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Ausstellung in KrefeldDie neue Bewegungsfreiheit der Frau

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Krefeld Kleider Sonia Delaunay PIC

Künstlerkleid von Sonia Delaunay in der Krefelder Schau

Krefeld – Lange haben Mieder und Korsetts die Frauenkörper eingezwängt, haben unbequeme Kleider und Stoffmengen ihren Trägerinnen die Bewegung erschwert, haben dafür gesorgt, dass die verordnete Keuschheit auch sichtbar war. Mode in der gehobenen Gesellschaft diente lange Zeit nicht nur als Aushängeschild für Tugend, Geschmack und Wohlstand (meist des erfolgreichen Ehemannes), sondern formte und transportierte ein Frauenbild, welches irgendwann auch zum Selbstbild wurde.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber kündigten sich weitreichende Reformen an. Nicht nur gab es medizinische Gründe, die Taillen- und Brustschnürungen zu untersagen, auch das Bild der Frau, des Menschen allgemein, wandelte sich allmählich. Luft am Körper, Freiheit und Bewegung in der Natur waren Ziel der Körperkultur-Reformbewegungen um die Jahrhundertwende.

Die neue Mode gestattete den Frauen mehr Bewegungsfreiheit

Vorbilder waren nun nicht mehr die von der höfischen Kleiderordnung vorgegebenen Stile, sondern etwa an der Antike oder – wie bei Heinrich Vogelers Entwürfen für seine Frau Martha und sich selbst– an mittelalterlichen Bildvorlagen angelehnte Kleiderschnitte und luftig leichte Stoffe. Die neue Mode gestattete den Frauen mehr Bewegungsfreiheit und flachere Schuhe, verbannte pathetische Verzierungen und Versteifungen, erlaubte nun auch, in der Kleidung zu arbeiten. Und womöglich auch, barfuß zu tanzen.

Die neuen Kleider waren nicht nur praktischer, sie waren ein Symbol für ein neues weibliches Selbstgefühl, das sich nicht nur im Kampf für Gleichberechtigung äußerte, sondern das nach einem sichtbaren Ausdruck von Individualität verlangte. Ein wunderbares Beispiel ist Anna Muthesius’ „Eigenkleid der Frau“, dessen oberstes Prinzip die „individuelle Anpassung an die Frau“ war. Ein Konzept, welches heute eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Doch nicht nur als Selbstausdruck, auch als Kunstwerk wurde das Künstlerkleid in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg Teil der europäischen Erneuerungsbewegungen.

Wichtiger Beitrag zur Emanzipation

Mit der Ausstellung „Auf Freiheit zugeschnitten. Das Künstler-Kleid um 1900 in Mode, Kunst und Gesellschaft“ widmet sich das Krefelder Kaiser Wilhelm Museum endlich erneut diesem wichtigen Beitrag jener Epoche zur Emanzipation, der meist vergessen oder als zu banal abgetan wird.

Schon in der Krefelder „Sonder-Ausstellung moderner Damen-Kostüme nach Künstler-Entwürfen“ im Jahr 1900 ist das künstlerische Reformkleid als Ausdruck einer weitreichenden gesellschaftlichen Erneuerung erkennbar geworden. Der damalige Museumsdirektor Friedrich Deneken verfolgte, wie auch etwa Karl-Ernst Osthaus mit der Neugründung des Folkwang-Museums in Hagen, das Ziel, freie und angewandte Kunst, Kunst und Leben miteinander zu verbinden und damit der neuen Zeit gerecht zu werden. Architektur, Kunst und Kunsthandwerk sollten fortan gleichberechtigt daran beteiligt sein, das ganze Leben und Lebensumfeld ästhetisch zu durchdringen.

Reformen in den Bauhaus-Werkstätten ein Höhepunkt

Eine Neuerung, die bei der aus England kommenden Arts and Crafts-Bewegung und den Präraffaeliten einen Ausgang nahm, sich in Jugendstil und Art Déco in verschiedenen europäischen Zentren, in Glasgow, Brüssel, Wien, Paris oder Barcelona, weiterentwickelte und in Künstlerkolonien wie in Worpswede, Darmstadt, auf dem Schweizer Monte Verità und anderswo urtümlich fortsetzte und feierte. Einen Höhepunkt finden die Reformen dann in den Bauhaus-Werkstätten, das Weiterwirken des Bauhaus-Gedankens allerdings ist bis heute allerorts spürbar.

In der mit gut 300 Exponaten umfänglich und prominent bestückten Krefelder Schau finden sich nicht nur grandiose Originalkleider (oder deren Kopien) von Sonia Delaunay bis Henry van de Velde. Ganze Raumensembles, in denen Architektur, Möbel und Bewohnerin eine ästhetische Einheit bilden sollten, geben einen lebendigen Eindruck jener Idee des Gesamtkunstwerks. Ebenso wie die unzähligen Fotografien, Schmuckobjekte und Vorlagenbücher, Tapetenentwürfe, Bilder oder Modezeichnungen.

Ornament in einer männlichen Welt

Dass mit den befreienden Reformkleidern und der Idee des Gesamtkunstwerks die Frauen allerdings genau genommen doch wieder zum Ornament in einer männlichen Welt gemacht wurden, wird, bei aller Freude über die Reformen, leicht übersehen. „Das Weib im modernen Ornament“ heißt dann auch treffend ein Vorlagenwerk (1902) von Julius Klinger mit 30 Chromolithographien für alle Gebiete des Kunsthandwerks.

Dennoch, immerhin konnten die Damen sich in ihren neuen Kleidern besser bewegen, konnten arbeiten, leiteten selber Modesalons, entwarfen und nähten, oder gehörten als Teil der Künstleravantgarde sowieso dazu. Ein Film mit Tanzaufführungen der wunderbaren Loie Fuller und ihres mit farbigem Licht eindrucksvoll inszenierten Schleiertanzes ist ein ganz besonderes Juwel dieser bemerkenswerten Ausstellung in der ehemals wohlhabenden Seidenweberstadt Krefeld.

„Auf Freiheit zugeschnitten. Das Künstler-Kleid um 1900 in Mode, Kunst und Gesellschaft“, Kaiser Wilhelm Museum Krefeld, bis 24.2. 2019, Di-So 11-17

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