Eichmann-Ankläger Gabriel Bach über den Prozess„Da versagte mir die Stimme“

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Gabriel Bach  zeigt ein Foto, auf dem er selbst  ist er in der Bildmitte zu sehen, dahinter Adolf Eichmann. 

  • Vor 60 Jahren, am 11. April 1961, begann in Jerusalem ein Gerichtsverfahren, an dessen Ende die Todesstrafe verhängt wurde – zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte des Staates Israel: der „Eichmann-Prozess“.
  • Für Gabriel Bach ist dieser Jahrhundert-Prozess nach wie vor lebendige Geschichte. Der heute 94-Jährige war einer der Ankläger.

Herr Bach, über Monate haben Sie die Anklage damals vorbereitet. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Eichmann?

Natürlich. Ich saß in meinem Büro, nur wenige Meter entfernt von seiner Zelle. Plötzlich hieß es, Eichmann wolle mich sehen. Als ich die Schritte auf dem Gang hörte, erschauderte ich etwas bei dem Gedanken, wie leicht es genau andersherum hätte sein können – wäre es meiner Familie nicht gelungen, rechtzeitig aus Deutschland zu fliehen. Außerdem fiel es mir schwer, gerade in jenem Moment ein ruhiges Gesicht zu wahren, als er schließlich vor mir stand.

Warum?

Nur zehn Minuten zuvor hatte ich die Autobiografie von Rudolf Höß, dem Kommandanten in Auschwitz, zu Ende gelesen. Darin beschrieb er eine Begegnung mit Eichmann. Als Höß Eichmann gesagt habe, dass ihm manchmal die Knie zittern, wenn er sieht, wie tausend Kinder pro Tag in die Gaskammern gestoßen werden, habe Eichmann ihn belehrt: Es seien doch hauptsächlich die Kinder, die man töten müsse, wo sei sonst die Logik?

Was war Ihnen bei der Vorbereitung der Anklage wichtig?

Dass wir vor Gericht nicht nur belastende Dokumente präsentieren, sondern auch Zeugen bitten, vom Grauen zu erzählen, das sie persönlich erlebt haben. Nur so lässt sich das Ausmaß der Verbrechen von Eichmann und den Nationalsozialisten für andere begreifbar machen – nicht nur für die Richter, sondern für die Menschen in unserem Land und in der ganzen Welt.

Selbst für die Menschen in Israel, von denen doch viele Überlebende waren?

Ja. Sie müssen bedenken: Auch in Israel wurde über den Holocaust über Jahre kaum gesprochen. Viele Überlebende – traumatisiert, gedemütigt, beschämt, wie sie waren – mieden das Thema selbst innerhalb der Familie. Zum Teil sahen sie sich auch dem Unverständnis der eigenen Kinder ausgesetzt: Warum sie sich nicht stärker gewehrt hätten? Der Prozess hat ihnen erst gezeigt, wie schwer, wie unmöglich es war, dieser bösartigen Maschinerie des Täuschens und Tötens der Nationalsozialisten zu entkommen. Durch diesen Prozess wuchs ihr Mitgefühl und Verständnis für die Überlebenden.

Die Bilder, auf denen Eichmann im Gerichtssaal in einer Glaskabine sitzt, gingen um die Welt. Warum sollte er in dieser Weise auf der Anklagebank sitzen?

Wir wollten absolut sicherstellen, dass kein Attentäter diesen Prozess stört, dass die Welt sieht, dass wir ein rechtsstaatliches Verfahren garantieren. Eine Ermordung hätte zudem bedeutet, dass niemand über das Ausmaß seiner monströsen Verbrechen weiter gehört hätte. Seine Verteidigungsstrategie war ja, sich selbst als kleines Rädchen darzustellen, als jemand, der nur Befehle ausgeführt habe. Das war er nicht, er war die zentrale Figur, eine treibende Kraft. Er hat sogar manche Entscheidung von Hitler hintertrieben, wenn dieser aus außenpolitischen Gründen eine Gruppe von Juden einmal nicht deportieren wollte.

Was erinnern Sie vom ersten Prozesstag?

Ich werde nie vergessen, wie die Richter eintraten, hinter ihnen das Wappen von Israel an der Wand, und alle aufstanden, auch Eichmann. Dieser Augenblick zeigte mir, wie wichtig es ist, dass Israel als unser Staat existiert. Viele werden das genauso gespürt haben.

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Welche Zeugenaussage berührt Sie bis heute besonders?

Ein Vater, Martin Földi, schilderte das berüchtigte Sortieren der Menschen in Auschwitz. Seine zweieinhalbjährige Tochter trug an jenem Tag einen roten Mantel. In der Menschenmenge war sie so ein klar sichtbarer Punkt, der dann immer kleiner wurde. Bis er für immer verschwand. Kurz zuvor hatte ich meiner Tochter Orli auch einen roten Mantel gekauft, sie war im gleichen Alter. Als Földi seine Schilderungen beendet hatte, die Richter mich baten, fortzufahren, versagte mir schließlich für Minuten die Stimme. Dieses Motiv des Mädchens mit dem roten Mantel hat Steven Spielberg später auch in seinem Film „Schindlers Liste“ aufgegriffen.

Eichmann legte Gnadengesuch ein. Was dachten Sie, als Sie hörten, dass der Präsident dies abgelehnt hatte?

Ich wusste, dass das Urteil nun binnen einer Stunde vollstreckt wird. Meine Frau sagt, ich sei plötzlich ziemlich blass geworden. Ich halte die Todesstrafe für jemanden, der einen Völkermord zu verantworten hat, aber bis heute für gerechtfertigt.

Hat dieser Prozess Auswirkungen in Deutschland gehabt?

Ja. Als Folge gab es auch dort weitere Prozesse. Mit anderen zusammen hatte ich mich auf diplomatischem Weg dafür eingesetzt, dass diese Verbrechen nicht verjähren.

Zur Person

Gabriel Bach, geboren 1927 in Halberstadt, vertrat neben Gideon Hausner 1961 die Anklage gegen Adolf Eichmann, der die Deportation von Millionen Juden in Konzentrationslager organisiert hatte. Eichmann war 1960 vom israelischen Geheimdienst in Argentinien gefasst und nach Israel gebracht worden. Am Ende des öffentlichen Prozesses in Jerusalem stand 1962 das Urteil: Tod durch den Strang.

Bach war in den Jahrzehnten danach Generalstaatsanwalt und Richter am Obersten Gericht. Auch in Deutschland wurde er für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Großen Bundesverdienstkreuz. (ksta)

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