Charts-KolumneWarum Italienurlaube popkulturell gesehen heikel sind

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Der ZDF-Fernsehgarten – für die einen bedeutet er Freude, für anderen den reinsten (musikalischen) Horror. Musikalische Kandidaten dafür findet man auch in Italien.

  • War früher alles besser? In den Musikcharts ganz bestimmt! Sicher? Na gut, vielleicht auch nicht.
  • Jede Woche hört sich unser Kolumnist Marcus Bäcker in seiner Glosse „Neu in den Charts”durch die Hitliste – und findet dabei Entsetzliches wie Schönes.
  • Besonders zittern müssen vor seiner strengen Feder die vielen Talentbefreiten unter den Stars und Sternchen. In dieser Woche berichtet er aus Italien – von wo es ebenfalls Horror-Charts-Musik von kompetent operierten Blondinen zu vermelden gibt.

Bei der Übernahme eines Mietwagens sollte man peinlich genau auf Lack- und andere Schäden achten und sich davon überzeugen, dass das Auto vollständig aufgetankt ist. Ich bin mir dessen zwar bewusst, meine Aufmerksamkeit gilt am Flughafen Bologna dennoch jedes Mal einer ganz anderen Sache: Ist mein Smartphone mit dem Autoradio kompatibel? Gibt es alternativ die Möglichkeit, einen USB-Stick anzuschließen? Und wenn beide Fragen leider mit Nein beantwortet werden mussten, lässt sich dann zumindest ein Sender finden, der die Klassiker von Celentano, Battisti und ähnlichen Kalibern spielt und sich automatisch selbst zerstört, wenn ein sadistischer Musikprogrammierer einen aktuellen Sommerhit in die Playlist geschmuggelt hat? Popkulturell sind Italien-Urlaube sehr heikel.

Selbst wenn man im Auto stur seinen eigenen Musikvorrat hört: Irgendwann kommt doch der Zeitpunkt, an dem einem entgegenschallt, was die verwirrte Mehrheit klangtechnisch für Jahreszeiten-adäquat hält. Um mental darauf vorbereitet zu sein, habe ich mir ein paar italienische Sommer-Smash-Hits schon einmal vorab im herbstlichen Köln angehört. Ich glaube, am meisten verachte ich „Dove E Quando“ von Benji & Fede. Bei Benji und Fede handelt es sich um zwei junge Männer, deren Arme aussehen wie die Beine eines Schultischs: vollgeschmiert.

Marcus Bäcker

Marcus Bäcker

Wer Tattoos immer noch mit harten Jungs in Verbindung bringt, sollte das dringend überdenken, denn den Sinn ihres jungen Lebens haben Benji und Fede ganz offensichtlich nicht darin entdeckt, wild und unkonventionell zu sein, gegen die Widerlichkeit gewisser italienischer Politiker anzukämpfen, mit bloßen Händen aufs Mittelmeer zu paddeln und Menschen zu retten oder generell irgendetwas zu machen, das man jugendslangbewegt als „krass“ bezeichnen könnte; nein, Benji und Fede wollen im „ZDF Fernsehgarten“ auftreten. Oder zumindest im italienischen Äquivalent des ZDF Fernsehgartens. Dagegen war die Goombay Dance Band Death Metal. Ich werde mir auf eine Hand das italienische Wort für Erbarmen schreiben, nur für den Fall, dass irgendjemand auf die Schnapsidee kommen sollte, dieses schändliche Liedchen abzuspielen.

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Allerdings, und ja, jetzt kommt ein fett geschriebenes, mehrfach unterstrichenes, mit zahlreichen Ausrufezeichen geschmücktes „Allerdings“: Ich denke, es geht noch schlimmer. Wer schon mal italienisches Fernsehen gesehen hat, egal ob politischer Talk, Sportsendung oder live übertragene Beerdigung: Irgendwo steht immer eine Blondine, die ihre von kompetenten Ärzten in Schuss gebrachte Auslegeware in die Kamera streckt und stets darauf vertraut, dass das Reizreaktionsschema hormonell überfluteter Zuschauer für stramme Marktanteile sorgt. Die – Achtung, Witz – Künstlerin Baby K (sic) variiert diese Masche im Video zu ihrer synapsenzerstörenden Klischeebombe „Playa“ (sic) auf zermürbendste Weise. Wenn ich das dieses Jahr hören muss, reise ich nächstes Mal in die Mongolei. Vorsicht, Italien!

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