Corona-BerlinaleLiebesroboter und Pornos im Wettbewerb

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Dan Stevens in Maria Schraders Berlinale-Film

Dan Stevens in Maria Schraders Berlinale-Film

Köln – Ein Kinofestival ohne Kino, war hier gestern über die Corona-Berlinale zu lesen, aber so ganz stimmt das nun auch wieder nicht. Immerhin trifft sich die Wettbewerbs-Jury (bis auf Mohammad Rasoulof, dem der Iran die Ausreise verweigerte) in einem Berliner Kinosaal, um gemeinsam Filme zu sichten, und die Produzenten zweier deutscher Wettbewerbsbeiträge führten diese handverlesenen Kritikern auf der Leinwand vor; dafür fehlen die Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian“ und Daniel Brühls Regiedebüt „Nebenan“ im offiziellen Berlinale-Stream.

So könnte dieses Jahr ein Film den Goldenen Bären gewinnen, den außer der Jury nur der geringste Teil der Berichterstatter gesehen hat. Im Sinne der Berlinale kann das eigentlich nicht sein, insbesondere wenn man sich fragt, welcher Vorteil darin liegen soll, das Wenige an öffentlicher Wahrnehmung, das Deutschlands wichtigstes Filmfestival in der Corona-Pandemie erzeugt, noch künstlich zu verknappen.

Maria Schrader bekam erst kürzlich einen Emmy verliehen

Von den vier deutschen Filmen im Berlinale-Wettbewerb konkurrieren vorerst also nur zwei um die Gunst der öffentlichen Meinung. Der erste ist „Ich bin dein Mensch“ von Maria Schrader, und es ist erstaunlich, wie leicht die frisch mit einem Emmy geehrte Regisseurin das Publikum für sich gewinnt. In ihrer romantischen Zukunftskomödie (die allerdings im heutigen, stets fotogenen Berlin spielt) findet sich eine Altertumsforscherin unter den Testpersonen wieder, die Gutachten zu einer neuen Spezies Liebesroboter erstellen soll.

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Auf den ersten Blick scheint Alma (Maren Eggert) für die Aufgabe denkbar ungeeignet: Sie hat gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich, mit der Liebe abgeschlossen und ist außerdem zu intelligent für das romantische Standardprogramm. Außerdem ist Tom (Dan Stevens) anfangs zu sehr beflissener Diener, um dem versprochenen „perfect match“ auch nur nahe zu kommen. Aber seine künstliche Intelligenz lernt schnell, und schon bald beginnt Tom, bei Alma die richtigen Knöpfe zu drücken.

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Das Ganze ist tatsächlich so formelhaft, wie es hier klingt, aber gerade darin liegt selbstredend der doppelbödige Reiz des Films – den Algorithmus, der Maren Eggert und Dan Stevens zusammen brachte, sollten die Produzenten jedenfalls gut abspeichern. Stevens verleiht einer im Grunde unmöglichen Figur die nötige Prise Unbeholfenheit, um überzeugend menschlich zu wirken, und Schrader, die das Drehbuch mit verfasste, kann sogar seinen Akzent mit einem Witz erklären: „Du wolltest etwas leicht Fremdes, aber nichts exotisches haben – einen Briten eben.“

An die Grenzen des Konzepts stößt Schrader freilich beim philosophisch-futuristischen Kern der Handlung: Wer stellt sich schon ernsthaft die Frage, ob man mit künstlicher Intelligenz glücklich werden kann, wenn einem die Algorithmen von heute täglich vorführen, wie wenig sie ihre Menschen kennen? Auch Netflix weiß herzlich wenig über uns, außer vielleicht, dass sich ein Film wie „Ich bin dein Mensch“ ganz wunderbar versenden ließe.

Katia Pascariu in Radu Judes Wettbewerbsbeitrag

Katia Pascariu in Radu Judes Wettbewerbsbeitrag

Bei Radu Judes Wettbewerbsbeitrag „Bad Luck Banging or Looney Porn“ fühlt man sich hingegen zunächst wie in jenem Kino, in dem einst die Pariser Surrealisten heimlich einen Familien- durch einen Pornofilm ersetzen wollten. Ohne Vorwarnung springen einen die Akteure eines expliziten Heimvideos an, man sieht und hört das volle eheliche Programm mitsamt Großmutter, die sich draußen vor der Schlafzimmertür über das Enkelkind beklagt. Jude führt hier gleichsam ein Beweisstück ein, denn der private Porno geistert zum Verdruss der Hauptdarstellerin schon bald durchs Internet und könnte der Lehrerin einer angesehenen Schule die Stellung kosten.

Im ersten Teil des Films verfolgt Jude seine unfreiwillige Heldin Emi (Katia Pascariu) mit bewundernswerter Konsequenz durch die Straßen Bukarests und lässt die dabei eingefangenen, beinahe dokumentarischen Bilder für sich selbst sprechen. Die ganze Stadt tönt wie ein einziges, von Verkehrslärm unterlegtes und von Schimpftiraden unterbrochenes Hupkonzert, und auch visuell erscheint Bukarest als durchkomponierte Zumutung. Immer wieder bleibt die Kamera an schäbigen Details im Stadtbild hängen, vermutlich bräuchte es nicht einmal die Corona-Pandemie, um die hier lebenden Menschen an den Rand des alltäglichen Wahnsinns zu bringen. Alles ist Lärm, Gemeinheit und die Ahnung des nahen Todes, ein ansteckendes Gemisch, in dem man sich auf perverse Weise gut aufgehoben fühlt.

Groteske über die rumänische Gesellschaft

„Bad Luck Banging or Looney Porn“ geht als einziger „echter“ Coronafilm ins Bärenrennen, lässt die Pandemie aber nicht als Entschuldigung gelten. Auf Emis Spaziergang folgt eine alphabetisch geordnete Sammlung filmischer „Anekdoten“, die sich zu einem sarkastischen Porträt der Menschen im Allgemeinen und Judes rumänischer Heimat im Speziellen fügen. Es ist eine historische Lektion in Kuriositäten und Niederträchtigkeit, Schlaglichter auf Massenmörder und andere Volkshelden runden die Sache ab. Spätestens beim abschließenden dritten Teil fragt man sich dann allerdings, warum Jude seiner eigentlichen Geschichte so wenig vertraut, dass er auf seine „Anekdoten“ noch eine „Sitcom“ folgen lässt. In dieser muss sich Emi vor einem Tribunal empörter Eltern rechtfertigen, die zugleich ein Querschnitt der rumänischen Gesellschaft sind.

Das ist mitunter wirklich komisch, aber leider nur, solange sich die Heuchler und „Querdenker“ in all ihrer Lüsternheit produzieren können. Wenn Jude den Prozess in ein politisches Lehrstück für mehr Anstand und Aufklärung verwandelt, hört mit dem Spaß zusehends auch die Filmkunst auf.

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