Die Erfindung des Katholizismus„Am Ende schauen die Katholiken immer auf den Papst“

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Papst Johannes der XXIII. eröffnet am 11.10.1962 im Petersdom in Rom das Zweite Vatikanische Konzil.

  • Hubert Wolf ist Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Münster.
  • Im Interview erklärt er, warum es die römisch-katholische Kirche, wie wir sie kennen, erst seit etwa 150 gebe und welche Veränderungen sie in ihrer jüngeren Geschichte durchgemacht hat.
  • Über die Rolle von Tradition, die vermeintliche Unfehlbarkeit des Papstes und die Veränderbarkeit der Kirche.

Herr Professor Wolf, das Christentum gibt es seit 2000 Jahren. Sie sagen nun, die römisch-katholische Kirche, wie wir sie kennen, sei erst 150 Jahre alt. Wie kommen Sie auf diese Zeitrechnung? Hubert Wolf: Wir haben es heute mit einem auf den Papst konzentrierten Einheitskatholizismus zu tun. Bis weit ins 19. Jahrhundert aber war die römische Kirche genau das, was das Wort „katholisch“ eigentlich sagt: umfassend, vielfältig. Es gab nicht „den“ Katholizismus. Vielmehr bestanden zahlreiche verschiedene Modelle legitim nebeneinander. So gab es im 19. Jahrhundert ganz selbstverständlich aufgeklärte, fortschrittliche Katholiken und restaurative Kräfte. Es gab Romantiker und Pragmatiker, die sich mit den aufkommenden Nationalstaaten arrangieren wollten. Und dann gab es die Gruppe der sogenannten Ultramontanen, die „über die Berge“ nach Rom schauten, und die Kirche allein beim Papst gut aufgehoben sahen. Diese Partei übernahm im Langzeitpontifikat Papst Pius IX. zwischen 1846 und 1878 die alleinige Macht, indem sie alle anderen Gruppen verketzerte.

Warum?

Nach der „Katastrophe“ der Französischen Revolution suchten die Ultramontanen für die Kirche eine neue Identität und fanden sie in der Tradition. Im Grunde ist das der klassische Versuch von Gruppen und Institutionen, die Gegenwart durch Rückgriff auf die eigenen Ursprünge abzusichern. Wenn aber die dafür gewünschten Inhalte in der Tradition fehlen, dann phantasiert man sie sich kurzerhand hinzu und gibt sie als uralt aus.

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Zur Person

Hubert Wolf, geb. 1959, ist Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er ist einer der prominentesten Vertreter seines Faches. Mit seinen Büchern unter anderem über die Römische Inquisition, den „Index der verbotenen Bücher“, die Geschichte des Konklaves zur Papstwahl oder des Zölibats waren Bestseller. Wolf gehört dem Wissenschaftlichen Beirat des Archivs der römischen Glaubenskongregation an und ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).

Zuletzt erschien von ihm:

Der Unfehlbare. Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert, C.H. Beck Verlag München, 432 Seiten, 28 Euro.

Mit Hilfe des Konzepts einer „Erfindung von Tradition“ (Eric Hobsbawm) zeige ich das für die katholische Kirche auf: Vieles von dem, was wir heute für „immer schon katholisch“ halten, ist eben gerade erst 150 Jahre alt und hat manchmal nur wenig mit den Ursprüngen des Christentums und einer vermeintlichen Unveränderlichkeit von Glauben und Lehre zu tun. Einen unfehlbaren Papst zum Beispiel gibt es auch erst seit 150 Jahren.

Seit dem Dogma auf dem Ersten Vatikanischen Konzil von 1870. Wie passt der Mosaikstein der Unfehlbarkeit in das Gesamtbild der kirchlichen Entwicklung seit der Französischen Revolution?

Hinter dem Reizbegriff Unfehlbarkeit treten oftmals zwei – im Grunde weitaus folgenschwerere – Neuerfindungen des 19. Jahrhunderts zurück: der Jurisdiktionsprimat und das „ordentliche Lehramt“ des Papstes.

Was bedeutet das?

Der Jurisdiktionsprimat erlaubt es dem Papst, überall auf der Welt direkt und unmittelbar in die Kompetenz der Bischöfe hineinzuregieren. Seit Pius IX. sind die Bischöfe zu Oberministranten des Papstes degradiert und die Gläubigen zu unmündigen Kindern des Heiligen Vaters. Denn die Theorie vom „ordentlichen Lehramt“, von dem vor Pius IX. und seinem Chefideologen Joseph Kleutgen nie jemand etwas gehört hatte, besagt: Allem, was die Päpste, auch ohne die Unfehlbarkeit in Anspruch zu nehmen, zu diesem oder jenem Thema kundgetan haben, müssen die Gläubigen „in kindlichem Gehorsam“ zustimmen. Diese Machtfülle hat aber als Kehrseite eine entscheidende Schwäche.

Welche Schwäche?

Kein Papst kommt mehr ohne Weiteres von dem herunter, was seine Vorgänger alles an – Entschuldigung! – Unsinn von sich gegeben haben. Sonst müsste er ja zugeben, dass es den Vorgängern am Heiligen Geist gefehlt hat. 1968 gab genau dieses Dilemma den Ausschlag, dass Papst Paul VI. (1963 bis 1978) am Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung festhielt, weil er Pius XI. (1922 bis 1939) und dessen Ehe-Enzyklika von 1930 nicht korrigieren wollte. Nur wegen dieser Kontinuitätsfiktion verlangt die berühmt-berüchtigte Pillen-Enzyklika „Humanae Vitae“ von erwachsenen Katholikinnen und Katholiken im Bett den „kindlichen Gehorsam“.

Und heute?

Erleben wir das Gleiche. Ganz aktuell beansprucht eine päpstliche Instruktion, den Bischöfen überall auf der Welt vorschreiben zu können, wie sie ihre Pfarreien zu organisieren haben. Da geht es um die ureigene Domäne der Bischöfe, in die der Papst knallhart hineinregiert, weil der Jurisdiktionsprimat es ihm zu erlauben scheint.

Aber hat Papst Franziskus mit der Betonung des „synodalen Prinzips“ und der Subsidiarität in der Kirche nicht ganz andere Akzente gesetzt?

Das ist bloßes Wortgeklingel, so lange es keine praktischen Folgen hat. Was wir im Moment erleben, sind vage Hoffnungen auf „synodale Wege“, die aber schon am Ende sind, bevor sie richtig losgehen. Kann man engagierten Christinnen und Christen wirklich zumuten, weiter Lebenszeit und Energie für etwas einzusetzen, von dem mehr und mehr klar wird, dass schon bei den kleinsten Schritten Rom dazwischen grätscht?

Zahlreiche Bischöfe haben jetzt ihr Missfallen über das römische Dokument zu den Pfarreien bekundet und gesagt, dass sie an den bewährten Formen der Gemeindeleitung – auch unter Beteiligung der Laien – festhalten wollen.

Aber warum gehen die Kerle dann nicht gemeinsam nach Rom und sagen dem Papst: „So nicht! Du möchtest Synodalität? Du möchtest Subsidiarität? Gerne – aber dann bitte nicht nur in Worten, sondern auch in Taten!“ Bischöfe als Nachfolger der Apostel müssten den Mut zum Widerstand haben und den Papst beim Wort nehmen.

Was hieße, den Papst beim Wort zu nehmen?

Wenn Franziskus zufolge „Subsidiarität“ und „Synodalität“ in der Kirche gelten sollen, dann ist der absolutistische Jurisdiktionsprimat weg. So einfach ist das. Und wenn der Papst in der neuesten Ausgabe des offiziellen vatikanischen Staatshandbuchs die früher gebräuchlichen Amtsbezeichnungen des Papstes wie „Stellvertreter Christi“ oder „Nachfolger des Apostelfürsten Petrus“ als „historische Titel“ in eine Fußnote verbannt, dann macht er selbst die Unfehlbarkeit zu einer Fußnote. Denn die Dogmen der Unfehlbarkeit und des Primats nehmen genau auf diese Titel Bezug und gründen sich auf ihnen.

Also könnte das unfehlbare Papsttum auch wieder fehlbar werden?

Die Fehlbarkeit der Päpste in Glaubensfragen ist eine historische Tatsache. Über Jahrhunderte hinweg musste der neugewählte Papst bei seiner Amtsübernahme falschen Thesen eines seiner Vorgänger, Honorius I. (625 bis 638), der in einer Frage der Christologie häretisch gelehrt hatte, ausdrücklich abschwören.

Doch dann kamen die Erfinder der päpstlichen Unfehlbarkeit und dachten sich eine neue Geschichte aus. Sie wollten nicht etwa Restauration, sondern etwas ganz Neues. Sie taten aber so, als ob es etwas ganz Altes wäre. In einem ersten Schritt schoben sie dem Konzil von Trient (1547 bis 1563) Aussagen unter, die diese Bischofsversammlung nie gemacht hatte. Und dann wurde ihnen mit der Wahl Pius IX. ein Papst geschenkt, der sich perfekt als Projektionsfläche eignete. Jetzt erfanden sie einen neuen Papst – den unfehlbaren und den charismatischen Papst.

Warum bot sich dafür gerade Pius IX. an?

Pius musste in Wahrheit gar kein Charismatiker sein, der er tatsächlich auch gar nicht war. Es genügte völlig, dass die Leute ihn als einen solchen ansahen. Dieser Trick hatte schon in den ersten Amtsjahren des Papstes funktioniert, als die Italiener ihn als Liberalen und Lichtgestalt der nationalen Einigungsbewegung feierten – ein teils bewusstes Missverständnis, denn Pius war nie ein Liberaler. Aber so lange es eben ging, fand er Gefallen daran, von seinen Landsleuten geradezu geliebt zu werden.

Nach den Wirren des Revolutionsjahrs 1848 war es damit vorbei. Dafür wurde der Papst jetzt zur Identifikationsfigur für einen geschlossenen katholischen Kampfverband gegen die „Pestilenz“ der Moderne, gegen das „Übel“ der Wissenschaften, gegen „Teufelszeug“ wie Gewissens- und Pressefreiheit. Sich all diesen Entwicklungen mit Überzeugung und gutem Gewissen verweigern zu können, setzte aber die vollständige Gewissheit über die eigene Position voraus. Garant dafür war der Papst, von dem ein Bischof auf dem Ersten Vatikanischen Konzil sagte: Wenn der Papst denkt, dann denkt Gott in ihm.

„Die Tradition bin ich“, so hat es Pius IX. 1870 selbst gesagt.

Ein ungeheuerlicher Satz. Die Konzentration der Tradition auf eine Person, das ist nochmal ein ganz anderes Kaliber als beim französischen König Ludwig XIV. mit seinem Autoritätsverständnis „der Staat bin ich“. Vom Konzil von Trient her gedacht, hat Pius IX. mit dem Satz „Die Tradition bin ich“ nichts weniger als eine Häresie formuliert.

Trient hatte die lebendige Tradition der Kirche als höchste Autorität zusammen mit der Heiligen Schrift hochgehalten. Gegen die Konzentration der Protestanten auf die Heilige Schrift als alleinige Quelle der Wahrheit hielt das Konzil als katholische Grundüberzeugung fest: Die Kirche muss immer wieder neu eine Verbindung von ihren Ursprüngen vor 2000 Jahren zur Gegenwart herstellen. Das Konzil von Trient konzipierte Tradition als Entwicklung im Wandel der Zeit. 1870 nun wurde dieser lebendige Strom stillgelegt, mit Stahlbetonwänden aufgestaut und eingedämmt. Von einem Film der Überlieferung ist ein Standbild übrig geblieben. Bis heute.

Die Vorstellung, ein Mensch könnte tatsächlich etwas sagen, was garantiert nie und nimmer falsch sein kann, klingt für den unbefangenen Hörer im wahrsten Sinne des Wortes unglaublich.

So haben es schon zeitgenössische Gegner des Unfehlbarkeitsdogmas wahrgenommen. Dass Bischöfe von einem Tag auf den anderen etwas für wahr halten sollten, was tags zuvor noch als falsch gegolten hatte, bezeichneten manche von ihnen als „sacrificum intellectus“, als ein Verbrechen gegen den eigenen Verstand. Zudem war den Gegnern, zu denen übrigens vier Fünftel der deutschen Bischöfe gehörten, klar, dass sich die Kirche mit dem Anspruch des Papstes auf Unfehlbarkeit komplett aus allen vernünftigen Diskurs-Zusammenhängen verabschieden würde. Sie wussten: Wir machen uns lächerlich, wir machen uns unmöglich. Und sie warnten davor, mit den notwendig zeitbedingten Mitteln der menschlichen Sprache ewige Wahrheiten formulieren zu wollen, obwohl dazu gar keine Notwendigkeit bestand.

Keine Notwendigkeit?

Dogmen wurden in der Kirchengeschichte immer nur im äußersten Notfall verkündet, wenn nämlich bestimmte Glaubensinhalte so angegriffen wurden, dass das Heil der Gläubigen auf dem Spiel stand. Was die Autorität des Papstes betrifft, bestand diese Gefahr im 19. Jahrhundert nicht im Mindesten. Man könnte im Gegenteil sagen: Nie war er so hoch verehrt wie damals. Deshalb war es ein schwerer taktischer Fehler, dass die Gegner der Unfehlbarkeit diese in Zweifel zogen. Dadurch wurde sie zum Streitfall – und damit erst konnte der Ruf nach einer Entscheidung des Papstes verfangen.

Können Sie persönlich mit dem Konzept der Unfehlbarkeit denn irgendetwas Positives verbinden?

Auf den Glauben sollte Verlass sein. Psychologisch ist das ein sehr verständlicher Wunsch. Deshalb versucht die Kirche als Glaubensgemeinschaft, zentrale Sätze ihres Bekenntnisses abzusichern. Die Kompetenz hierfür stand 1870 übrigens überhaupt nicht in Frage. Kein Vertreter der Minderheit auf dem Ersten Vatikanischen Konzil hatte ein Problem mit der Unfehlbarkeit: Natürlich lässt Gott seine Kirche in den wesentlichen Fragen des Glaubens nicht in die Irre gehen. Gott lässt die Seinen nicht im Stich. Deshalb ist die Kirche unfehlbar – aber eben nicht der Papst alleine ohne die Zustimmung der Kirche.

Aber folgt aus allem, was Sie gesagt haben, nicht auch: Was heute als Glaubenswahrheit ausgegeben wird, kann morgen wieder falsch sein?

Natürlich, denn auch Päpste haben allen Kontinuitätsfiktionen zum Trotz die Lehre der Kirche immer wieder geändert. Gleichzeitig aber haben die Päpste seit Pius IX. den Geltungsbereich der Unfehlbarkeit immer weiter auszudehnen versucht. So heißt es zum Beispiel, Papst Johannes Paul II. (1978 bis 2005) habe 1994 kraft seines ordentlichen Lehramts den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt letztverbindlich festgestellt. Dafür hätte er allerdings die Zustimmung sämtlicher Bischöfe weltweit einholen müssen. Ich mag nur ein dummer Historiker sein: Aber ich hätte schon gern einmal die Belege dafür gesehen, dass der Papst das getan hat, was er mindestens hätte tun müssen, um Geltung und Gefolgschaft für seine Position verlangen zu können.

Haben Sie Beispiele für Änderungen der kirchlichen Lehre?

Die Feuerbestattung: Für Katholiken seit der Zeit Karls des Großen unter Androhung von Höllenstrafen verboten, 1963 für zulässig erklärt und heute vielerorts fast schon die Regel. Oder die Nüchternheit vor dem Kommunionempfang: Bis 1966 strengstens vorgeschrieben, danach mir nichts, dir nichts gestrichen. Die Todesstrafe: Bis 2018 ein legitimes Instrument der Strafverfolgung in der Hand des Staates, dann von Papst Franziskus für unvereinbar mit christlichen Grundwerten erklärt. Ein so konservativer Papst wie Pius XII. (1939 bis 1958) erklärte 1947 schlicht: „Jeder weiß doch, dass die Kirche das, was sie festgelegt hat, auch verändern und abschaffen kann.“ Also bitte, deutlicher geht es doch nicht.

Es lägen also die Modelle bereit, um aus der Erstarrung wieder in die Bewegung zu kommen?

Wenn man bereit wäre, das anzuerkennen, was der Kirche bis vor 150 Jahren heilig war: die große Freiheit, die Vielfalt im Glauben. Selbst im Kirchenrecht, das heute als Inbegriff der Starrheit gilt, war es über Jahrhunderte Prinzip, eine ganze Bandbreite von Lösungen nebeneinander zu stellen, als, wie es wörtlich über der maßgeblichen Fallsammlung steht, „Concordantia disconcordantium“, eine Vereinbarung von Unvereinbarkeiten. Doch dann kam im Gefolge des Ersten Vatikanischen Konzils und des päpstlichen Machtanspruchs der Codex des kanonischen Rechts (CIC) von 1917, der alles auf ein päpstliches Einheitsrecht reduziert hat. Im Grunde gilt es bis heute – was die Überwindung des Einheitskatholizismus zusätzlich erschwert.

Der 1870 angerührte Beton scheint sehr dauerhaft zu sein.

Ja, und was mir dabei immer wieder auffällt, nicht zuletzt bei mir selbst: Am Ende schauen die Katholiken immer auf den Papst, auch wenn sie es eigentlich gar nicht wollen. Das zeigt die Wirkmächtigkeit der Papst-Erfindungen des Jahres 1870. Sie sind stärker als die 1800 Jahre Kirchengeschichte zuvor – und anscheinend fast wirkmächtiger als das Evangelium selbst. Sie hatten aber auch eine Dauerkrise zur Folge, die heute sichtbarer wird denn je. Das unter Pius IX. erfundene Papsttum funktioniert nämlich nur als charismatische Herrschaft.

Fehlt es dem Papst an Charisma, ist das Papsttum am Ende?

Der bloße Rückgriff auf die Amtsautorität ohne persönliches Charisma greift nicht mehr. Das hat man im Übergang vom Super-Charismatiker Johannes Paul II. zu Benedikt XVI. überdeutlich gesehen. Der Mensch Joseph Ratzinger verschwand zusehends hinter dem Amt und den immer üppigeren Papstgewändern. Trotzdem, oder gerade deshalb, war sein Pontifikat zum Scheitern verurteilt. Es gibt kein Zurück mehr in die traditional-funktionale Amtsbegründung. „Nachfolger des Petrus“ zu sein – das allein hilft dem Papst nicht mehr. Er ist Papst als Charismatiker – oder er ist nicht Papst.

Aber Papst Franziskus ist doch wieder ein Charismatiker.

Dennoch krankt erkennbar auch sein Pontifikat. Franziskus hat den Versuch einer Gegeninszenierung unternommen – mit einem nicht an seinen Vorgängern, sondern am heiligen Franz von Assisi orientierten Charisma. Aber dann, dann ist fast gar nichts mehr gekommen. Und inzwischen spielt das System mit dem Papst, nicht der Papst mit dem System.

Gibt es ein Entkommen aus dieser Lage?

Dogmatisch nicht, sondern – ich wiederhole mich – nur mit der Bereitschaft, die historische Bedingtheit kirchlicher Lehren anzuerkennen und diese den Erfordernissen der Gegenwart anzupassen, wie es mehr als 1800 Jahre der Fall war – bis zu dem Tag vor 150 Jahren, an dem der Papst unfehlbar wurde. Tradition oder Traditionalismus, das ist die hier die Frage. Und für die Kirche ist es die Existenzfrage.

Das Gespräch führte Joachim Frank

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