Armin Laschets „Brücken-Lockdown“Über das neueste Phänomen des Corona-Sprechs

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Von Ufer zu Ufer: Brücke in einem japanischen Garten

Köln – Die Pandemie in ihrem Fortdauern dörrt unsere Lebenswelt aus, aber unsere Sprache wird durch sie bereichert. Konnten wir vielleicht vor Corona etwas mit Begriffen wie „AHA-Formel“, „Niesscham“, „Covidiot“, „vulnerabel“ und „Social Distancing“ anfangen? Wohlgemerkt: Es geht nicht nur um Neologismen, sondern auch um geläufige Begriffe, denen aber durch Corona eine erhebliche alltagspraktische Bedeutungssteigerung zuteil wurde – um es einmal so zu beschreiben.

Das neueste Phänomen des Corona-Sprechs ist tatsächlich eine Neuschöpfung: Der von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ausgerufene oder anempfohlene, auf jeden Fall aber in die Diskussion gebrachte „Brücken-Lockdown“ ist nur in seinen Bestandteilen geläufig – wobei viele Menschen auch erst seit dem Frühling des vergangenen Jahres genau wissen dürften, was es mit einem „Lockdown“ auf sich hat. Klar, das englische Wort ist der Weltgeltung der Pandemie angemessen – die in der Tat auch diesmal die ausgeprägte Neigung zu Anglizismen im Sprachumgang mit Corona begründet. Welche deutschen „Consumern“ immerhin das Gefühl vermitteln kann, sie seien weltläufig, wenngleich sie nicht reisen können.

Eine nahezu geniale Erfindung

Der „Brücken-Lockdown“ also. Die Erfindung darf nahezu genial genannt werden – wenn man verstimmt ist, dann nur, weil man die politische Absicht merkt. Zunächst einmal bringt er Begriffe (und die durch sie bezeichneten, in der Semiotik „Referenten“ genannten Dinge) zusammen, die eigentlich nicht zusammenpassen. Und produziert so ein mildes Paradox: Die hier metaphorisch gemeinte Brücke verbindet, aber die Realie des Lockdowns schneidet ab, trennt, separiert. Wem das nicht einleuchtet, der darf sich wenigstens am optimistischen Grundklang der terminologischen Kreation erfreuen: Ein „Lockdown“ mag notwendig sein, ist aber ein mit Entbehrungen gepflastertes Tal der Tränen.

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Brücken ins Nirgendwo baute höchstens die Mafia

Der „Brücken-Lockdown“ hingegen weist den Ausweg: Die Brücke spannt sich zum rettenden Ufer, das allein mit dem Wort schon in Sicht kommt – Brücken ins Nirgendwo baute höchstens die Mafia. Wie abgegriffen und abgeschmackt ist dagegen das „Licht am Ende des Tunnels“, auf das mittlerweile niemand mehr achtgeben mag? Der „Brücken-Lockdown“ indes weckt nicht nur Assoziationen an rundum positiv besetzte Phänomene wie „Brückentag“ und „Brückenschlag“, nein, er spielt vielmehr von ferne auch auf die mythische Denkfigur von jenem letzten Krieg an, der noch geführt werden muss, auf dass alle Kriege ein für alle Mal endigen.

Die Begriffsbildung allein signalisiert Entschlossenheit und Kompetenz

Genial ist die Wort-Kombination selbstredend auch in ihrer Ablenkungsqualität. Ganz unabhängig davon, ob der „Brücken-Lockdown“ in der Sache gerechtfertigt ist (immerhin gibt es diesbezüglich ein paar diskutable Argumente) – die Begriffsbildung allein signalisiert Übersicht, Kompetenz, zupackende Entschlossenheit. Und eine Erfindungsgabe, die sich sozusagen performativ bezeugt: Wer in der Lage ist, das Wort „Brücken-Lockdown“ zu erfinden und in den öffentlichen Diskurs zu bringen, kann allein deshalb als politisch Handelnder nicht „ganz ohne“ sein.

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Dabei ist – einstweilen – zweitrangig, dass sich mit der Worterfindung an der Corona-Wirklichkeit vielleicht nicht so viel ändert. Und die ist beklagenswert genug. Die Situation, die den „Brücken-Lockdown“ nötig macht, kam eben gerade nicht durch Entschlossenheit und Kompetenz zustande, sondern durch Abwarten, Inkonsequenz, Entschluss-Chaos und panisch-kurzfristige Kehrtwenden. Die terminologische Neuschöpfung wischt all das vom Tisch einer schlechten kollektiven Erinnerung.

Die Trennung von Realität und sprachlicher Abbildung ist fiktiv

Indes ist die säuberliche Trennung von Realität und ihrer sprachlichen Abbildung eh fiktiv: Sprache schafft sich nicht nur ihre eigene Wirklichkeit, sondern auch eine Wirklichkeit außerhalb ihrer selbst – insofern sie Menschen dazu bringen kann, ihre Welt anders wahrzunehmen. Vor allem für die politische Sprache gilt das, und die Politstrategen und -virtuosen sämtlicher Farben – auch jene in der NRW-Staatskanzlei – sind sich dieser wirklichkeitserzeugenden und -verändernden Macht von Sprache in hohem Maße bewusst.

Anders ist die kontinuierliche Produktion von politischem Neusprech, der der Immunisierung gegen Kritik und im schlimmsten Fall plumper Beschönigung dient, nicht zu erklären. Die entsprechenden Manöver der verblichenen SED-Diktatur an der Sprachfront waren notorisch, aber eben auch durchschaubar. Die innerdeutsche Grenze, die das Weglaufen der eigenen Bevölkerung verhindern sollte, war demnach eine „Friedensgrenze“ und ein „antifaschistischer Schutzwall“? Nun ja. Die „Kollateralschäden“, die nur die Rücksichtslosigkeit amerikanischer Kriegführung gegen die Zivilbevölkerung bemänteln sollte, sind aber nicht viel besser. Wer Arbeitskräfte nicht entlässt, sondern „freisetzt“, verpasst einem unschönen Vorgang ein netteres Outfit. Und was ist mit dem „Nullwachstum“?

Es geht um die Durchsetzung von Machtambitionen

An ideologischer und praktischer Durchtriebenheit kann es der „Brücken-Lockdown“ mit diesen Beispielen nicht aufnehmen. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit: Der öffentlichkeitswirksame Sieg im Besetzen von begrifflichen und semantischen Feldern, das Agendasetting durch „Wording“ ist – genauso wie der Ausgrenzungsdiskurs einer Political Correctness – alles andere als belanglos, sondern dient der Durchsetzung von Machtambitionen. In der Demokratie ist er das Vorspiel des erhofften Wahlsiegs.

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