Ballett-Neustart am RheinDemis Volpi führt Tänzer an ihre Grenzen

Lesezeit 3 Minuten
First Date, Episode 1: Szene aus Private Light

First Date, Episode 1: Szene aus Private Light

  • Ein schweres Erbe: Der 33-jährige Choreograf Demis Volpi folgt beim Ballett am Rhein auf den gefeierten Martin Schläpfer.
  • Der Deutsch-Argentinier stellt sich seinem Publikum mit lauter Miniaturen vor. Von seinen Tänzern verlangt er Höchstleistungen.
  • Wir haben uns seinen ersten Abend angesehen.

Düsseldorf – Es ist schon bizarr, wie derzeit die Krankheit die Kunst dominiert, wie sehr jede Theater- und noch mehr jede Tanzvorstellung ein Seuchenkompromiss sein muss. Wo sonst ein neuer Ballettdirektor für seine erste Premiere mit choreografischer Pranke zuschlägt, darf der Neue beim Ballett am Rhein erst mal nur Pfötchen zeigen.

Hygiene- und abstandsregelbedingter Tanz in kleiner und Kleinstformation, Soli, Duos, kleine Gruppen mit großer Distanz. Aber das Pandemie-Diktat hat definitiv auch etwas Gutes: Noch nie konnte man die Riesenkompanie Ballett am Rhein mit ihren 44 Tänzerinnen und Tänzern so individuell kennenlernen wie zum ersten Premierenreigen unter der Intendanz von Demis Volpi.

Komplexer Bewegungsstil

Da sind sie nun also: einzelne Tänzer im riesigen Bühnenraum der Düsseldorfer Oper. Das zarte Menschlein im aufs Große zielenden Kunstkosmos – so wird jeder Auftritt ein unfreiwilliger Corona-Kommentar. Jeder Auftritt aber auch: ein Spot auf Qualitäten, Look und Charisma der einzelnen Tänzer. Und auch wenn der komplexe Bewegungsstil von Demis Volpi noch nicht in allen Körpern ganz angekommen ist, sieht man doch: Man wird es in den nächsten Jahren mit einem Trupp fantastischer, attraktiver Tänzer zu tun bekommen – manche von ihnen noch ganz jung und frisch aus der Ausbildung, atemberaubende Begabungen. Tänzer, die sich lustvoll ins Risiko stürzen und sich der vertrackten Volpi-Virtuosität stellen, seinem hohen Tempo, den koordinativen Höchstleistungen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Demis Volpi ist ein Stil-Verquirler, kein Stil-Erfinder. In seiner über drei Abende verteilten First-Date-Serie zeigt er rund zehn eigene Miniaturen, darunter drei Uraufführungen. Zehn Visitenkarten, kaum eine gleicht der anderen, allenfalls die Kombination aus choreografischer Klugheit und unterhaltsamer Kulinarik zieht sich durch sein Oeuvre.

Supersexy und machohaft

Supersexy und selbstbewusst zerrt sich da in einem Solo eine Tänzerin am eigenen Schopf aus dem Seelensumpf, eine stolze und starke Frau. Im nächsten Stück dagegen liefert sich eine Tänzerin mit enthemmter Selbstzerstörungswut völlig ihrem Partner aus. Auf Spitze trippelt sie zwischen seinen Armen hin und her, lässt sich von ihm anschubsen wie ein Aufziehpüppchen. Sie fällt kerzengerade mit dem Gesicht nach unten einfach um. Im letzten Augenblick, nur wenige Zentimeter über dem Boden, packt er sie an den Ellbogen und hält sie mit machohafter Attitüde als wolle er ihr den Abgrund zeigen - Mansplaining in Ballettmanier.

Akademischer Kanon

Langeweile kommt da keine auf. Stück für Stück treibt Demis Volpi den akademischen Kanon samt Spitzentanz wie auch seine Tänzer an Grenzen. Dazu ein paar choreografische Handschriften von Kollegen: Etwa José Limón, Meister des amerikanischen Modern-Dance mit seiner gravitätisch-schönen „Chaconne“, einer Choreografie von 1942 zur Bach-Komposition. Außerdem zwei aufregende Zeitgenossen: der Russe Andrey Kaydanovskiy, der programmgemäß tatsächlich ein „First Date“ choreografiert, eine verrückt-komödiantische Körperkollision von Mann und Frau. Und von der Kanadierin Aszure Barton ein Männer-Pas-de-Deux wie ein Fanal gegen unsere körperfeindselige Zeit.

Keine Sekunde lang lassen in ihrem Duo die beiden Tänzer voneinander, verknoten Muskeln und Knochen ununterscheidbar, verschmelzen jede einzelne Partie ihrer Körper: von den Fußsohlen bis zu den Haarspitzen. Nie dürfte diese menschliche Total-Symbiose stärker aufrütteln als in diesen Tagen. Mehr davon in Zukunft. Mehr Dates mit dem neuen Ballett am Rhein. Demis Volpis Masterplan für seinen coronatauglichen Flirt mit dem neuen Publikum – er ging auf.

Weitere Aufführungen: 19. + 20. September First Date Episode 1-3 im Theater Duisburg. 24. - 26. September First Date Episode 1-3 in der Oper Düsseldorf

KStA abonnieren