Beschädigte BücherWallrafs Erbe ist in Not – Uni-Bibliothek sucht Unterstützer

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Die „Sammlung Wallraf“ in der Kölner USB.

Die „Sammlung Wallraf“ in der Kölner USB.

Köln – Gebrochene Buchrücken. Ausfransende Seiten. Zerbröselnde Umschläge. Insektenfraß. Fehlende Einbände. Feuchtigkeitsschäden da und dort. Der Zustand der Bibliothek des Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824) – des einzigen Kölner „Erzbürgers“, der derzeit vielfach gewürdigt wird anlässlich der testamentarischen Übertragung seiner Sammlung auf die Stadt Köln vor 200 Jahren – ist alles andere als erfreulich.

Gudrun Gersmann, die den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit am Historischen Institut der Universität zu Köln innehat, macht darauf aufmerksam im Katalog zur aktuellen Ausstellung „Wallrafs Erbe“. Und Christiane Hoffrath, Dezernentin für Historische Bestände und Sammlungen in der Universitäts- und Stadtbibliothek (USB), kann dies nur bestätigen: „Die Sammlung ist in einem bedenklichen Zustand.“

Wallraf hatte nicht genug Budget

Rund die Hälfte der über 14.000 Bände sind beschädigt, in Extremfällen provisorisch fixiert oder notverpackt. Für den Schwächezustand gibt es viele Gründe, die alle in der Vergangenheit liegen. Als Wallraf die neuen wie alten Bücher sammelte, erst noch verhalten und dann immer besessener, hatten die antiquarischen unter ihnen schon eine kleine Odyssee hinter sich. Die Bedingungen, unter denen sie etwa in Klöstern oder Kirchen aufbewahrt wurden, entsprachen oft durchaus nicht konservatorischen Mindestanforderungen: „Das sah es nicht immer so gut aus wie in der Klosterbibliothek von St. Gallen“, sagt Hoffrath. Und dann hatte der stets klamme Wallraff auch kein Geld, um die Neuzugänge gepflegt unterzubringen. Zu seiner Zeit stieß er noch auf zahlreiche Werke, die nicht gebunden waren. Es oblag dem jeweiligen Besitzer, die zusammengeleimten oder mit Fäden verschnürten Bände mit einem schützenden Einband zu versehen. Wer es sich leisten konnte – wie etwa der Kölner Architekt Jakob Ignaz Hittorff, der die Place de la Concorde in Paris entworfen hat und dessen Sammlung ebenfalls in der USB aufbewahrt wird – entschied sich für rotes Maroquinleder. Aber Wallraf hatte dafür kein Budget.

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In der Dompropstei am heutigen Wallrafplatz, wo der Sammler jeden Winkel mit Kunstwerken und Mineralien vollstopfte, wurden auch die Bücher hineingequetscht. Die Bildnisse, die von ihm als Bibliophilem überliefert sind, vermitteln keinen vorteilhaften Eindruck: auf einem Stich von Nicolas Salm ist der Sammler zu sehen, wie er sich mit seinen Straßenschuhen auf Folianten abstützt. Doch Christiane Hoffrath beschwichtigt: Nein, Wallraf habe die Bücher nicht mit Füßen getreten. Das Bildnis sei metaphorisch zu deuten als Ausdruck seiner Faszination für die Bücherwelt.

Auch habe er sich um eine bessere Unterbringung bemüht. Aber die Stadt, sagt Hoffrath, „hat sich damals nicht gerade überschlagen, ihm zu helfen.“ Gudrun Gersmann ergänzt mit Blick auf die ganze Sammlung: „Er hat immer wieder Vorstöße gemacht – aber die Stadt hat ihn kalt abblitzen lassen.“

Schließlich litt Wallrafs Bibliothek nach seinem Tod bei jedem Umzug – und davon gab es viele. Dabei wurden die Bücher oft in Fässer gepackt, um sie zu transportieren. Auch war die Sammlung während des Zweiten Weltkriegs in der Abtei Himmerod ausgelagert. Sie wurde in Asbestkisten gepackt, um sie vor Feuer zu schützen, doch war die Feuchtigkeit der größere Feind, wie Hoffrath sagt. Seit den 60er Jahren freilich ist Ruhe eingekehrt. Seitdem lagert die Sammlung im zweiten Stock der Universitäts- und Stadtbibliothek, der für den „Alten Bestand“ reserviert ist und zu dem noch weitere schöne Sammlungen gehören.

Wertvolle Werke stecken im „Panzerschrank“

Die wertvollsten Wallraf-Werke sind in einem besonders gesicherten Raum, dem „Panzerschrank“, untergebracht. Die ältesten Schriften – beide aus dem Jahr 1465 – sind die „Apocalypsis“ des Johannes und eine bilderreiche „Biblia pauperum“. Die Inkunabeln sind mittlerweile in einem guten Zustand – denn die USB hat seit 2005 rund 360 000 Euro aus eigenen Mitteln investiert, um diese Spitzenobjekte zu restaurieren. Aber in diesen Genuss ist der größte Teil der Sammlung noch nicht gelangt. Insgesamt müssten dafür 1,5 Millionen Euro aufgebracht werden.

Vorstellbar ist, dass sich eines Tages auch das Land NRW zur Unterstützung bereiterklärt. Doch bis solche Rettungssignale Realität werden, will Hoffrath nicht untätig bleiben. Sie setzt auf die Gunst der Stunde – auf das aktuell in Köln stark gestiegene Interesse an Ferdinand Franz Wallraf. Am 24. Mai will sie das Projekt „Buchpaten für Wallraf“ starten. Dann können sich kleine und große Gönner melden und die Kosten für die Restaurierung übernehmen – dafür gibt es anschließend eine Urkunde und einen Vermerk im Schuber, in den das Buch gelangt.

Festakt im Stiftersaal zu Ehren Wallrafs

Ein Festakt im Wallraf würdigt an diesem Montag „Wallrafs Erbe – 200. Jahrestag der Testamentsunterzeichnung“.

Die Ausstellung „Wallrafs Erbe“ im Wallraf zeigt u.a. 47 Bände aus Wallrafs Bibliothek.

„Buchpaten“ für die Restaurierung der „Sammlung Wallraff“ wenden sich an: Kölnische Bibliotheksgesellschaft c/o Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, Universitätsstr. 33, 50931 Köln.

Christiane Hoffrath spricht über „Wallrafs Bücher“ am 24. Mai, 19 Uhr, in der Kölner Universität. Außerdem referiert Frederike Rupp über Wallraf.

Digitalisierung ist eine Option. „Doch das originale Buch“, sagt Hoffrath, „bleibt die Basis.“ Außerdem ließen sich längst nicht alle Bände scannen: „Wenn der Ausschlagwinkel des Buches nur 40 Prozent beträgt, lassen wir es.“ Man mache das nicht um jeden Preis. Hoffrath setzt auf die Zukunft: „Ich hoffe, dass es eines Tages ein MRT für Bücher geben wird – dass man die Bücher also scannen kann, ohne sie zu öffnen.“ Diese Anwendung der Tomographie klinge jetzt verwunderlich, meint sie, aber wer wisse schon, was in 20 Jahren möglich sei.

Was Wallraf gesammelt hat, wurde nach seinem Tod vom ehemaligen Stadtarchivar Johann Peter Fuchs im Jahre 1824 in eine Ordnung gebracht, die noch heute in der USB Bestand hat von A bis H: Philologie, Geschichte, Mathematik, Philosophie, Medizin, Theologie, Jura und schließlich Sammelbände. Darin drückt sich Wallrafs Bestreben aus, der Universität – die freilich zu seiner Zeit von den Franzosen geschlossen und erst 1919 wiedereröffnet wurde – eine Lehrsammlung zu verschaffen. Belletristik hingegen hat keinen so starken Stand bei ihm.

Bücher können in die Hand genommen werden

Woher Wallraf die Bücher bezogen hat (oft auf Auktionen) und wer die Vorbesitzer waren, ist noch ein weites Feld für die Forschung. Und selbstverständlich sind nicht mehr sämtliche Bände erhalten. Schwund gab es wohl bei manchem Umzug.

Trotz der Bedeutung handelt sich hier um keine „museale“ Sammlung, sagt Christiane Hoffrath. Das heißt auch: Man kann die Bücher immer noch in der Kölner Universitäts- und Stadtbibliothek in die Hand nehmen – sofern ihr jeweiliger Zustand das nicht gerade verhindert.

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