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Auf direktem Weg in die Apokalypse

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Mit den Anfängen des Internets verknüpften sich einst Hoffnungen und Visionen von neuen Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe der User am gesellschaftlichen Prozess. Heute lesen sich die meisten Prognosen über das Netz und die weltweite Entwicklung der Demokratie weit negativer und ernüchternder. In dem Cyber-Thriller „The Influencer“, den Autorin Rosi Ulrich und Regisseurin Andrea Bleikamp in der Orangerie zur Uraufführungen bringen, führt das unheilvolle und unkontrollierte Agieren der übermächtigen Internetkonzerne geradewegs in die Apokalypse. Dabei beginnt alles noch ganz harmlos. Star-Bloggerin NatNike (Asta Nechajute) versorgt ihre sechsstellige Follower-Gemeinde mit Lebenstipps in Light-Version und schmuggelt der willfährigen Netz-Gemeinde nebenbei den ein oder anderen Einkaufstipp unter. Hinter der fröhlichen Fassade tobt allerdings ein gnadenloser Kampf um Follower und Deutungshoheit. Im Off-Ton switcht die Handlung unterdessen gleich an zwei gänzlich unterschiedliche Orte. Da ist zum einen die antike Sage um Jason, Medea und das Goldene Vlies, die beschreibt wie Hass, Eifersucht und Gier auch in göttlichen Gefilden ihre fatale Wirkung entfalten. Gleichzeitig gibt es eine geheime Schalte in einen Tagungsort, an dem die großen Konzerne sich beim Aufteilen der Welt auf Kosten der Menschheit gegenseitig übervorteilen. In dieses Gewirr der Töne mischen sich auf dem großen Bildschirm, der NatNikes virtuellen Arbeitsplatz auf eine Leinwand projiziert, noch die Kommentare der Follower ab.

In einer virtuosen Abwärtsspirale trudelt die Handlung geradewegs in ein Katastrophenszenario, bei dem Analogien zur heutigen Weltlage pointiert und stimmig dem Zuschauer nahe gebracht werden. Zweifelhafte Konzern-Deals und Praktiken um die Kontrolle der weltweiten Lebensmittelproduktionen, künstliche Intelligenz im Einsatz gegen Mensch und Natur, riskante Finanz- und Börsenspekulationen und die Auslagerung von Militär- und Sicherheitsapparaten in private Hände, das alles kommt einem sehr vertraut vor. In ihrem Cyber-Thriller gelingt den Machern das Kunststück, diese komplexen Sachverhalte in griffige Handlungselemente zu packen, bei dem sich die hörspielartige Ausgangslage nicht zuletzt durch Asta Nechajutes prägnantes Spiel in eine eindringliche Theatererfahrung verwandelt. Termine: Orangerie, 29.11. – 1.12., 20 Uhr, 2.12., 18 Uhr

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