O Gott – Gott!“ Aber das ist völlig weg, weil das Stück genau damit spielt. Wenn der Mensch Gott spielt, dann darf er in eine Fülle von Rollen springen, anders formuliert, von Gottesbildern. So bin ich Gott, der Verwaltungshengst; Gott, die Großzügige, Liebevolle, Empathische; Gott als Rächer; Gott als Lady Macbeth. Wenn ich Gott bin, ist die Freiheit grenzenlos. Das ist für mich als Schauspielerin ein Risiko, weil ich aufpassen muss, dass die Formatierung klar bleibt. Aber es macht auch unglaublich Spaß.

Haben Sie einen Lieblings-Gott, oder gibt’s in der Gottesvielfalt eine Art Persönlichkeitsentwicklung?

Es trifft sich irgendwie gut, dass die innere Dynamik des Stücks – wie ich gemerkt habe – auf Jesus zuläuft. Als Gott im Stück mitbekommt, dass sein Sohn Mensch werden will – mit dem ganzen Programm: Weihnachten, Bethlehem, Stall, Bergpredigt, letztes Abendmahl und am Ende die Kreuzigung – da lernt er sich selber neu kennen. Er entdeckt aus seiner alttestamentlichen Entwicklungsphase einen Haufen Fehler bei sich und sagt sich, wie wir Menschen ja alle: Hoffentlich macht mein Junge das besser! Das finde ich sehr tiefsinnig, weil Jesus ja tatsächlich ein neues Verständnis von Gott und Mensch vermittelt hat: Gott, der uns Menschen so sehr liebt, dass wir uns nicht nur selber und unseren Nächsten lieben dürfen, sondern sogar zur Feindesliebe fähig werden.

Wow! Ich finde es menschheitsgeschichtlich interessant, dass es ein historisches Datum gibt, an dem einer sagt, „Gleiches mit Gleichem vergelten, das ist vielleicht gar nicht die beste aller Ideen…“. Und was er da sagt, bleibt dann nicht als „unerhört“ stehen oder vergeht ungehört, sondern es hat Wirkungen. Bis heute. Darum nennen wir uns ja Christen. Geht das denn überhaupt noch als Comedy durch, was Sie da machen? Keine Sorge! Es gibt genug zu lachen, weil das Stück – wie Hanns-Dieter Hüsch mal geschrieben hat – „das Schwere leicht gesagt“ präsentiert und weil Gott, also… äh... mein Gott einfach eine coole Sau ist. Anfangs hatte ich sogar Sorge, es könnte zu viel werden. Wie ein zweistündiges Sketch-Format, jeder Satz ein Gag. So was zum Beispiel turnt mich total ab.

Hätten Sie sich, mal ehrlich, mit so einem Bühnenformat auch an Allah herangetraut? Dessen Bodenpersonal versteht dem Vernehmen nach nicht immer so viel Spaß.

Erstens spiele ich nicht den jüdischen Gott oder den christlichen Gott, sondern Gott für alle. Es ist auch der Gott, der über den Erzengel Gabriel – meinen Partner im Stück – Mohammed den Koran diktiert hat. Zweitens, das stimmt schon auch, sind die meisten Bezüge im Stück der Bibel entlehnt. Ich finde es aber angemessen, dass wir uns in unseren Breiten auch unserer eigenen religiösen Kultur bedienen. Irgendwelche Koran-Interna zu persiflieren – das fiele mir überhaupt nicht ein, weil ich damit nicht auskenne. Aber so macht es einfach Spaß, auch deshalb, weil die Bibel so eine tolle Vorlage ist: Adam und Eva, Noah, Abraham, Mose, Jesu – was sind das für Typen! Was sind das für starke Geschichten!

Eine dieser Geschichten ist Weihnachten. Sie kommt im Stück auch kurz vor.

Ja, mit einer Bomben-Pointe zur Jungfrauen-Geburt. Gott sagt: „Lasst uns damit nicht weiter aufhalten. Sie hat empfangen, sie wurde schwanger, sie hat aller Welt erzählt, dass sie Jungfrau ist, keiner hat’s geglaubt, Ende der Geschichte“. Okay, muss man mögen… Aber es führt doch darauf, das Geheimnis von Weihnachten woanders zu suchen.

Wo finden Sie es?

Ich sehe es in den andächtigen, leuchtenden Augen meiner Kinder – und im Kontrast zwischen Krippe und Kreuz. Meine Güte, ist das brutal! Da ist das Christentum ja unglaublich hart. Erst alles herzig, alles niedlich,  Kindelein und Krippelein. Und dann gucken die Kinder in der Kirche hoch und sehen – den gekreuzigten Sohn Gottes. Das muss man auch erst mal verpacken! Trotzdem freuen wir uns zuhause natürlich auf Weihnachten.

Zum Glück haben wir gute Voraussetzungen für ein harmonisches Fest: keine unliebsamen Überraschungen, kein böser Opa, den man nur Heiligabend trifft – es sind die da, die immer da sind und die sich mögen.  Sehr angenehm. Und der Ablauf  ist ziemlich traditionell: Singen, Weihnachtslieder vierhändig am Klavier, Bescherung mit Glöckchen.

Zum kirchlichen das private Ritual?

Ja, und zwar mit vollem Bewusstsein! Ich verstehe das ständige Herummäkeln an Traditionen und Ritualen überhaupt nicht. Rituale sind dafür da, dass wir uns fallen lassen können. Einfach da sein. Nicht denken müssen. Dagegen dann dieses seltsame Pochen auf die Ratio – immer alles reflektieren, immer alles im Griff haben müssen... Mich macht das fertig. Und ich denke: „Ihr Rationalisten, wenn ihr es denn wenigstens im Griff hättet! Wenn ihr es wirklich so gut wüsstet, wie ihr behauptet. Stattdessen wollt ihr es meistens nur besser wissen!“ Auch beim Thema Beten übrigens.

Wie kommen Sie jetzt darauf?

Weil das ja auch ein Ritual ist – genauer gesagt, ein Mischmasch aus Ritual, Meditation und Straßenbettelei. Und logischerweise ein Attacke-Thema für die Religionskritiker. Ich meine, ich versteh’ euch ja, dass ihr mir mein „Ave Maria“ wegnehmen wollt. Mag ja sein, dass das sinnloses Gebrabbel ist. Aber sagt mir mal eure Alternative! Sagt mir mal ganz kurz, was ihr parallel dazu mit eurer hoch wertvollen Zeit macht! Und erzählt mir, was ihr Besseres zu sagen habt, wenn ein lieber Mensch stirbt, ein Kind schwer krank wird und wir uns wie wahnsinnig sorgen! Wie, dazu fällt euch auch nichts wirklich Erhellendes ein? Dann lasst mir doch den Trost eines Gebets!

Oder die Möglichkeit, „den da oben“ zu beschimpfen.

Genau, herrlich! Auch dafür ist Gott da.

Zur Person: Anette Frier

Annette Frier, geb. 1974 in Köln, ist Schauspielerin und Komikerin. Für ihre Darstellungen hat sie zahlreiche Preise erhalten. Frier ist auch vielfach ehrenamtlich engagiert.

Ab Januar steht sie in Köln und Berlin als Titelheldin in David Javerbaums Stück „Gott der Allmächtige“ auf der Bühne, einer Theaterfassung des gleichnamigen Bestsellers.

Die Premiere in der „Volksbühne am Rudolfplatz“,  Aachener Straße 5, 50674 Köln, ist am Dienstag, 16. Januar, um 19.30 Uhr. Karten ab 29,50 Euro.

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