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Computerspiel „The Last of Us Part II“Tausende Gamer sind auf den Barrikaden

Lesezeit 5 Minuten
Wie schon im Vorgänger-Spiel schlüpfen die Spieler bei „Last of us Part II“ in die Rolle von Ellie (l.) .

Wie schon im Vorgänger-Spiel schlüpfen die Spieler bei „Last of us Part II“ in die Rolle von Ellie (l.) .

Wer in Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie ein Computerspiel zur Entspannung sucht, sollte einen weiten Bogen um „The Last of Us Part II“ machen. Das heißt aber keineswegs, dass es sich bei diesem Titel für die Playstation 4 nicht um ein beeindruckendes Spiel handelt. „The Last of Us Part II“ ist ein detailverliebter Abgesang auf eine scheidende Konsolengeneration, der fast alle technischen Merkmale aktueller Titel versammelt und sie noch einmal beeindruckender in Szene setzt. Die Story ist nicht unbedingt das Spannendste an dem Spiel. Viel interessanter ist, dass ein unkonventionell erzähltes Game derzeit Abertausende Spieler wutentbrannt auf die virtuellen Barrikaden treibt, weil sie mit dem darin transportierten Weltbild nicht einverstanden sind.

Worum geht’s? „The Last of Us Part II“ spielt in den post-apokalyptischen USA, in der über Jahrzehnte hinweg ein besonders unappetitlicher Pilz-Parasit weite Teile der Menschheit ausgerottet und die infizierten Menschen in tobende Bestien verwandelt hat. Hier schlüpfen wir in die Rolle von Ellie, einer 19-jährigen Frau, die sich innerhalb einer geschützten Gemeinschaft ein neues Leben mit ihrer Partnerin aufbaut. Als Ellie jedoch mit ansehen muss, wie eine geliebte Person vor ihren Augen brutal ermordet wird, begeben wir uns mit ihr auf einen blutigen Rachefeldzug.

Wie in den gelungeneren Erzählungen des Genres wird auch hier das Klischee der Zombie-Apokalypse als Vehikel genutzt, um philosophische Fragen über eine vermeintlich zivilisierte Menschheit zu erzählen. Die dabei allgegenwärtige, kulturpessimistische Staatsphilosophie von Thomas Hobbes wird hier aber nicht nur wie auf einer Theaterbühne illustriert. Sie wird auch zum Spielplatz, auf dem wir selbst tätig werden. Und genau darin zeigt sich: Der mehrdeutige Titel „The Last of Us“ – das ist immer auch das letzte bisschen, das uns davon abhält, „des Menschen Wolf“ zu werden.

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Die eigentliche Qualität des Spiels liegt nicht so sehr im Erzählten, sondern darin, wie das Erzählte vermittelt wird: Düstere Passagen voller Grausamkeit wechseln sich mit bezaubernden Szenen ab; dabei erleben wir Zeitsprünge ebenso sehr wie ungewöhnliche Perspektivwechsel. Wo ein gesichtsloser Söldner zuvor jemand war, den wir ohne langes Zögern mit einem Molotowcocktail in Brand gesetzt haben, da wird genau diese Person durch einen Wechsel unserer Spielfigur einige Stunden später zu unserem Freund.

The „Last of Us Part II“ regt auf diese Weise dazu an, unsere grundsätzliche Perspektive auf Gewalt zu ändern. Sie soll keinen Spaß mehr machen. Auf diese Weise überkommt einen in vielen Passagen kein euphorisierendes Gefühl des Sieges, sondern tatsächliches Unbehagen. Und auch unsere Protagonistin entledigt sich wirkungsvoll jeden Klischees: Die homosexuelle Ellie ist weder eine Jungfrau in Nöten, die von einem starken Mann gerettet werden will, noch ist sie eine strahlende Heldin, die nach einem Massaker mit cooler Lässigkeit in die Kamera lächelt. Sie weist eine charakterliche Tiefe auf, die in Computerspielen ihresgleichen sucht – und sie stellt dies zur Schau, in dem sie nach und nach selbst zum eigentlichen Monster wird.

The Last of Us: Es ist auch das Letzte, was von uns genommen werden kann. Was bleibt dann noch übrig? Genau an dieser Frage entzündet sich derzeit der Diskurs über das Spiel. Einen halben Tag nach der Veröffentlichung am vorigen Freitag wurde die Online-Plattform „Metacritic“ mit schlechten Rezensionen für das Spiel überflutet. Die Kommentare überschlugen sich mit politisierten Schlagworten – das Spiel sei ein schamloses Machwerk feministischer Propaganda, die Repräsentation einer lesbischen Protagonistin sei eine Anbiederung an die linke Kulturszene und die Opferung beliebter, männlicher Protagonisten aus dem Vorgänger sei ein Schlag ins Gesicht für die „eigentliche„ Zielgruppe des Computerspiels – heterosexuelle, junge Männer. Über dieses sogenannte „Review Bombing“ geraten tatsächlich valide, inhaltliche Kritikpunkte allerdings völlig ins Hintertreffen. Die Diskrepanz zwischen einem positiven Feedback der Spielejournalisten und der glühenden Ablehnung vieler „Fans“ wird zu einer Grundsatzdebatte, die sämtliche Nuancen eines fruchtbaren Austauschs übertönt.

Bereits 2008 erklärte der Medienwissenschaftler und Game Designer Ian Bogost, dass Computerspiele mehr sein können als nur ein selbstgenügsamer Zeitvertreib. Genau wie wir in einem gut geschriebenen Roman tiefgründige und berührende Geschichten lesen können, so kann ein Buch auch einfach nur als Anregung für neue Kochrezepte dienen. Ebenso können auch Games auf ganz verschiedene Weise für viele verschiedene Zwecke genutzt werden – von einem Hüpfspiel wie „Super Mario“ über einen Heimtrainer wie „Ring Fit Adventure“ zu einem Serious Game wie „Through the Darkest of Times“, das uns auf historisch akkurate Weise einen Widerstand gegen die Nationalsozialisten planen lässt. Das Ende des Konzepts des sogenannten „Gamers“, der Computerspiele nur auf eine ganz spezifische Art und Weise nutzt, so Bogost, sei längst überfällig.

Sieben Jahre, nachdem sich das erste „The Last of Us“ als eine Art Lackmustest für die narrative Originalität des Mediums Computerspiel entwickelt hat, können wir nun konsterniert einige Dinge festhalten. Das Blockbuster-Computerspiel ist fraglos in Bogosts Sinne gereift. Es wendet sich diverseren Figuren zu und verzahnt dabei erzählerische und spielerische Mittel auf innovative Weise miteinander. Es trifft dabei aber auch auf den Teil eines Publikums, das an alten Mustern und vermeintlich „unpolitischen“ Inhalten festhält. Aber: Ist das Bild eines schweigsamen, starken Mannes, der seine schwächere Ersatztochter mit Waffengewalt durch eine feindselig gewordene Welt leitet, nicht bereits selbst politisch? Und ist es nicht möglich, sich als weißer, heterosexueller Mann auch in Rollen hineinzuversetzen, die nicht der eigenen Identität entsprechen?

Solche Fragen bleiben in den online geäußerten Wutausbrüchen unbeantwortet. Und das Spiel ist dabei nicht nur eines der technisch und narrativ beeindruckendsten Spiele unserer Zeit – „The Last of Us Part II“ ist auch ein Trauerspiel.

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