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Avantgarde und KatholizismusZum Tod des Komponisten Krzysztof Penderecki

Lesezeit 4 Minuten
Krzysztof Penderecki bei einem von ihm dirigierten Konzert im Jahr 2011

Krzysztof Penderecki bei einem von ihm dirigierten Konzert im Jahr 2011

Bedeutende zeitgenössische Musik aus Polen? Vertreter der westlichen Hardcore-Avantgarde mochten angesichts dieser Frage noch lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verlegen den Kopf schütteln. Das änderte sich schlagartig, sozusagen über Nacht, im Jahre 1960: Damals wurde bei den Donaueschinger Musiktagen „Anaklasis“ für 42 Streichinstrumente und Schlagzeuggruppen uraufgeführt, ein Werk des damals 27-jährigen Krzysztof Penderecki. Das war ein Schock, ein Fanal, aber die damals noch auf Webern-Nachfolge und Serialismus geeichte West-Avantgarde hatte auf einmal ihren vermissten Ostblock-Star – den ihr auch und gerade Dmitri Schostakowitsch nicht hatte liefern können.

Die Schockwirkung des nur neunminütigen Stücks beruhte zumal darauf, dass hier mit sogar vergleichsweise simplen Mitteln eine Weite der Klangfarbenstaffelung erreicht wurde und sich eine brutal-konkrete Kraft des Musikalischen Bahn brach, die vielen seriellen Kompositionen abging. „Anaklasis“ („Lichtbrechung“) lässt sich dem Typus der Klangflächenkomposition zurechnen, den auch der Ungar György Ligeti bediente. Zum Markenzeichen gediehen aber vor allem die eben personalstilistisch bedeutsamen Clusterbildungen, die der frühe Penderecki in vielen seiner Arbeiten verwendete. Klangcluster – das war eine Erscheinung moderner Musik, die man fortan in erster Linie mit Penderecki in Verbindung brachte.

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1960 war Pendereckis annus mirabilis im Westen. In seinem Heimatland hatte er sich in den Jahren zuvor an die Spitze der Musikszene gearbeitet – zusammen mit Witold Lutoslawski. Penderecki, am 23. November 1933 in Debica bei Krakau als Sohn eines musikbegeisterten Anwalts geboren, erhielt früh Violin- und Klavierunterricht und studierte später Komposition an der Krakauer Staatsaka-demie. Aufsehen erregte er, als er 1959 beim Warschauer Wettbewerb junger polnischer Komponisten anonym drei Stücke einreichte – und alle drei zu vergebenden Preise gewann. Möglich wurde dieser Erfolg nur vor dem Hintergrund der Zeitumstände: Nach Stalins Tod 1953 brachen auch in den Satellitenstaaten der Sowjetunion die Dämme der aufgestauten und bislang von der Doktrin des sozialistischen Realismus gefesselten Kreativität.

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Tatsächlich schrieben sich Pendereckis Werk die allgemeinen Bedingungen seiner Entstehung unmittelbar ein. Die Dominanz von Vokal- und Chormusik und damit der polnischen Sprache in seinem Œuvre entsprang auch der Suche nach jener prekären nationalen und nationalmusikalischen Identität, die mit der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland nicht obsolet geworden war. Hinzu kam freilich der Rekurs auf das Latein der katholischen Kirche in vielen geistlichen Werken. Dies verweist in Pendereckis Musik auf die Bedeutung der institutionalisierten Religion als Fokus des politischen Widerstandes gegen die von außen oktroyierte kommunistische Herrschaft. „Aus den Psalmen Davids“ hieß bereits eine der besagten anonymen Kompositionen von 1959.

Internationale Bekanntheit

Polens Kommunisten ließen ihn weithin gewähren – angesichts der internationalen Bekanntheit des Komponisten wäre seine Gängelung oder gar Verfolgung kontraproduktiv gewesen. Penderecki lehrte an der Krakauer Musikhochschule, der Folkwangschule in Essen und der Yale-Universität in den USA. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Seine Partituren wurden als Kunstwerke ausgestellt: Der Musiker machte verschiedene Klänge in verschiedenen Farben kenntlich, dadurch waren die Handschriften bunt. Sogar in den Soundtrack von Kultfilmen wie „Shining“ und „Der Exorzist“ schaffte es der Pole. Eine enge Freundschaft verband ihn mit der deutschen Stargeigerin Anne-Sophie Mutter.

Indes: Verträgt sich Katholizismus mit Avantgarde? Vertreter einer säkularistischen Kunstdoktrin sahen sich in ihrer Skepsis bestätigt, als sich Penderecki bereits in den 60er Jahren von seinen wilden Anfängen löste und dafür einem breiten, neuen Tönen sonst nicht unbedingt aufgeschlossenen Publikum zugänglich wurde. Exemplarisch in diesem Sinne wirkte die im Dom von Münster uraufgeführte Lukas-Passion von 1966, die dank ihres geistlichen Sujets und ihrer Bezugnahme auf die Gattungsgeschichte wie überhaupt ihres unverhohlenen Rückgriffs auf kompositorische Traditionsbestände einschließlich des Gregorianischen Chorals Herkommen und Gegenwartsempfinden in eine der Rezeption günstige Balance brachte.

Seit den 70er Jahren knüpfte Penderecki dann in Melodik und Harmonik wieder an eine tonale, teils neoromantisch imprägnierte Musiksprache an. Viele aus der besagten Hardcore-Szene rümpften ihre Nase: Helmut Lachenmann etwa nannte den Kollegen „Penderadetzky“.

Den Gescholtenen störte das nicht: „Ich liebe es, unbekannte Wege zu gehen“, sagte er einmal über seine Arbeitsweise und die bemerkenswerte stilistische Bandbreite seines Schaffens: „Ich muss, nicht besonders bescheiden, zugeben, dass ich alle meine Werke liebe. Es sind Stücke, die ich akzeptiert habe und die mir nahe sind.“ Nun ist Krzysztof Penderecki 86-jährig in Krakau gestorben.

REAKTIONEN

Mit der deutschen Violinistin Anne-Sophie Mutter verband Penderecki eine lange und intensive Künstlerfreundschaft, deren Ergebnis unter anderem in dem Album „Hommage à Penderecki“ festgehalten wurde. „Jedes Stück, das er für mich schrieb, hat mich herausgefordert und zutiefst bewegt“, so Mutter in einer Reaktion auf die Todesmeldung. Pendereckis Werke seien musikalische Denkmäler der Menschheit.

Der polnische Präsident Andrzej Duda schrieb auf Twitter: „Mit seiner Schaffenskraft prägte er eine ganze Epoche der polnischen und der Weltkultur.“ Duda erinnerte daran, dass bei den Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs im vorigen September das „Polnische Requiem“ des Künstlers erklungen war. (dpa)

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