Diktatur der KunstJonathans Meeses totale „Hitlerei“

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Busengrapschen mit der Alien-Puppe. Dass Meeses Ein-Mann-Stück „Generaltanz den Erzschiller“ nichts für schwache Nerven sein würde, hätten sich die Zuschauer denken können.

Busengrapschen mit der Alien-Puppe. Dass Meeses Ein-Mann-Stück „Generaltanz den Erzschiller“ nichts für schwache Nerven sein würde, hätten sich die Zuschauer denken können.

Kassel/Köln – Seinen letzten großen Auftritt als Künstler hatte Jonathan Meese bei den Mannheimer Schillertagen. Geschlagene 165 Minuten tobte er im Juni über die Bühne, um in seinem Einmannstück „Generaltanz den Erzschiller“ unablässig den Arm zum Hitlergruß zu recken, mit einer Puppe Schweinereien zu begehen und die „Diktatur der Kunst“ auszurufen, bis ihm der Schaum vorm Mund stand. Am Ende der Uraufführung hatten drei Viertel des Publikums den Saal entnervt verlassen, und Meese, der erst Spät- und mittlerweile Ewig-pubertierende der deutschen Kunstwelt, hatte wieder einen Grund mehr, sich zu schämen.

Erstaunlicherweise ist dem 43-jährigen Meese zwar nichts peinlich, aber Scham ist ein großes Wort für ihn. „Scham ist der Ursprung von allem, was ich tue“, sagte er 2006 in einem Interview, und fügte gleich hinzu, was ihn noch mehr beschämt als seine eigene Person: die deutsche Vergangenheit. Also wirft er sich seit Jahren als Anti-Hitler, als der bessere, der einzig wahre Hitler in Positur. „Der Künstler ist per se eine harmlose Witzfigur“, sagt Meese, und deshalb müsse er „selbst ein Tyrann werden“, um die Hilflosigkeit gegenüber dem historischen Hitler zu überwinden.

Viele halten Meese zwar weiterhin für eine Witzfigur, aber nicht unbedingt für harmlos. Einige sehen in ihm sogar eine Gefahr für die Allgemeinheit und verklagen ihn wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Seit Juli muss sich Meese vor dem Amtsgericht Kassel dafür verantworten, dass er in einem vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ veranstalteten Podiumsgespräch mehrfach den Hitlergruß zeigte. An diesem Mittwoch werden die Plädoyers gehalten – bei einer Verurteilung sieht Meese im schlimmsten Fall einer dreijährigen Haftstrafe entgegen. Allerdings wird es wohl nicht so weit kommen. Die Amtsrichterin hat während des Prozesses bereits angedeutet, dass sie in Meeses Auftritt eine künstlerische Performance erkennt und keine politische Meinungsäußerung.

Anselm Kiefer, geb. 1945, zählt neben Gerhard Richter zu den weltweit angesehensten deutschen Künstlern. Gerade in den USA gelten seine großformatigen, mit Symbolen der deutschen Geschichte aufgeladenen Gemälde als wichtige Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit. Kiefer selbst hat seine Kunst einmal „Malerei der verbrannten Erde“ genannt. In Deutschland ist sein Hang zur Mystik umstritten, in einer Serie von Selbstporträts posiert er mit Hitlergruß.

Martin Kippenberger (1953–1997) gilt als der große Provokateur unter den deutschen Nachkriegskünstlern. Weltweit ausgestellt wurde sein Gemälde „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“ (1984), auf dem viele gekreuzte Balken tatsächlich kein Hakenkreuz ergeben. Sein Suchbild ist eine Persiflage auf die Verdrängung des NS-Erbes in der abstrakten Nachkriegskunst, der Bildtitel setzte Maßstäbe in der kalauernden Abrechnung mit der „Hitlerei“.

Markus Lüpertz, geb. 1941, begann Ende der 60er Jahre, seine „deutschen Motive“ zu malen. In erdigen Farben setzt er Stahlhelme, Fahnen, Schaufeln und Geweihe ins Bild – lauter Anspielungen auf das nach dem Krieg unter Generalverdacht gestellte Nationalpathos. Mit Jörg Immendorff brachte ein anderer „junger Wilder“ ein Hakenkreuz in seiner „Café Deutschland“-Serie unter. Es ist ein unmissverständliches Zeichen, dass die Vergangenheit nie ganz vergangen ist.

Doch auch wenn Meese bestätigt bekommen sollte, dass seine diktatorischen Anwandlungen Kunst sind, muss das ja nicht heißen, dass sie schon gute Kunst sind. Auch da gehen die Meinungen weit auseinander: In den späten 90er Jahren, als Meeses kometenhafter Aufstieg in der Kunstszene begann, staunte man vor allem über die berserkerhafte Kraft dieses bekennenden Muttersöhnchens, das mit wirrem Zauselbart auf dem Müllberg der Kunstgeschichte saß. Meese klierte grobschlächtige Gemälde auf die Leinwand, trat in Leander Haußmanns Komödie „Sonnenallee“ als irrer Künstler auf und wurde bald eingeladen, Ausstellungsräume und Theaterbühnen mit einem Sammelsurium seiner persönlichen Obsessionen vollzustellen. Dann machte Meese die deutsche Vergangenheit zu seinem großen Thema, und seine Fans merkten teilweise irritiert, dass er gar nicht zur Spaßguerilla zählt, sondern mit seiner Kunst aufs Ganze geht.

Jonathan Meese ist nicht der erste deutsche Künstler, der sich Hitler und dem „Dritten Reich“ annähert, um zu verstehen, was damals geschah oder versucht, den Teufel der NS-Zeit aus der Geschichte auszutreiben. Im Grunde erwartet die Welt genau das von der deutschen Kunst und honoriert es mit Höchstpreisen und Ausstellungsehren. Aber so total hat sich noch keiner der „Hitlerei“ verschrieben. Gleichzeitig führt Meese den alten Traum der Moderne auf: die Revolution der Gesellschaft durch die Kunst. „Ich will systemzerstörend sein“, sagt er, um den Umsturz aller Werte wenigstens nachträglich nicht dem gescheiterten Maler Adolf Hitler zu überlassen.

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