Christian Petzold über Corona„Ohne Kino überleben wir nicht“

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Christian Petzold

Christian Petzold

  • Christian Petzlod gehört zu den Mitbegründern der Berliner Schule und zu den international bekanntesten deutschen Filmregisseuren.
  • In seinem neuen Film versetzt Petzold das Undine-Märchen auf ebenso eigensinnige wie bestechende Weise in die Gegenwart.
  • Im Interview spricht er über frühe Seherfahrungen, darüber, was ihn am deutschen Kino stört und warum ihm Corona keine Angst macht.

Christian Petzold, Sie arbeiten nicht in besonderem Maße mit Statisten, wenn Sie in einer Stadt wie jetzt in Berlin drehen, sie „bauen“ die Szenen nicht, sie achten lieber aufs Vorhandene, ganz in Wim Wenders’ Sinn, wenn er vom „Ortssinn“ spricht, davon, dass der Ort selbst Geschichten erzählt.

Das habe ich selbst bei Wenders gelernt. Ich war 14, als ich „Alice in den Städten“ gesehen habe und darüber zum Fan geworden bin. Ich bin in der Nähe von Wuppertal aufgewachsen …

… in Hilden.

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Da bin ich geboren worden, aber das kenne ich kaum. Meine Mutter hat sich dort zu einem Krankenhaus hingeschleppt, dass einen guten Ruf hatte und sie die katholischen Schlachthäuser fürchtete. Gut, aber „Alice in den Städten“: Wenders hat tatsächlich die Stadt gesehen – Wuppertal, die Stadt, die ich in- und auswendig kenne. Keine Kulisse, sondern ein Raum, der respektiert und auch von den Schauspielern bespielt und nicht bloß als Hintergrund benutzt wird. Das war eine Schule des Sehens für mich.

Zur Person

Christian Petzold, geboren 1960 in Hilden, ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Filmregisseure Deutschlands. Für „Barbara“ gewann er den Regiepreis der Berlinale, 2013 erhielt er den Käutner-Preis der Stadt Düsseldorf. Aktuell läuft „Undine“ im Kino. (F.O.)

Gab es weitere Einflüsse?

Bei Truffaut habe ich dies später ebenfalls gesehen, bei Eric Rohmer sieht man es ohnehin, und selbst bei den Amerikanern sieht man, dass die mit ihren Städten anständig umgehen. Das ist in Deutschland auch durch die Filmförderung, die regional ist und zum Geldsparen einlädt, ein wenig runtergerockt worden. Das heißt nicht, dass man stets authentisch sein muss. Ich halte es so, dass ich mit den Schauspielern zu den Orten fahre, an denen wir drehen wollen, damit diese Orte einen Geruch, eine Geschichte besitzen.

Auch, wenn es sich nicht um den Ort handelt, der im Film behauptet wird?

Mein nächster Film spielt an der Ostsee, aber ich werde natürlich kein Haus finden, dass im August hinter den Dünen, frei und unberührt steht. Aber da wir das Meer eh nicht sehen, wird dieses Haus wahrscheinlich irgendwo in Brandenburg stehen. So wie bei „Barbara“, auch das fand keineswegs direkt am Meer statt, aber die Vorstellung davon ist es, die sich den Schauspielern einpflanzt.

Paula Beer in „Undine“

Paula Beer in „Undine“

Womit wir beim Wasser wären, dass in „Undine“ ein Leitmotiv bildet. Sogar, wenn sich die Darsteller an Land bewegen.

Ich beklage den Mangel an physischem Spiel in Deutschland, an anmutigem, körperlichem Spiel. Das rührt von der Dialoglastigkeit des Fernsehspiels her, wo man nur Köpfe sieht und allenfalls mal jemand im Hintergrund kreuzt. Da geht alle Körperlichkeit verloren, wie sie sich zum Beispiel bei einem Film wie „Money Ball“ mit Brad Pitt einstellt. Wenn Pitt Nüsse isst – das geriete in einem deutschen Film zur Karikatur, aber hier ist es so, als würde er Energie aufnehmen. Und Paula Beer und Franz Rogowski, die beiden Hauptdarsteller in „Undine“, haben die Erfahrung unter Wasser in ihr Körpergedächtnis aufgenommen. Wenn die durch die Straßen gegangen sind oder als Liebespaar an der Haltestelle in Brügge in Westfalen standen – Brügge!

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Wie Boston in Brandenburg. Aber zurück zu Paula Beer und Franz Rogowski: Alles war plötzlich fließend, wenn sie sich über ihn beugt und ihm einen Abschiedskuss gibt, oder wenn sie auf einer Bank zusammen einschlafen. Bettina Böhler, die Editorin sagte: Die schwimmen – die schwimmen auch an Land. Tolle Schauspieler!

Wie kommt es, dass Sie so große Treue zu Ihren Darstellern beweisen – Beer und Rogowski haben bereits in „Transit“ mitgewirkt, legendär ist Ihre Zusammenarbeit mit Nina Hoss.

Oder Barbara Auer, Benno Fühmann, Richie Müller – auch die gehören zum Ensemble. Mein Vorbild vom Logistischen her ist Fassbinder. Wir haben ja keine Industrie in Deutschland, keine Struktur, wir müssen jedes Mal das Kino neu erfinden. Aber Fassbinder hat Ensembles über 15 Jahre hinweg zusammengehalten. Das folgte dem Motto, dass, wenn wir schon keine Industrie haben, wir eine kleine Industrie für uns herstellen.

Auch eine Art Widerstand?

Ja, wenn da draußen die Apparatschiks herrschen, ziehen wir uns wie Conny Plank auf unseren Bauernhof zurück. Wir brauchen das Geld, aber wir können nicht auf Strukturen vertrauen, weil diese gar nicht vorhanden sind. Daher kommt das bei mir, und Nina Hoss wird bestimmt wieder dabei sein.

Streaming ist nur zum Zeittotschalgen gut

Welche Rolle hat Ingeborg Bachmanns Novelle „Undine geht“ für Sie gespielt?

Eine wahnsinnig große, allerdings nicht als Vorlage, sondern der Ruf der Undine geht durch den ganzen Film hindurch. Die Bindung eines männlichen Regisseurs zu einem weiblichen Wasserwesen, gespielt von einer jungen, schönen Frau, ist vom Undine-Mythos nicht so weit entfernt, und da war Bachmanns Ruf „Sieh’ die Frau“, „Sieh’ die Welt durch andere Augen“ enorm wichtig.

Sie haben also eine weibliche Perspektive eingenommen?

Wir bauen bei den Dreharbeiten immer ein Kino auf, und dort schauen das Team und die Schauspieler Filme, die ich zusammenstelle – mein zweiter Wunschtraum war es ja, ein Kino zu leiten. Das Programm, das ich zusammenstelle, hat immer mit dem Film, den wir drehen, zu tun. Wir sahen uns also „Heiße Spur“ von Arthur Penn an, mit Gene Hackman, ein Detektivfilm des New Hollywood der 70er Jahre, dem man anmerkt, dass alles kaputt ist – die Männer, die Geschichten, Hollywood. Einer der wichtigsten Sätze lautet: Wo waren Sie, als Kennedy starb?

Das nationale Trauma.

Das ist jedenfalls einer meiner Lieblingsfilme, und als Paula Beer sagte, dass er ihr nicht gefalle, war ich enttäuscht. So als hätte einer zum Lieblingsspielzeug gesagt, dass er das nicht gut findet. Aber was sie zur Begründung sagte, fand ich toll: Immer sind die Männer die Helden, und jetzt, wo sie die Waschlappen sind, sind sie schon wieder die Helden. Da ist was dran. Und ich dachte: Hier spricht Undine.

Zur aktuellen Situation: Fürchten Sie ums Kino?

Ich mache mir ums Kino überhaupt keine Sorgen. Vielleicht passieren schreckliche Dinge mit dem Kino, ökonomisch und auch gesellschaftlich, aber ohne das Kino würden wir das alles nicht überleben. Ich könnte auf alle anderen Künste verzichten, weil sie retro sind: Die Oper zeigt mir nichts Neues. Und auch das Fernsehen kann nicht leisten, was das Kino leistet: Streamingdienste sind Werkzeuge, um die Zeit totzuschlagen. Darum geht es im Kino aber nicht, sondern um Weltwahrnehmung. Wenn ich mir um das Kino Sorgen mache, dann nur darum, dass es in die falschen Hände geraten könnte, von Buchhaltern, die es abwickeln wollen.

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