Abo

Bandsalat und Dauerschleife

Lesezeit 5 Minuten

Ein Keller in Köln-Ossendorf birgt einen einzigartigen Schatz: Das weltberühmte Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks. Die Einrichtung brachte Köln 1953 mit einem Schlag auf die Weltkarte der neuen Musik. Erste Produktionen rein elektronisch erzeugter Klänge gingen damals über den Sender, elektrisierten und schockierten das Publikum und zogen in der Folge zahllose Komponisten aus der ganzen Welt nach Köln: darunter Mauricio Kagel aus Argentinien, György Ligeti aus Ungarn, Henri Pousseur aus Belgien, Bruno Maderna aus Italien.

Später beeinflusste das Kölner Studio auch Bands wie Can (aus Köln) und Kraftwerk (aus Düsseldorf) sowie den Techno und andere Spielarten elektronischer Populärmusik. Geleitet wurde es zuerst von Herbert Eimert, dann von Karlheinz Stockhausen, zuletzt von York Höller. Die musikhistorische Bedeutung des WDR-Studios ist unstrittig. Für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Elektroakustische Musik (DEGEM), Kilian Schwoon, handelt es sich um „das Studio überhaupt“. Behandelt aber wird die Hinterlassenschaft seit zwanzig Jahren wie eine heiße Kartoffel. Im Jahr 2001 stellte der WDR die Produktionen ein. Die Ausrüstung wurde ausgelagert und fortan nur noch für die Digitalisierung von Tonbändern genutzt. Seitdem will der WDR das Studio loswerden, und andere wollen es nicht haben. Das Gezerre geht seit zwanzig Jahren! Dank fortwährender Wartung durch den einstigen technischen Leiter Volker Müller sind die Geräte noch voll funktionsfähig: analoge Tonbandgeräte, Synthesizer, Generatoren, historische Mischpulte, Sampler, Vocoder, digitale Prototypen der 1980er und 90er Jahre. Das über mehrere Generationen von Audiotechnik gewachsene Ensemble ist weithin einzigartig und ein schützenswertes Kulturgut von internationalem Rang. Seiner annehmen sollten sich daher auch das Landesdenkmalamt und die Kulturstaatsministerin des Bundes.

Einfacher wäre es freilich, alles irgendwo billig zu verstauen, zu verschrotten oder in Einzelstücken meistbietend zu verkaufen. Die Raritäten würden sicher hohe Beträge erzielen. Doch der schnelle Profit wäre ein unermesslicher Verlust für die Allgemeinheit. Denn nicht zuletzt wegen des WDR-Studios sprach man in den 1950er und 60er Jahren von Köln als der „Welthauptstadt der neuen Musik“. Europa war damals lange noch nicht politisch geeint, als sich im Kölner Sender bereits Künstler vieler Länder verbanden, zu gemeinsamen Arbeiten, Diskussionen, Freundschaften und Wettbewerb.

Alles zum Thema Musik

Auch dieses ideelle Erbe gehört zum Elektronischen Studio. In Abwägung von konservatorischen Gesichtspunkten und operativen Möglichkeiten sollte die Ausrüstung wieder aufgebaut und im Rahmen eines „lebendigen Museums“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Manche Geräte ließen sich praktisch nutzen, von Künstlerinnen und Künstlern, Studierenden, Schulklassen, Wissenschaftlern, für Produktionen, Präsentationen, Lehr- und Forschungsprojekte. In der Vergangenheit gab es hierzu bereits Planungen für das Museum für Angewandte Kunst Köln, für Räume im Mediapark 5 unweit von SK-Stiftung und Ensemble Musikfabrik sowie für die Hochschule für Musik und Tanz Köln. Alle Vorhaben scheiterten. Die jüngste Initiative verdankt sich einem privaten Investor und Kunstsammler, der 2015 das von ihm hergerichtete Haus Mödrath bei Kerpen mietfrei anbot. Das Gebäude hatte früher als Entbindungsheim gedient, wo Karlheinz Stockhausen das Licht der Welt erblickte. Der laufende Unterhalt für Personal, Wartung, Nebenkosten wird mit circa 200 000 Euro pro Jahr veranschlagt. Gespräche führten der Besitzer der Immobilie, der WDR als Eigentümer des Studios sowie die Stadt Köln, der Landschaftsverband Rheinland, die Musikhochschulen des Landes und die Ministerin für Kultur und Wissenschaft NRW.

Die Räume in Mödrath standen jahrelang bereit, doch man war nicht in der Lage, dafür eine funktionierende Träger- und Finanzierungsstruktur aufzubauen. Trotz Bekundungen guten Willens ist man fast fünf Jahre später keinen Schritt weiter und die Zukunft des Studios abermals ungewiss. Statt konstruktiver Lösungsvorschläge kursieren gegenwärtig nur gegenseitige Schuldzuweisungen. In anderen Fällen bewegen Bund, Land, Region und Stadt viele Millionen Euro, etwa zur Feier der Jubiläen von Beethoven und Offenbach. Zudem werden Gedenkstätten für herausragende Kulturheroen des 18. und 19. Jahrhunderts unterhalten, für Beethoven, Schumann, Goethe, Heine. Und im Ruhrgebiet werden die Denkmäler der Industriekultur restauriert und bespielt. Warum ist Vergleichbares nicht auch für eine herausragende Einrichtung der Musik des 20. Jahrhunderts möglich?

Allein mit dem Etat der aktuellen Beethoven-Jubiläumsgesellschaft BTHVN könnte eine Einrichtung des WDR-Studios 150 Jahre lang betrieben werden! Gegebenenfalls in den Mödrather „Räumen für Kunst“, viel besser aber in Köln. Denn dieses Studio wird auf der ganzen Welt mit Köln identifiziert.

Das Goethe-Institut wirbt auf seiner Homepage mit „Elektronischer Musik aus Deutschland“ von Stockhausen bis Kraftwerk, im Klartext, made in Cologne oder von Köln aus inspiriert. Für die historischen Studios in Paris, Mailand, Den Haag und Stockholm wurden bereits Lösungen gefunden. Und das weniger bedeutende Münchener Siemens Studio für Elektronische Musik befindet sich im Deutschen Museum. Warum nimmt sich der WDR nicht selber dieses glanzvollen Kapitels seiner Geschichte fürsorglicher an, auch wenn diese Aufgabe nicht zum rechtlichen Auftrag eines Senders gehört? Unternehmen wie Mercedes, Porsche oder Miele unterhalten viel besuchte, sogar profitable Museen zur eigenen Firmengeschichte. Und die Stadt Köln? Sie nimmt Schenkungen von Privatleuten an, warum nun nicht auch das Studio des WDR im Verbund mit Hilfen von Land und Bund?

Erfindungsreich zu Produktionsinstrumenten umfunktioniert wurden die Messgeräte der damaligen Rundfunktechnik schließlich erstmalig in Köln. Und wie damals interessieren sich noch heute Menschen dafür. In Abgrenzung von global standardisierten Software-Programmen tendieren auch viele Musiker wieder zu alter Analogtechnik, zu Sinus- und Rauschgeneratoren, Filtern und Reglern.

Nach 20 Jahren Dornröschenschlaf ist es allerhöchste Zeit, den Schatz aus dem Keller endlich der Öffentlichkeit in angemessener Weise zugänglich zu machen.

Widersprechende Statements

Die Stiftung Haus Mödrath schreibt auf ihrer Homepage: „Nach fast fünf Jahren lässt der WDR nun die letzte Annahmefrist kommentarlos verstreichen. Der WDR sieht sich nicht in der Lage, das Studio in Haus Mödrath zu betreiben, und zwar auch dann nicht, wenn es mehrere Betreiberpartner gäbe und es den WDR selbst keinen einzigen Cent kosten würde, so der verantwortliche Dr. Bilstein, der als Liquidator in der WDR Verwaltungsdirektion tätig ist.“ Der WDR widerspricht: „Der WDR hat dem Haus Mödrath keine Absage erteilt. Vielmehr ist es so, dass es trotz zahlreicher Gespräche mit möglichen Partnern bislang nicht gelungen ist, eine funktionierende Trägerschaft und damit eine langfristige Finanzierungsstruktur aufzubauen. Der WDR setzt sich weiterhin dafür ein, das »Studio für elektronische Musik« in eine öffentliche Einrichtung zu übergeben und wird daher weitere Gespräche mit Interessenten führen.“

KStA abonnieren