Domian„Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen gibt, die nicht mehr leben wollen“

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Domian im November 2016, also am Ende seiner Nighttalk-Karriere, im nächtlichen Köln

Domian im November 2016, also am Ende seiner Nighttalk-Karriere, im nächtlichen Köln

Vor einem Jahr beendete Jürgen Domian seine lange Nighttalk-Laufbahn. Seitdem hat er sich an das Leben bei Tageslicht gewöhnt – und einen Roman geschrieben. Im Interview spricht Domian über die Dämonen in seinem Buch und im realen Leben und über seine nächsten TV-Pläne.

Der Held Ihres neuen Romans, ein Journalist, will sich an seinem 60. Geburtstag mit einer Flasche Whiskey in Lappland in den Schnee legen und sterben. Sie, Herr Domian, werden im Dezember 60 und sind ein großer Lappland-Fan. Muss man sich Sorgen machen?

Nein, absolut nicht. Der Suizid war in meinem Leben noch nie eine Option, selbst nicht in besonders traurigen und schwierigen Zeiten. Hansen, der Protagonist meines Romans, ist weder körperlich noch seelisch erkrankt, er ist einfach des Lebens satt und müde. Er stellt sich die Frage: Muss man leben, nur weil man lebt?

Und? Muss man?

Natürlich muss man einen Menschen, der Selbsttötungsabsichten hegt, lange befragen. Meistens kann man helfen, kann bei ihm noch Lebens- und Hoffnungsfunken finden. In seltenen Fällen aber trifft man auf Entschiedenheit. Ich hatte solche Gesprächspartner auch in meiner Sendung. An einem bestimmten Punkt hätte ich es als übergriffig empfunden, die Person noch weiter vom Leben überzeugen zu wollen.

Der Freitod ist für Sie eine moralisch legitime Alternative zum Leben?

Wir haben zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die einfach nicht mehr leben wollen. Nicht jeder Suizidant ist seelisch krank und bedarf einer Behandlung. Die Selbsttötung muss von der christlichen Stigmatisierung befreit werden. Das betrifft sowohl den assistierten Suizid im Fall der Sterbehilfe als auch die Selbsttötung ohne ersichtlichen Grund.

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Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter:

Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.

Wie viel Domian steckt denn in Hansen, Ihrem Romanhelden?

Das ist schwer zu beantworten. Einiges sicher. Denn keine Literatur ist zu trennen von ihrem Schreiber und dessen Erleben. Scholschenizyn ist ohne die Schrecken des stalinistischen Terrors nicht zu denken, Thomas Mann würden wir so nicht kennen, hätte er seine Homosexualität ausgelebt.

Hansen kämpft in der kalten nordischen Stille gegen seine Dämonen. Kennen Sie dieses Gefühl von Ihren vielen Reisen nach Lappland selbst?

Ja, ich kenne das Gefühl. Und so konnte ich mich gut in Hansen hineinversetzen. Ich begleite ihn bei seinem Kampf gegen die Dämonen des Bösen, der Schuld, der Trägheit, der Versuchung. Und über allem steht die Frage: Wird er sich wirklich töten - oder nicht? Das Bild des Dämonenkampfes in der Stille ist ja uralt. Jesus geht in die Wüste, und der Satan versucht, ihn zu verführen.

In "Dämonen" geht es um existenzielle Fragen wie Schuld, Einsamkeit, Sterben, Tod. Sie haben schon viele Bücher über diese Themen geschrieben. Was fasziniert Sie daran?

Neben der Liebe und der Frage nach dem Sinn des Lebens sind das die elementaren Themen unserer Existenz. So oft wurde ich in meiner Sendung damit konfrontiert, und mich persönlich beschäftigt all das seit meiner Jugend. Hinter allem steht die Sehnsucht, das Leben und den Tod zu begreifen und demzufolge ein stimmiges Leben zu führen. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit dem Zen-Buddhismus und mit interreligiöser Mystik. Diese Lehren weisen mir die Richtung, und ihre Grundhaltungen sind an entscheidender Stelle in den Roman eingeflossen.

Halten Sie mit dem Schreiben Ihre eigenen Dämonen in Schach?

Schreiben ist immer auch ein Versuch der Lebensbewältigung. Man formuliert Dinge aus und befreit sich so von ihnen. Das kennt jeder Tagebuchschreiber. Nur schaffe ich es nicht allein mit Schreiben, meine Dämonen zu bändigen. Dazu gehört noch anderes.

Was?

Zunächst muss man seine Dämonen klar erkennen. Dann muss man ihnen entgegentreten - und eben kämpfen. Und selbst dann, wenn eine Schlacht zehn Mal verloren gegangen ist, muss man sich aufraffen für den elften Kampf. Überall lauert die Versuchung, Verführung, Verblendung. Aber jeder Tag ist ein kleines neues Leben. Das ist tröstlich. Man kann immer wieder neu beginnen.

Gibt es in "Dämonen" eigentlich auch mal etwas zu lachen?

Da muss ich Sie enttäuschen. Die "Dämonen" sind eine absolut humorfreie Zone. Das Spaßmachen ist nicht mein Metier.

Zurzeit sind Sie auf großer Lesetour durch Deutschland und die Schweiz. Die Lesungen sind konzipiert vom Autor und Dramaturgen John von Düffel. Was erwartet die Zuschauer?

Eine inszenierte Lesung. So etwas habe ich vorher noch nie gemacht. Natürlich werde ich lesen, das ist das Hauptelement, aber in der Tat hat John von Düffel vom Deutschen Theater Berlin den ganzen Abend in Szene gesetzt. Er arbeitet mit Audioeinspielungen, mit Licht und diversen anderen Elementen. Außerdem werde ich viel mit dem Publikum interagieren.

Seit dem Ende von "Domian" sind Sie aus der Nachtschicht raus. Wie verbringen Sie Ihre Tage?

Mir ist die Umstellung in einen normalen Lebensrhythmus nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr gut gelungen. Ich genieße den Tag und finde es immer noch exotisch, morgens um neun Uhr Brötchen holen zu gehen. Ich konnte die Tageszeit gut nutzen, um den neuen Roman zu schreiben.

Planen Sie neue TV-Projekte?

Wir überlegen und konzipieren, aber es ist alles noch in der Schwebe. Der intensive Talk mit nichtprominenten Menschen interessiert mich sehr. Das ist eine Marktlücke im deutschen Fernsehen.

Autor, Roman und Lesung

Jürgen Domian, 1957 in Gummersbach geboren, erlangte große Bekanntheit durch die langjährige Moderation der Telefon-Talk-Sendung "Domian" auf 1Live und im WDR-Fernsehen (1995-2016).

"Dämonen: Hansens Geschichte" ist sein dritter Roman. Inhalt: Hansen ist 59 Jahre alt, erfolgreich im Beruf und kerngesund. Dennoch hat er genug vom Leben. An seinem 60. Geburtstag will er sich in Lappland in einer Winternacht nackt in den Schnee legen und sterben. Schon im Sommer bricht Hansen in den Norden auf. In der Abgeschiedenheit des Waldes fallen ihn seine Dämonen an. Je näher der Zeitpunkt seines geplanten Todes rückt, desto stärker werden seine Zweifel, ob er das Richtige tut.

Am 22. Februar 2018 liest der Autor in Köln aus seinem Roman. Ort: Tanzbrunnen; Zeit: 20 Uhr. Karten für 24,95 Euro. Erschienen ist das Buch im Gütersloher Verlagshaus. Es kostet 17,99 Euro. (ts)

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