Claudia Neumann„Ich würde gerne mal wieder eine Spielidee vom 1.FC Köln sehen“

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Claudia Neumann

Frau Neumann, die Fußball-EM findet dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie unter schwierigen Bedingungen statt. Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf das Turnier?

Claudia Neumann: Der Blick ist tatsächlich ein anderer als sonst. Erwartungen habe ich aber erstmal gar keine. Wir planen zweigleisig, wissen noch gar nicht, ob wir in alle Stadien reinkommen, das kann sich sehr kurzfristig ändern. Die Produktionskollegen planen die Anreise in die Städte, gleichzeitig ist in Mainz eine Logistik geschaffen worden, damit wir auch dort kommentieren können.

Fußball lebt von Emotionen. Wie geht man damit um, wenn man nicht das gewohnte Arbeitsumfeld im Stadion hat?

Wir hatten ja jetzt 16 Monate Zeit, uns daran zu gewöhnen. Wir haben viel diskutiert, welchen Einfluss ein leeres Stadion auf die Art der Kommentierung hat. Die Stimmung fehlt – muss man dann mehr reden als sonst? Aber da gibt es kein richtig oder falsch, das muss jeder für sich entscheiden. Ich will mich auch nicht wirklich dran gewöhnen, denn es fehlt atmosphärisch sehr viel. Jetzt ist es ja so, dass man zumindest davon ausgeht, dass ein gewisser Anteil Publikum rein darf, vielleicht macht das ja, wo wir aus leeren Stadien kommen, schon viel aus. Wir werden es ausprobieren müssen.

Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für eine EM? Die Pandemie ist ja noch nicht überstanden.

Ich kann das schwer beantworten. Über die vermeintliche Sonderrolle des Fußballs ist ja viel diskutiert worden. Ich gehörte zum Beginn der Pandemie zu denen, die dem ganzen Apparat Fußball sehr skeptisch gegenüberstanden, obwohl ich ein Teil dessen bin. Mir ging es auf den Geist, auf welche Art man versucht hat, das klein zu reden. Es ließ sich aber nicht klein reden. Dann war von Demut die Rede, die sich aber schnell wieder in Wohlgefallen aufgelöst hat. Ich war sehr kritisch und bin es immer noch, weil ich mich auch mit anderen Branchen auseinander gesetzt habe. Was passiert im Bereich der Gastronomie, der Kultur? Auch die hätten Hygienekonzepte gehabt, die gegriffen hätten. Und die haben die Chance nicht bekommen.

Fußball in der Krise

Kann der Fußball etwas lernen aus dieser Krise?

Ich glaube, es war und ist eine große Chance, dem Fußball ein paar Korrekturen angedeihen zu lassen. Der Druck war sehr groß, aus der Bevölkerung, aus den organisierten Fanszenen. Ich wage keine Prognose, wie sich das fügen wird, wenn die Pandemie vorbei ist. Ich hoffe aber wirklich, dass nicht versucht wird, die Kritikpunkte unter den Teppich zu kehren, sondern dass der Druck so groß ist, dass auch bei den Entscheidern die Vernunft greift, dass vieles aus dem Ruder gelaufen ist in den vergangenen Jahren.

Sie sprechen eine Entwicklung an, die viele Fans beunruhigt. Auch die Pläne für eine Super League und die WM in Katar sorgen für viel Kritik. Steht der Fußball an einem Scheideweg, droht er, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren?

Seine Unschuld hat er schleichend über Jahrzehnte verloren. Das war ein Prozess. An welcher Kreuzung wir falsch abgebogen sind, ist im Nachgang schwer festzustellen. Irgendwann bringt ein Topfen das Fass zum Überlaufen. Das ist durch die Pandemie definitiv verstärkt worden. Und die, die Verantwortung in den Vereinen und Verbänden haben, müssen sich sehr genau überlegen, wohin sie das Schiff Fußball in Zukunft steuern wollen, und an welchen Stellen man auch zurückrudern muss, um das Ganze wieder in die Mitte der Gesellschaft zu rücken. Es reicht nicht, die ein oder andere Hochglanzkampagne zu starten. Man muss es auch leben. Das ist in der Vergangenheit häufig nicht der Fall gewesen. Daran muss sich der Fußball messen lassen. Und der Druck muss groß bleiben, daran wird es hängen, ob etwas passiert.

Mehr Frauen in den DFB

In der Bild-Zeitung war ja jüngst zu lesen, dass Sie mit einigen anderen Frauen - Katja Kraus, Bibiana Steinhaus-Webb, Almuth Schult und Gaby Papenburg – den DFB übernehmen wollen. Wann ist es denn so weit?

Ist das nicht aberwitzig? Die Gruppe hat sich nicht zuletzt in Folge einer journalistischen Arbeit meinerseits gebildet. Ich habe im Winter eine Reportage gedreht über Frauen im Fußball. Das ist ein weites Feld, aber ich wollte schauen, was der Profifußball für Frauen mittlerweile bietet. Ich habe dann recherchiert, und die Zahlen waren trostlos. Wenn ich das ins Verhältnis stelle zu der Anzahl Frauen, die in Medienberufen über Fußball berichten, spüre ich dort einen viel größeren Nachholbedarf. In Führungspositionen des Profi-Fußballs kommen Frauen praktisch gar nicht vor. Fatalerweise. Hier wollen wir auf Veränderung drängen, aus inhaltlich tiefer Überzeugung.

Gibt's die bei den Vereinen und Verbänden nicht?

Bei den großen Jobs im Profifußball erkennt man doch noch knallharte Beharrungsreflexe. Das sind mehr Lippenbekenntnisse als die tatsächliche Intention, etwas zu verändern. Darum haben wir erarbeitet, an welchen Stellen wir was  fordern. Das Papier ist innerhalb von Monaten entstanden und zwar völlig unabhängig von der derzeit desolaten Lage des DFB. Wir richten uns ja an alle Verbände und alle Vereine. Dass es nun heißt, wir wollten den DFB gleich ganz übernehmen, darüber können wir natürlich nur schmunzeln.

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Wie stehen Sie denn in dem Zusammenhang zum Thema Quote?

Ich habe früher eine allgemeine Quotendiskussion eher ablehnend bewertet. Für viele Felder gilt das auch nach wie vor. Sie werden nicht von mir hören, dass ich morgen eine Quote beim Kommentieren fordere. Das ist einfach unrealistisch und würde nicht funktionieren. Dafür gibt es noch zu wenige Frauen, die den Job machen wollen. Das wäre Unsinn.

In anderen Bereichen hat die Quote für Sie Sinn?

Ich trage hundertprozentig mit, was wir in unserem Positionspapier formuliert haben, dass wir auf Funktionärsebene bei Vereinen und Verbänden eine 30-Prozent-Quote bis 2024 einfordern. In gewissen Bereichen kommt man ohne Quote nicht voran, das hat die Vergangenheit gezeigt. Es passiert sonst nichts außer schönen Worten. Und im Funktionärswesen muss man bestimmte Fähigkeiten mitbringen, aber es spricht gar nichts dagegen, dass die viele Frauen haben. Es geht auch um eine Diskussions- und Führungskultur - da tut ein anderer Tonfall nur gut.

Sie werden oft als Pionierin bezeichnet, als Frau, die sich in einer Männerdomäne durchgesetzt hat. Finden Sie das gut? Würden Sie nicht lieber einfach nur über sich lesen, dass Sie eine Fußball-Expertin sind?

Ich bin fein mit mir und meiner Rolle, auch wenn ich diese vermeintliche Vorbildrolle  nie angestrebt habe. Die Geschichte meines Berufslebens ist harmonisch verlaufen, nur der letzte Step zur Live-Kommentierung großer Männerturniere fiel in eine Zeit, in der vieles aus dem Ruder läuft, was Kommunikation und Umgang miteinander betrifft. Damit kann ich in meinem fortgeschrittenen Dasein als Journalistin sehr gut leben. Ich finde das gesamte Phänomen viel bedauerlicher und möchte den Blick aufs große Ganze lenken.

Hass gegen Fußball-Kommentatorinnen

Sie hatten vor der WM 2018, als Sie in den sozialen Netzwerken viel Hass abbekamen, weil Sie als erste Frau im Fernsehen ein WM-Spiel von Männern kommentierten, in Ihrem Berufsleben nicht mit Vorurteilen zu kämpfen?

Ich habe vorher keine Ressentiments erlebt. Ich hatte tolle männliche Kollegen, junge Chefs, die innovativ waren und Lust auf neue Ideen hatten. Ich habe auch nie die ganz große Karriere angestrebt. Ich wollte einfach nur machen, was ich glaubte, machen zu können. Ich hätte die ganz große Aufmerksamkeit nicht gebraucht, ich wollte ja auch nie vor die Kamera. Jetzt ist es so, aber die Summe der gemachten Erfahrungen sind ein Teil Verantwortung, die ich gerne übernehme. Die jüngere Generation geht ja auch mit einem anderen Selbstverständnis an die Sache heran und wächst viel freier mit solchen Themen auf.

Sie sagen, Sie können den Satz nicht mehr hören, solche Erfahrungen, wie Sie sie 2018 machen mussten, „machen was mit einem“. Aber kann man das wirklich ausblenden, wenn man sich auf ein neues Turnier vorbereitet? Ist da nicht die Sorge, dass so etwas wieder passiert?

Es wird sicherlich wieder passieren. Darauf habe ich keinen Einfluss. Es ist völlig egal, wie ich kommentiere. Ich habe nochmal Arbeitsweisen überprüft, um Fehler zu vermeiden, die allerdings früher auch passiert sind, auch männlichen Kollegen. Aber früher hat sich das versendet. Das ist heute anders. Dazu haben wir eine Nörgel- und Streitkultur, die nicht chic ist. So lange ich weiß, dass ich vorbereitet bin und ich die Kompetenz besitze, habe ich ein gutes Gefühl. Ich weiß, dass mir trotzdem Fehler passieren können, aber ich bin im Reinen mit mir. Mehr kann ich nicht tun, mehr will ich nicht tun. Ich will ja auch immer noch eine gewisse Freude an meinem Leben und an meinem Berufsleben haben.

Frauen werden anders attackiert

Und die haben Sie?

Die habe ich. Aber natürlich lässt sich niemand gerne beschimpfen, beleidigen oder bedrohen, das ist klar. Ich bekomme das aber tatsächlich nur über Sekundärquellen mit, weil ich mit den sozialen Netzwerken einfach nicht so viel anfangen kann. Das ist mir zu anstrengend und zu viel Arbeit. Man muss auch bedenken, dass wir ja nur ein klitzekleiner Teil der Gesellschaft sind, das passiert in allen Bereichen, in der Politik, in der Show. Frauen werden in allen Bereichen anders attackiert als Männer, es geht schneller um Sexismus. Das ist eine hässliche Begleiterscheinung unserer Zeit.

Wie sehr beschäftigt Sie das Thema gendergerechte und diskriminierungsfreie Sprache beim Kommentieren?

Ich bin da in einer Lernphase. Ich kann nicht versprechen, dass mir nicht mal etwas rausrutscht, das ich selbst nicht zeitgemäß finde, aber ich arbeite dran. Ich versuche, sehr viel Wert draufzulegen, eine zeitgemäße Sprache zu verwenden. Ich habe großen Respekt vor jenen, denen Gendern wichtig ist, weil sie sagen, dass es Haltung repräsentiert. Ich sehe das nicht ganz so. Aber wenn es jemanden tangiert und ausgrenzt, versuche ich, das zu vermeiden.

Würden Sie beim Kommentieren gendern, würden die sozialen Netzwerke vermutlich explodieren…

Da bin ich ja zum Glück beim Kommentieren der Männer-EM fein raus. Ich bin dann hoffentlich nicht so sehr in dem Zwiespalt. Bei den Frauen ist das anders. Da sprechen wir natürlich von Spielerinnen – das war früher auch anders. Aber ich weiß nicht, ob ich mich daran gewöhnen würde, von einer Frauschaft zu sprechen. Wir sind in Zeit der Umgewöhnung, aber ich möchte nicht jeden Stein umdrehen.

Dem FC fehlt die Idee

Zum Abschluss noch ein anderes wichtiges Thema. Sie waren in Ihrer Kindheit und Jugend glühender FC-Fan. Wie sehr leiden Sie noch heute mit dem Verein?

Den Verein sucht man sich ja bekanntlich nicht aus und den verliert man nie. Der FC ist meine Vergangenheit und hat mir eine wunderbare Kindheit und Jugend beschert. Das werde ich nie vergessen. Jetzt kommt das große Aber: Ich habe lange aufgegeben, mit diesem Verein mitzufiebern. Ich finde, was da in den letzten zwei Jahrzehnten mit den Auf-und Abstiegen passiert ist, zeigt, dass da keine Idee drin steckt. Ich bin ja eine rheinische Frohnatur und finde es so schade, dass in einer Stadt wie Köln, die einen Kultstatus hat - und zwar nicht, weil die Stadt so schön ist, sondern weil die Menschen so fantastisch sind-, nicht gelingt, nachhaltig zu sein mit Konstanz  in der Führung und der sportlichen Leitung.

Was wünschen Sie sich von der Führung des Vereins?

Ich würde gerne mal wieder eine Spielidee und eine Identität von diesem Club sehen. Der definiert sich ausnahmslos über die Fans, das schöne Stadion und den Karneval, aber nicht über das, was auf dem Rasen passiert. Da ist doch mehr möglich, als immer nur gegen den Abstieg zu spielen.

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