ARD-Film „Die Getriebenen“Ein sehenswertes Lehrstück

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Imogen Kogge spielt Angela Merkel

Berlin – Das Schlusswort in „Die Getriebenen“ hat – wie könnte es anders sein – Angela Merkel. Und es fällt denkbar kurz und wenig staatsmännisch aus. „Scheiße“ sagt die von Imogen Kogge sehr überzeugend gespielte Kanzlerin in ihrer Limousine schlicht, nachdem sie im November 2015 den CSU-Parteitag besucht hat, auf dem Horst Seehofer (großartig: Josef Bierbichler) mal wieder eine Obergrenze für die Aufnahme Asylsuchender forderte. Der Kampf ist eben noch lange nicht ausgekämpft.

Der Film basiert auf einem Sachbuch

Das Drama, das das Erste am Mittwochabend um 20.15 Uhr zeigt, basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch des Journalisten Robin Alexander, das Drehbuch schrieb Florian Oeller, Regie führte Stephan Wagner. Der Film rekonstruiert äußerst detailreich die 63 Tage im Sommer 2015, bevor Angela Merkel ihre Schlüsselentscheidung in der Flüchtlingspolitik fällte. Spielszenen mit den den realen Politikern erstaunlich ähnlich sehenden Schauspielern wechseln sich ab mit dokumentarischen Aufnahmen von Flüchtlingsrouten und Pressekonferenzen.

Sieht die Bundeskanzlerin es zu Beginn noch als ihre dringlichste Aufgabe an, einen möglichen Grexit abzuwenden, wird von Tag zu Tag klarer, dass die wahre Bewährungsprobe die steigende Zahl der Flüchtenden aus Syrien und anderen Krisengebieten ist. Zu sehen sind Szenen aus Brüssel, Berlin, Paris – und immer wieder Budapest, wo der ungarische Regierungschef Viktor Orban (Radu Banzaru) die EU vor sich hertreibt.

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Getrieben sind in diesem Film aber nicht nur die Politiker, die von Krisengespräch zu Krisengespräch eilen und zwischendrin per Mail, Telefonat oder SMS versuchen, Absprachen zu treffen. Getrieben sind auch die Zuschauer. Obwohl dieser Film zwei Stunden lang ist, bleibt wenig Zeit zum Durchatmen. Schnelle Bildfolgen, Splitscreens, die Musik und immer wiederkehrendes Ticken versetzen in permanente Alarmbereitschaft.

Überhaupt verlangt dieses Dokudrama dem Zuschauer ein hohes Maß an kritischer Reflexion ab, mischt es doch Originalaufnahmen und verbürgte Zitate mit Hinterzimmergesprächen, bei denen weder Robin Alexander noch die Filmemacher dabei waren. Und wer weiß schon, was Joachim Sauer (Uwe Preuss) seiner Frau am Frühstückstisch rät, während er sein Brötchen mit Marmelade bestreicht? So gilt es auch auf dem heimischen Sofa, wachsam und kritisch zu bleiben und zu hinterfragen, ob es sich wirklich so zutrug, wie es dort als eingefangene Realität verkauft wird. Das ist aber keine Schwäche des Films, sondern eine Stärke, weil er den Zuschauern zutraut, dass sie sich mit dem Gezeigten auseinandersetzen.

So halten sich die Filmemacher sich auch mit Wertungen nicht zurück. Markus Söder (Matthias Kupfer) wird während eines Fotoshootings als windiger Karrierist eingeführt, der an Seehofers Stuhl sägt und sich im Gespräch mit seinen Verbündeten zynisch bei den Geflüchteten bedankt, da er die Krise als Chance sieht, Merkel zu schaden. Auch Sigmar Gabriel (Timo Dierkes), der alles tut, um Merkel schlecht aussehen zu lassen, kommt nicht gut weg. Die Kanzlerin selbst legt Imogen Kogge mit deutlich erkennbarer Sympathie als melancholische Pragmatikerin an, die lieber Lösungen finden will statt Flüchtlingsheime zu besuchen, die aber auch lange Zeit den Ernst der Lage verkennt und viel zu spät das Ruder in die Hand nimmt.

„Die Getriebenen“ gewährt einen Einblick in die Schaltzentren der Macht, der manchmal verzweifeln lässt, weil viele wichtige Entscheidungen nicht aufgrund vernünftiger Argumente, sondern aus machttaktischen Gründen getroffen werden. Dieser Film ist ein sehenswertes Lehrstück und dabei so anstrengend, wie es die Politik selbst wohl auch meistens ist.

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