Antisemitismus auf der DocumentaDie Entschuldigung macht alles nur noch schlimmer

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Ein Mitarbeiter der documenta verhüllt das Wimmelbild des Kollektivs Taring Padi.

Köln – Am vergangenen Freitagnachmittag schien die Welt der Documenta noch in Ordnung. Die meisten Journalisten waren nach zwei Tagen in der Kasseler Hitze wieder abgereist (darunter auch der Verfasser dieser Zeilen) und hatten ein überwiegend positives Fazit der im Vorfeld hoch umstrittenen Weltkunstschau gezogen.

Anders als von Kritikern befürchtet, waren keine antisemitischen Kunstwerke gesichtet worden und überhaupt kaum Arbeiten, in denen der Nahostkonflikt eine Rolle spielt. Weder saß die Documenta über die israelische Palästina-Politik zu Gericht noch bot sie der BDS-Kampagne eine Bühne. Man durfte also hoffen, dass sich die aus der Rhetorik des Verdachts gespeiste Antisemitismus-Debatte um das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa beruhigen und stattdessen endlich über die gezeigte Kunst und ihre Themen geredet werden würde.

In Indonsien ist das ganz normal, sagen Taring Padi

Gegen 17 Uhr des vergangenen Freitags wurde dann allerdings auf dem Kasseler Friedrichsplatz, im geografischen Herzen der Documenta, ein riesiges Wimmelbild auf ein bis dahin nacktes Stahlgerüst gespannt. Es stammt vom indonesischen Künstlerkollektiv Taring Padi, misst neun mal zwölf Meter und zeigt, soweit sich dies mit Hilfe von Fotografien beurteilen lässt, die von Teufeln, Polizisten, Bürgern und menschlichen Gerippen bevölkerte Höllenvision einer gewaltsam unterdrückten Demonstration.

Ebenfalls im Gewusel unterwegs: Ein orthodoxer Jude mit Reißzähnen im Mund und SS-Runen auf dem Hut sowie ein Schwein mit Davidstern und Soldatenhelm, auf dem der Name des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad prangt.

Die Reaktionen auf diese eindeutig antisemitischen Karikaturen ließen nicht lange auf sich warten. Sowohl Kulturstaatsministerin Claudia Roth forderte umgehende Konsequenzen wie auch der Zentralrat der Juden in Deutschland; die hessische Kulturministerin Angela Dorn versprach, die skandalöse Sache rasch zu klären.

Mittlerweile wurde „People’s Justice“, so der Titel des bereits vor 20 Jahren entstandenen Werks, von der Documenta-Leitung verhängt; es soll zudem in Kürze abgebaut werden. Generaldirektorin Sabine Schormann bedauerte den Vorgang und sagte, man habe das Bild vorher nicht gesehen; es sei wegen kurzfristig notwendig gewordener Restaurierungsarbeiten mit Verspätung präsentiert worden.

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Auch die Mitglieder von Taring Padi haben sich mittlerweile erklärt – und damit alles nur noch schlimmer gemacht. Die Installation, schreiben sie in einer Mitteilung der Documenta, sei „Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt“ gewesen, „die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben“.

Sämtliche auf dem Banner gezeigten Figuren würden sich auf „eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik“ beziehen, „zum Beispiel für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren“. Mit anderen Worten: Antisemitische Karikaturen sollen in Indonesien eine legitime Kritik an Militarismus und Kapitalismus sein.

Diese offizielle Documenta-Mitteilung wirkt beinahe so, als gebe das Kuratorenkollektiv seinen Kritikern vorsätzlich Recht. Diese hatten den Ruangrupa-Mitgliedern bisweilen sogar unterstellt, sie seien durch ihre Herkunft aus einem muslimischen Staat nicht in der Lage, die deutsche Debatte um Antisemitismus und die „israelkritische“ BDS-Kampagne zu verstehen. Diese üble Nachrede wird durch den aktuellen Skandal zwar nicht einleuchtender. Aber die treuherzige Bekundung der Documenta-Leitung, man werde nun „weitere externe Expertise“ einholen, klingt ähnlich absurd.

Die Documenta sollte den Ausgebeuteten eine Stimme geben

Offenbar hatte Ruangrupa zuletzt das Gefühl, seine Kritiker wollten die Documenta kapern, um deren Anliegen zu hintertreiben. Das wichtigste Kunstfestival der Welt sollte Künstlern des „globalen Südens“ eine Stimme geben und mit ihnen den indigenen Bevölkerungen, verfolgten Minderheiten, Entrechteten und ganz allgemein den Menschen aus den ehemaligen europäischen Kolonien.

Es sollte um eine andere, aus einem politisierten Kollektivgeist entstehende und vor allem gerechtere Form der Kunst gehen. Also haben sich die Kuratoren geweigert, sich vorschreiben zu lassen, mit wem sie worüber diskutieren sollen und wen sie zur Documenta einladen dürfen. Sie haben darauf verwiesen, dass die Documenta, wäre sie erst einmal eröffnet, für sich sprechen würde. Jetzt scheint es aber leider so, als hätte Ruangrupa sein eigenes Festival im Sinne seiner Kritiker gekapert.

Trotzdem muss die Documenta nicht vorbei sein, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Vorerst erfüllt das verhängte Wimmelbild seinen Zweck als Mahnmal im Herzen eines Festivals, dessen Anliegen es weiterhin verdient haben, gesehen und diskutiert zu werden. Schließlich exportiert der „globale Norden“ weiterhin Gewalt, Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Umweltkatastrophen in seine ehemaligen Kolonien. Allerdings muss man in Kassel nun auch über etwas reden, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: die Unterschiede zwischen guter Kunst, anti-israelischer Propaganda, wie sie etwa das palästinensische Kollektiv The Question of Funding auf der Documenta zeigt, und antisemitischen Karikaturen.

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