Das Sehen wird schärfer gestellt

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Gummistiefel, Outdoor-Kleidung, Taschenlampen, Ferngläser und ein Moskitonetz – nach dem Besuch dieser Ausstellung möchte man am liebsten in die Wildnis aufbrechen. Mark Dion stellt in der Kölner Galerie Nagel Draxler bereits zum siebten Mal aus. Der 1961 geborene Amerikaner weiß auch diesmal mit der Schau „To Watch, to Cut, to Capture, to Kill, to Collect“ die Erwartungshaltung des Besuchers lustvoll zu unterwandern.

Man mutiert sofort zum Kind und möchte die vielen im Regal hochgestapelten Schachteln der Installation „Memory Box“ öffnen, neugierig darauf, welche Schätze sie preisgeben könnten, wären da nicht die Objekte nebenan, die zu einer offenbar gefährlichen Expedition einladen, Messer und Gewehrpatronen, die eine Tötungsabsicht vermuten lassen. Die museal anmutenden Schränke wiederum, die verdächtig penibel sortiert sind, geben einen Hinweis auf den Besitzer der Utensilien, den Typus des „Amateur Naturaliste“ nämlich, so der Titel der Installation, der die Natur so lange in Einzelteile zerlegt, bis sein nach Kategorien geordnetes Archiv keine Frage mehr offenlässt.

Hat man es hier mit der Parodie eines Sammlers zu tun? Der seinen Besitzdrang, ob nach Tiertrophäen oder Kunst, mit dem Bedürfnis nach Wissen kaschiert? Oder doch eher mit einer Liebeserklärung an die unendlichen Weiten der Naturwissenschaften, die jedes noch so bedeutungslose Phänomen zu erklären versuchen?

Was hat aber diese unförmige Spielzeugschlange in einem Glasschrank zu suchen? Repräsentiert sie ein Echo aus einem Kuriositätenkabinett? Und der Plastikbär in dem mit Perlenketten und Uhren vollgefüllten Eimer? Ist dieser Mitbringsel-Kitsch so wertvoll, dass man ihn institutionell schützen muss? Fragen nach der Berechtigung von Hierarchien und Klassifizierungen, nach dem Umgang des Menschen mit Tieren und Landschaften treiben Dion seit den 1980er Jahren um. Er gibt sie an uns weiter, stets mit einem humorvollen Augenzwinkern, aber auch der Aufforderung, dem Schein der Dinge keinen Glauben zu schenken: Was hat sich im Laufe von Jahrhunderten in unserer Wahrnehmung verändert, und wie beurteilen wir heute eine Kulturpraxis wie das Jagen? Sind Museen als „Zeitkapseln“ notwendig, um historische Weltsichten zu spiegeln? Neue Blicke auf vermeintlich Unverrückbares sind hier gefragt, zum Beispiel auf den Nutzen eines Ausflugs ins Grüne. Auch das ein unvermeidbarer Teil von Dions Kunstkonzept. (Preise: 700 bis 100 000 Euro)

Wem die grüne Monokultur von Gras und Baumblättern dann doch zu einseitig ausfällt, sollte einen Abstecher zur Kölner Neugründung der Galerie Alber wagen. „#1026“, so der Titel der Doppelausstellung der Berliner Künstler Christian August und Jorinde Fischer, stillt wahrlich den Hunger nach der Strahlkraft von Farbe, ohne sie an die gegenständliche Welt zu binden Der 1977 geborene, aus der Graffiti-Szene kommende August hat eine Vorliebe für kräftiges, satt aufgetragenes Blau, das er mit abstrakten, wild wuchernden Linien konterkariert und einprägsamen Titeln wie „Urban Chic“ oder „White Tinnitus“ aufpeppt. Die dreizehn Jahre jüngere Fischer, Meisterschülerin von John Bock, verwendet banale Materialien wie Latex, Gummi, Schaumstoff oder Textilien, die dank ausgeprägter Elastizität dem Raum ihren Stempel aufdrücken, je nach Ausdehnung, Straffung und Belastung. Dabei erweist sich signalträchtiges Rot als Farbe der Stunde. Eigentlich erstaunlich, dass sich Assoziationen an Körper und Blut nicht einstellen mögen. Eher schon an Feuer, das sich an imaginären Fenstervorhängen hoch bewegt, um sich rasant auszubreiten. Aber auch Silber und Rosa bekommen Auftritte auf Faltenlandschaften, die etwas zu verhüllen scheinen, das Gefahr bedeuten könnte.

Auch wenn die beiden Positionen nicht wirklich in Dialog treten, versprühen sie jeweils genug Spannung, um daran zu erinnern, dass die Poesie von Farbauftrag, Linie und Flächen den atmosphärischen Ton eines ungleichen Duetts derart bereichern kann, dass man beim Hinausgehen das Sehen und Erkennen schärfer gestellt glaubt. (Preise: Jorinde Fischer: 3300 bis 3900 Euro; Christian August: 3000 bis 10 000 Euro) Galerie Nagel Draxler, Elisenstr.

4-6, Köln, Mi.-Fr.11-18 Uhr, Sa. 11-16 Uhr, bis 29. Juni. Galerie Alber, Am Römerturm 15, Köln, Do.-Sa. 12-19 Uhr, bis 5. Juli.

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