Die Filmkunst als Lebensmittel

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In der Riege der legendären Filmredakteure des WDR war er die graue Eminenz. Werner Dütsch genoss ungeteilten Respekt. Er war ein Filmvermittler mit Leib und Seele, das Kino nannte er sein „Lebensmittel“. Geboren 1939 in Düsseldorf, gehörte Dütsch zur einer Generation, die mit amerikanischen und deutschen Filmen sozialisiert wurde und später den Grundstein zu einer filmkundlichen Publizistik in Deutschland legten. Die Technicolor-bunten Abenteuerfilme seiner Kindheit in Marl ließ er noch 2016 erstrahlen im Erinnerungsbuch „Im Banne der roten Hexe“. Seine unzähligen eigenen Filmarbeiten, die er als Redakteur und Autor in 30 Jahren beim WDR verwirklichen konnte, waren eine Schule des Sehens: Ersten grundlegenden Porträts über Filmpioniere wie Ernst Lubitsch, Fritz Lang oder Sergei Eisenstein folgte eine Grundlagenforschung zur Kultur- und Sozialgeschichte des bewegten Bildes.

Erst im vergangenen März eröffnete das Museum Ludwig eine ganze Ausstellung über die von ihm produzierte Dokumentarserie „Filmemigration aus Nazideutschland“ (1975) und ihren Autor Günter Peter Straschek. Zu einer Zeit, als sich in Deutschland keine öffentliche Institution dafür interessierte, schickte Dütsch ein Filmteam in die USA, um 50 verfolgte Filmkünstler zu interviewen. Es sind unschätzbare Dokumente, wie das meiste, das im WDR-Archiv unter seinem Namen gelistet ist.

Dütsch war maßgeblich für die Karrieren der Filmessayisten Harun Farocki und Hartmut Bitomsky. Als Dozent an der Kölner Kunsthochschule für Medien vermittelte er Filmgeschichte und betreute studentische Arbeiten. Ebenso förderte er die amerikanische Filmavantgarde.

Am Dienstag der vergangenen Woche ist Werner Dütsch im Alter von 79 Jahren gestorben. „Er war einer der bedeutendsten Menschen in meinem Leben, ein sehr liebenswerter Mann“, kommentierte der amerikanische Filmemacher Mark Rappaport auf Facebook. Sein Kollege James Benning ergänzte: „Er unterstützte viele meiner Filme. Er war eine intelligente, liebe Seele.“ Für seinen späteren Kollegen an der KHM, den Filmkünstler Matthias Müller, hatte Dütsch „einen entscheidenden Einfluss auf meine Filmerziehung als Teenager“.

Dütsch, der seine markante Kommentarstimme gelegentlich auch anderen lieh, waren Geschichte und Gegenwart des Kinos untrennbar. Seine besondere Liebe gehörte dem frühen Stummfilm, dessen puristische Ästhetik und Modernität er auch im zeitgenössischen Avantgardefilm wiederfand.

Nun kann man nur hoffen, dass die Produktionen der WDR-Filmredaktion archivarisch gesichert werden. Selbstverständlich ist das nicht – die originalen Sendebänder der WDR-Filme von Günter Peter Straschek wurden bereits vernichtet. Unter der Intendanz von Tom Buhrow, der bereits die Kunstsammlung des Senders veräußerte, ist Filmgeschichte nahezu aus dem Programm verschwunden. Und was erst unsichtbar geworden ist – das lehrt die Geschichte immer wieder – muss auch physisch um sein Überleben fürchten.

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