Bildband„Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger“

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Die Friedrichstraße bei Nacht

Die Friedrichstraße bei Nacht

Sie weilte nur zwei Monate in der Stadt, doch die reichten, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Josephine Baker war 1926 die Sensation in Berlin. Es war eine wechselseitige Faszination. „Vom Kurfürstendamm aus gesehen, wirkt die Stadt auf mich wie ein funkelndes Kleinod; abends glänzt sie in einer Pracht, wie Paris sie nicht kennt. Ich bin hingerissen, die großen Cafés sind wie Ozeandampfer und die Orchester ihre Maschinen, die alles durchdröhnen und in Bewegung halten. Die Musik ist überall“, beschrieb die gerade 20-Jährige ihre Eindrücke.

Baker war nicht die einzige, die der deutschen Hauptstadt in jenen Jahren erlag. Das Berlin der 20er Jahre war schon damals und ist noch immer ein Mythos, ein Sehnsuchtsort. Eine Stadt, die nach den schrecklichen Erlebnissen des Ersten Weltkriegs aufatmete, frei sein wollte und gleichzeitig in der Ferne schon bedroht wurde durch noch größeres Unheil. Licht und Schatten, die grellen Farben des legendären Nachtlebens, das Grau der Fabriken und Mietskasernen, junge Demokratie und aufkommender Nationalsozialismus, das alles lag dicht beieinander.

Es ist diese Widersprüchlichkeit, der vielzitierte Tanz auf dem Vulkan, der auch heute noch fasziniert. Und nicht zuletzt die von Sky und ARD produzierte Serie „Babylon Berlin“, die 1929 spielt, hat den Hype neu befeuert.

Nun haben der Illustrator Robert Nippoldt und der Schriftsteller Boris Pofalla einen wunderschönen Band im Taschen Verlag vorgelegt, der die Ikonen des Jahrzehnts ebenso abbildet wie Neu- oder besser Wiederentdeckungen. Das alles wird abgerundet durch eine CD mit ebenfalls heute noch Gespieltem und lange Vergessenem. Berühmtheiten wie Albert Einstein, Kurt Weill oder Marlene Dietrich stehen neben heute weitgehend unbekannten Namen wie Thea Alba. „Die Frau mit den zehn Gehirnen“ trat im Wintergarten und im Admiralspalast auf und war auch in New York und Paris zu sehen. Sie konnte gleichzeitig mit der linken Hand einen spanischen und mit der rechten einen französischen Brief schreiben sowie parallel auf Englisch diktieren.

Neben den Porträts geht der Band auf bedeutende Orte wie das Hotel Adlon und den Vergnügungstempel Haus Vaterland ein. Liebevoll gestaltete Doppelseiten widmen sich der Literatur, den Reichskanzlern, der Mode, dem Zeitungswesen und den Tänzen der Epoche. Kapitel wie „Die große Armut“ beleuchten die Schattenseiten. Die Überblickstexte von Pofalla sind stimmig, transportieren die Faszination des Jahrzehnts, ohne es zu verherrlichen. Sie ergänzen Nippoldts Zeichnungen perfekt. Diese sind konsequent in schwarz, weiß und einem hellen Bronzeton gehalten.

„Es wird Nacht im Wilden Berlin der Zwanziger“ ist kein Geschichtsbuch, sondern vielmehr der gelungene Versuch, erfahrbar zu machen, warum uns eine Epoche, die nun fast 100 Jahre zurückliegt, so viel moderner und zeitloser erscheint als vieles, was danach kam. Mode, Musik, Kunst, Architektur, Literatur, Rollenverteilung („Berlin war die Stadt der Frauen“), die häufig als Goldene Zwanziger verklärten Jahre sind uns immer noch nah.

Das heraufziehende Unheil lassen die Autoren nicht außer Acht und enden daher nicht mit dem Jahrzehnt, sondern im Jahr 1933. Der Handschlag von Adolf Hitler und Paul von Hindenburg ist schlicht mit „Der Untergang“ überschrieben. Das kurze Aufatmen war vorbei.

Das Buch

Robert Nippoldt, Boris Pofalla: „Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger“, Taschen, Hardcover, 224 Seiten, 49,99 Euro. Eine CD mit Liedern von unter anderem Claire Waldoff, Ernst Busch, Josephine Baker und Marlene Dietrich liegt bei.

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