Abo

Die Liebe ist ein blinder Spiegel

Lesezeit 4 Minuten

Seit mehr als 50 Jahren hat Wien keinen neuen „Rosenkavalier“ gesehen. An der Staatsoper wird immer noch Otto Schenks legendäre Inszenierung von 1968 gezeigt. Nun hat die Wiener Volksoper für 2021 eine Neuproduktion angekündigt: Keine geringe Ehre für den Regisseur Josef Ernst Köpplinger, der mit der Inszenierung betraut wurde. Und keine geringe Ehre für die Oper Bonn, die diese Inszenierung im Rahmen einer Koproduktion nun schon zwei Jahre zuvor zeigen darf.

Köpplinger ist vor allem als Operetten- und Musicalregisseur bekannt geworden. Der Österreicher gilt weniger als konzeptfreudiger Erneuerer denn als metiersicherer Praktiker, als Mann des sauberen Handwerks und des sicheren Timings.

Seinem Bonner „Rosenkavalier“ ist das deutlich anzumerken. Die fürstliche Morgenaudienz und die finale Spelunkenszene sind souverän und einfallsreich durchkonstruiert. Man freut sich an zahllosen schönen Details – etwa an der Ohrfeige, durch die der gerügte Friseur seinen Frust an den schuldlosen Gehilfen weiterreicht. Oder daran, dass die im Käfig vorgeführten exotischen Viecher zur Unzeit ihre Notdurft verrichten. Wo Richard Strauss’ Musik ihren Vorrang behauptet, nimmt sich Köpplinger aber auch deutlich zurück – so stehen die drei Damen im Schlussterzett so felsenfest links, rechts und in der Mitte wie eh und je.

Alles zum Thema Musik

Im Grunde ist das alles alte Schule; es fällt nur nicht so auf, weil Köpplinger und sein erfahrener Bühnenbildner Johannes Leiacker das Stück weitgehend aus seinem Milieu, seinem historischen Kontext lösen. Das Wien der Kaiserin Maria Theresia ist eigentlich nur noch in den Kniebundhosen präsent, die der Brautwerber Octavian bei der berühmten Überreichung der silbernen Rose trägt. Ansonsten verweisen die Kostüme vage auf das frühe 20. Jahrhundert, vom Cut über den Straßenanzug bis zur Krachledernen.

Fast gänzlich von allen Rokoko-Reminiszenzen befreit ist Johannes Leiackers Bühnenbild, in dem je vier hohe, drehbare Türme zwei diagonal aufgestellte Wände bilden. Darauf sieht man charakteristische Bildmotive (etwa ein Rosenbouquet und ein Vanitas-Stillleben mit Totenschädel), die sich aber immer wieder zu angelaufenen, blinden Spiegelflächen verdrehen.

Sie umgeben das fürstliche Schlafzimmer des ersten Aktes ebenso wie den großbürgerlichen Salon des zweiten; der alte Adel ist hier ebenso schäbig dargestellt wie das neue Geld. Um den Epochenwandel, den das Stück zumindest hintergründig andeutet, geht es Köpplinger also offenbar nicht, eher um Zeitlichkeit, Alter, Verfall.

Dafür steht im „Rosenkavalier“ vor allem die Figur der Feldmarschallin, die sich von Anfang an bewusst ist, dass sie ihren jugendlichen Geliebten Octavian bald an eine Jüngere verlieren wird. Bei Martina Welschenbach scheint dieses Problem denkbar weit entfernt: Als blond gelockter Vamp schält sie sich zu Beginn aus dem Lotterbett; mädchenhaft hell klingt die Stimme, die vor nicht allzu langer Zeit noch im lyrischen Koloraturfach glänzte. Sängerisch ist an dieser Leistung nichts auszusetzen, aber man glaubt Welschenbach die Figur nicht recht, auch wenn der Regisseur sie im Schlussakt um 30 Jahre altern lässt.

Ihr Cousin und Gegenspieler, der Baron Ochs auf Lerchenau, ist in Bonn mit Franz Hawlata denkbar prominent besetzt. Bis an die MET hinauf hat der Bayer dem vor Standesdünkel und übergriffiger Virilität strotzenden Landadeligen Stimme und Gestalt geliehen. Mitunter klingt sein Bass schon ein bisschen hohl, auch ist fraglos viel Schablone in der Darstellung – aber Hawlatas Sinn für Pointen und sein unverwüstliches Komödiantentum sind eine sichere Bank für jede Inszenierung. Die schwedische Mezzosopranistin Emma Sventelius legt die Titelrolle mit Jugendfeuer und drangvoller Emphase an; Louise Keményi (Sophie) besticht durch ihre feine lyrische Stimmfärbung und musikalische Differenzierung. In der Rosenüberreichung lässt der Regisseur ihre wechselseitige, von Strauss so genial illustrierte Faszination leider allzu sehr in linkischer Befangenheit stocken. Sängerisch ist die Szene indes exzellent gestaltet, ebenso wie das Schlussduett, das Josef Ernst Köpplinger in ein nächtliches Schneetreiben hüllt – als sei die Musik alleine noch nicht verzuckert genug.

Giorgos Kanaris überzeugt als herrischer Brautvater Faninal ebenso wie Yannick-Muriel Noah als sittenstrenge Jungfer Leitmetzerin. George Onianis italienischer Sänger spart nicht an tenoraler Selbstironie. Johannes Mertes und Anjara I. Bartz bieten köstliche Charakterstudien des schleimigen Intrigantenpaares; auch die übrigen Comprimari und der mehr szenisch als sängerisch geforderte Chor machen ihre Sache ausgezeichnet.

In der forsch vorangehenden, gänzlich unsentimentalen Lesart der Partitur ist GMD Dirk Kaftan den Intentionen des Komponisten fraglos sehr nah – auch wenn man sich manche „schöne Stelle“ noch etwas behaglicher ausmusiziert vorstellen könnte. Das Beethoven Orchester Bonn präsentierte sich bei der Premiere in Bestform – schwungvoll und schäumend im Sog der großen Linie, hoch präzise in den Violin- und Bläsersoli wie im wuseligen Parlando der Vor- und Zwischenspiele.

STÜCKBRIEF

Musik. Leitung: Dirk Kaftan Regie: Josef Ernst Köpplinger Bühne: Johannes Leiacker Kostüme: Dagmar Morell Chor: Marco Medved Mit: Martina Welschenbach, Franz Hawlata, Emma Sventelius, Louise Kemény, Giorgos Kanaris, Yannick-Muriel Noah Weitere Termine: 12., 27.10. / 01., 14.11. / 06., 15., 26.12.

KStA abonnieren