Ausstellung in KölnWer war Andy Warhol?

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Andy Warhol, Self-Portrait, 1986, Warhol Foundation

Andy Warhol, Self-Portrait, 1986, Warhol Foundation

Köln – „In Zukunft wird jeder 15 Minuten lang weltberühmt sein“, prophezeite Andy Warhol in den 60er Jahren, und behielt damit im Großen und Ganzen recht. Auch wenn TikTok-Videos oftmals keine 15 Sekunden dauern. Heute ist Ruhm beinahe so demokratisch verteilt wie die Masern, aber für die Mehrzahl auch ebenso schnell vergänglich. Warhol selbst ist daran nicht unschuldig. Als Superstar der Pop Art verlieh er banalen Produkten der Konsumgesellschaft den Heiligenschein der Kunst und erfand dabei auch den Künstler als Marke neu. Aus dem pickligen Außenseiter Andrew Warhola wurde der Typ mit Silberperücke, für den die 15 Minuten ewig währen.

Stars und Waren sind Projektionsflächen, je leerer desto besser

Wie zum Beweis posierte Warhol am 8. Mai 1985 genau 15 Minuten lang im Schaufenster eines New Yorker Nachtclubs und gab der Lücke, die er hinterließ, den Titel „Unsichtbare Skulptur“. Das war einer jener Kalauer, für die Warhol stets gut war, aber vor allem eine präzise Darstellung seiner selbst. Nachdem er in den frühen 60er Jahren mit Siebdruckbildern von Dosensuppen, Zeitungsartikeln oder multiplizierten Filmstars berühmt geworden war, wurde der späte Warhol zur eigentlichen Verkörperung seines Werks: zu einer Skulptur, die sich aus Eigeninszenierung und Klatsch zusammensetzte. Warhol hatte begriffen, dass die wahre Revolution des 20. Jahrhunderts keine politische war, sondern in der Demokratisierung von Wohlstand und Ruhm bestand (oder wenigstens in dem Versprechen auf beides). In der Massendemokratie sind Stars und Waren soziale Produkte, Projektionsflächen, die sich umso besser verkaufen, je leerer sie dem Publikum erscheinen. Auch sein puppenhaftes Auftreten machte Warhol zum Erlöser all derer, die sich danach sehnten, berühmt zu sein.

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Warhol selbst war einer von ihnen gewesen. Er wurde 1928 in Pittsburgh als jüngster Sohn slowakischer Arbeitsimmigranten geboren; in schlechten Zeiten ging seine Mutter mit ihm von Tür zu Tür, um Papierblumen zu verkaufen. Er machte eine Kunstausbildung und zog im Alter von 20 Jahren nach New York, wo er als Werbeillustrator erfolgreich wurde. Warhol dekorierte auch Schaufenster und entwarf Weihnachtspostkarten für das Museum of Modern Art. Privat hielt er es eher mit Aktzeichnungen und Aufnahmen von Penissen – Warhol hat seine Homosexualität nie verborgen, vielleicht auch, weil sie ihm eine Erklärung dafür lieferte, warum er vielen Leuten „merkwürdig“ erschien.

Als es in der Werbung nichts mehr zu erreichen gab, erfand er sich das erste Mal neu: als Künstler. Er war spät dran, denn die Aufnahme der Warenwelt in den Kunstkanon war dank Leuten wie Richard Hamilton und Jasper Johns bereits in vollem Gange. Man erzählt sich, Warhol habe sich darüber bei Freunden beklagt und gefragt, ob jemandem ein populäres Motiv einfiele, das noch nicht besetzt sei. Für 50 Dollar soll Warhol dann das Geschäft seines Lebens gemacht haben: Er ging in den Supermarkt und kaufte sämtliche 32 Sorten von Campbell's Dosensuppen – das Sujet seiner ersten Pop-Art-Montage. Es folgten Coca-Cola-Flaschen, Ein-Dollar-Noten, Marilyns, innerhalb weniger Jahre schuf er etliche klassische Kunstwerke der Moderne, Ikonen der Konsumwelt.

Seine Fabrik wurde zum Treffpunkt der Außenseiter

In dieser Zeit gründete Warhol die „Fabrik“, eine Mischung aus Atelier und Partykeller für seine Entourage aus Außenseitern, und er drehte seine ersten Filme. Seine eigentliche Liebe galt dem Kino, weil dort der größte Ruhm zu ernten war, und offenbar hoffte er auf einen Einstieg in die Filmindustrie – mit Filmen wie „Sleep“, der seinen Liebhaber mehrere Stunden lang beim Schlafen zeigte und Undergroundfilmen, in denen er Drag-Queens und andere „Misfits“ wie Superstars inszenierte, die im Wesentlichen nichts anderes tun als sie selbst zu sein. Warhols Flirt mit der Musikindustrie war ähnlich motiviert, aber wohl eher taktischer Natur. Er „entdeckte“ Velvet Underground und entwarf LP-Cover (die ausgebeulte Hose für die Rolling Stones), interessierte sich aber nicht wirklich für die Musik. Warum sollte man sich auch für Inhalte begeistern, wenn einem die Verpackung schon gefällt?

Warhol wiederum gefiel sich darin, die Banalität, die er zu Kunst machte, selbst darzustellen. In Fernsehinterviews beschränkte er sich gerne auf „Ähs“ und „Hms“, und kaum war er berühmt geworden, setzte er eine Anzeige in die Zeitung, in der er seinen Namen als Werbemittel für Produkte anbot. Dieser Flirt mit dem Ausverkauf schadete damals seinem Ruf, heute ist er Teil von Warhols Charisma.

Die Ausstellung

Ab 12. Dezember, wenn Corona und die Bundesregierung es denn erlauben, ist im Kölner Museum Ludwig eine große Warhol-Werkschau zu sehen. Sie umfasst frühe Aktzeichnungen, Pop-Art-Ikonen, LP-Cover, Polaroids, Siebdruck-Porträts, Probeaufnahmen seiner „Filmstars“ und anderes mehr.

Andy Warhol Now, bis 18.4.2021

www.museum-ludwig.de

Das zweite Mal erfand sich Warhol nach einem Mordanschlag neu. Er überlebte schwer verletzt, gründete 1969 die Zeitschrift „Interview“ und suchte sich neue Freunde aus der Glamourwelt. Er war jetzt ein Ein-Mann-Medienunternehmen, der als globaler Hofkünstler die Schönen und Reichen porträtierte und seine Philosophie in Büchern verbreitete. Diese lautete, dass etwas, das sich gut verkauft, schön ist, und dass das Leben zu kurz ist, um sich darüber aufzuregen. Mit beidem war es ihm völlig ernst.

Das beste Mittel gegen den Tod schien Warhol zu sein, das Leben in „Zeitkapseln“ zu konservieren. So nannte er die Kisten, in denen er die Reste des Tages räumte. Darin fanden sich: Kinotickets, Zeitungsschnipsel, Mahnungen („Zahl endlich, du aufgeblasener Arsch“). Doch während er Souvenirs seines Lebens sammelte, zehrte er seine Kräfte auf. 1987 starb er an einer entzündeten Gallenblase – er wurde lediglich 58 Jahre alt.

Plötzlich sah es im Museum aus wie im Supermarktregal

Es ist ein Wunder, dass sich die elitäre Kunstwelt so bereitwillig von Warhols durch und durch egalitärer Kunst erobern ließ. Von einer Kunst, die jeder Betrachter, jedes Kind oder jeder Hund (die Pissbilder) ebenso gut hinbekommen hätte, wäre es, er oder sie nur auf die Idee dazu gekommen. Plötzlich sah es in den Museen für moderne Kunst aus wie im Supermarktregal. Letztlich ist die Erklärung für Warhols Erfolg jedoch einfach: Seine Kunst sprach aus, was alle wussten, aber höflich verschwiegen: Kunst ist eine Ware, beinahe wie jede andere auch.

In diesem „beinahe“ steckt freilich eine ganze Philosophie. Ab 12. Dezember, wenn Corona und die Bundesregierung es denn erlauben, ist sie im Kölner Museum Ludwig zu Gast, als Mitgift einer großen Warhol-Werkschau. Sie umfasst frühe Aktzeichnungen, zahlreiche Pop-Art-Ikonen (vom lebensgroßen Elvis bis zur verfremdeten Kuhtapete), etliche LP-Cover und Magazin-Titelseiten, Polaroids, Siebdruck-Porträts, Probeaufnahmen seiner „Filmstars“ und anderes mehr. Andy Warhol hatte viele Talente. Sein größtes aber war, die alltägliche Banalität der Konsumwelt großartig, ja ergreifend aussehen zu lassen.

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